Tafeln statt Totenbuch in Stade

Forscher Michael Quelle an der Stele aus dem Jahr 2005 am Landgericht
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Politik berät über Stil des Gedenkens an Nazi-Opfer / Michael Quelle erweitert Namensliste

tp. Stade. Gedenkbuch aus Papier, eine solide Stele aus Stein oder Tafeln aus Metall? Mit der richtigen Art und Weise, wie die Erinnerung an die Opfer der Nazi-Herrschaft in Stade fortgesetzt werden soll, befasst sich die Politik erstmals nach einem halben Jahr wieder öffentlich. Am Mittwoch, 29. August, um 18 Uhr berät der Kulturausschuss im Sitzungszimmer Karlshamn im historischen Rathaus über die Erweiterung des 152 Namen von Toten umfassenden Gedenksteins zwische der Altstadtkirche St. Wilhadi und dem Landgericht um mehr als 100 weitere Namen.

Erstmals im Februar kam das Thema auf Antrag der Grünen und Linken auf den Tisch. Anlass gab eine private Recherche des in der Politik und Geschichtsforschung engagierten Michael Quelle (65) aus Stade, der bei Sichtungen von Archiven und Datenbanken neue Opfer von Nazi-Willkür aus dem Landkreis Stade aufspürte, unter ihnen ausländische Zwangsarbeiter und deren Kinder sowie Euthanasie-Opfer.

Klärungsbedarf herrscht in der Lokalpolitik nach wie vor über die passende Form des Gedenkens: Diskutiert wurde u.a. über ein Totenbuch in einem geschützten Raum wie dem kirchlichen Pastor-Behrens-Haus, ein Gedenkstein oder - wie Quelle riet - im Halbkreis aufgestellte Tafeln und virtueller Datenbank (siehe Infokasten) als Ergänzung der im Jahr 2005 errichteten Stele mit Namen getöteter Zeugen Jehovas, Zwangsarbeiter, politisch Verfolgter und Euthanasie-Opfer. Stadtarchivarin Dr. Christina Deggim, Vorsitzende des stätischen Beirats Nationalsozialismus, warnte allerdings vor technischen Schwierigkeiten bei der Gravur, für den Fall, dass sich Namensliste ändert.

Tatsächlich hat Quelle zwischenzeitlich Korrekturen vorgenommen: "Die Liste vom Februar mit seinerzeit 123 Namen habe ich - nach Überprüfung von Sterbeurkunden - um zehn Personen reduziert", sagt Quelle, der zwischenzeitlich ein Recherche-Seminar beim Internationalen Suchdienst in Arolsen, Hessen, besuchte und dort u.a. alle Namen anhand von Dokumenten überprüfen konnte. "Zwei Niederländer konnten nicht den NS-Opfern zugerechnet werden", so Quelle. Nachgewiesene Totgeburten bei Kindern habe er ebenso gestrichen wie vier Kinder, die deutschen Eltern zuzuordnen waren.

Zudem hat Quelle in der Gedenkstätte Lüneburg die Namen von Frauen und Männern aus dem Landkreis Stade gefunden, die in der Tötungsanstalt in Hadamar in Hessen durch Gas ermordet wurden. Überdies habe er in kommunalen Sterbebüchern im Stader Raum weitere bisher unbekannte Opfer gefunden. Und: Noch nicht endgültig geprüft seien die Namen von 31 Opfern - zum einen von Zwangsarbeitern, die aus dem Polizeigefängnis Stade ins Konzentrationslager Neuengamme überführt wurden, zum anderen von Zwangsarbeitern, die in Arbeitserziehungslager gebracht wurden. Quelles NS-Opferliste umfasst aktuell 158 Namen.

Laut Bürgermeisterin Silvia Nieber verlange die sensible Angelegenheit Zeit: "Hier geht Genauigkeit vor Schnelligkeit." Möglicherweise müsse dieser Ausschuss wegen fehlender weiterer Tagesordnungspunkten auf einen anderen Termin verlegt werden, so die Verwaltungs-Chefin.

Linke und Grüne hingegen fordern, dass die Sitzung stattfindet. Sie haben einen Sachstandsbericht beantragt und wollen, dass Quelle seine Recherche-Ergebnisse präsentiert.

Auch CDU-Fraktions-Chefin Kristina Kilian-Klinge verlangt "ausdrücklich, dass die Sitzung des Ausschusses durchgeführt und als Tagesordnungspunkt 'Erweiterung des Gedenkortes der NS-Opfer vor der St.-Wilhadi-Kirche' ordnungsgemäß beraten wird." Bereits in der Sitzung im Februar habe sich Kilian-Klinge gegen unterschiedliche Gedenkformen für NS-Opfer - zum einen durch Stelen, zum anderen durch ein Gedenkbuch - ausgesprochen. Überdies sei in der jüngsten Ausschussssitzung im Juni darüber nicht beraten wurden, kritisiert sie. Eine erneute Verschiebung "kommt für die CDU-Fraktion nicht in Frage".

Spätestens bis zum 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, soll eine Lösung gefunden werden.

Zugriff auf elektronische Datenbank


(tp).
Michael Quelle schlägt vor, neben der Stele bei der Wilhadi-Kirche in einem offenen Halbkreis drei Gedenktafeln aufzustellen. Die erste Tafel enthält einen Erläuterungstext. Es folgen auf einer zweiten Tafel alphabetisch die Namen und das Lebensalter der NS-Opfer. Das dritte Schild enthält Erläuterungstexte zum Gefängnis Stade (hundertfache Inhaftierung von Frauen und Männern durch die Gestapo, Weiterverlegung durch Gestapo in KZ und Arbeitserziehungslager) und zum Erbgesundheitsgericht Stade (951 beschlossene Zwangssterilisationen). Eine abschließende Notiz erwähnt, dass weitere NS-Opfer hinzukommen könnten. In einer elektronischen Datenbank finden sich Informationen zu allen auf der Stele und auf den Tafel genannten NS-Opfer. Die Daten sollen per QR-Code mit einem Smartphone abrufbar sein.

http://www.michael-quelle.de

Redakteur:

Thorsten Penz aus Stade

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