Niedersachsen stimmt gegen Vermittlungsausschuss
Umstrittene Klinikreform kommt: Bundesrat lehnt die Anrufung des Vermittlungsausschusses ab
Der Bundesrat hat an diesem Freitag über die umstrittene Krankenhaus-Reform von Bundes-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beraten. Die Länderkammer lehnte die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit den Stimmen der meisten SPD-geführten Landesregierungen ab. Auch Niedersachsen stimmte gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Damit dürfte das bereits vom Bundestag verabschiedete Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) weitgehend so umgesetzt werden, wie es von der mittlerweile zerbrochenen Ampel-Koalition geplant war. Grundlegende Veränderungen wird es nicht mehr geben.
Dass über wesentliche Inhalte der Reform im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat noch einmal neu verhandelt wird, war hingegen von zahlreichen Kritikern gefordert worden - u.a. auch von vielen Landkreisen in Niedersachsen. Diese hatten im Vorfeld Resolutionen verabschiedet, in denen eine ausreichende Finanzierung der Kliniken und die Anrufung des Vermittlungsausschusses zwecks Nachbesserungen bei der Reform gefordert wird. Auch die Kreistage der Landkreis Harburg und Stade votierten einstimmig für eine entsprechende Resolution.
Landkreise kommen für Klinikdefizite auf
Die Landkreise kritisieren, dass der Bund die kommunalen Betreiber der Krankenhäuser bisher finanziell im Stich gelassen hat. Viele Häuser schreiben aufgrund der Inflation rote Zahlen. Die Landkreise wenden mittlerweile Millionenbeträge auf, um die Defizite im Klinikbetrieb zu decken. Sie fordern, dass bei der Reform auch die Inflationslücke für die Jahre 2022 bis 2024 berücksichtigt wird. Dass dieses strukturelle Defizit durch die Verweigerungshaltung von Bund und Land immer wieder durch die kommunalen Träger ausgeglichen werden muss, ist aus Sicht der Landkreise ein unhaltbarer Zustand. Der Landkreis Stade wird den Elbe Kliniken bis 2025 Liquiditätshilfen in Höhe von 30 Millionen Euro bereitstellen, beim Landkreis Harburg sind es 34,5 Millionen Euro für die beiden kreiseigenen Krankenhäuser.
Niedersachsen lehnt Vermittlungsausschuss ab
Der niedersächsische Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD) wandte sich in der Bundesratsdebatte vehement gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Er lobte die Lauterbach-Reform als das wichtigste gesundheitspolitische Vorhaben der vergangenen zwei Jahrzehnte. Trotz aller unterschiedlichen Standpunkte sei ein Ergebnis herausgekommen, das Niedersachsen mittragen kann. Hätte der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, wären die gesamte Vorarbeit und die erzielten Kompromisse der Diskontinuität zum Opfer gefallen. „Schicken wir das Gesetzesvorhaben in den Vermittlungsausschuss, dann ist diese Krankenhaus-Reform politisch tot“, erklärte Philippi.
Die Anrufung des Vermittlungsausschusses wäre in „normalen politischen Zeiten“ der richtige demokratische Weg gewesen, so der niedersächsische Gesundheitsminister. Doch jetzt befinde sich Deutschland bereits im Wahlkampf. Eine breite politische Mehrheit für einen ausgehandelten Kompromiss wäre jetzt mehr als fraglich gewesen. Ein Scheitern des Gesetzes hätte dazu geführt, dass die alten Regelungen, die zur finanziellen Schieflage bei den Kliniken geführt haben, auf Jahre fortbestehen. Dann wären wahrscheinlich gerade diejenigen Klinken in die Insolvenz gerutscht, die zur Versorgung in der Fläche beitragen, so Philippi.
Entschließungsantrag von drei SPD-geführten Bundesländern
Niedersachsen brachte gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg einen Entschließungsantrag zur Überarbeitung des Reformpaketes in den Bundesrat ein, in dem u.a. eine Entbürokratisierung und eine Weiterentwicklung der Vorhaltevergütung gefordert wird. Verlangt wird von den drei Bundesländern zudem eine Übergangsfinanzierung für die Kliniken zum Greifen der Reform. Dieser Entschließungsantrag fand eine breite Mehrheit.
Klinik-Kooperationen müssen möglich bleiben
Zu den Ländern, die für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses stimmten, gehört Sachsen-Anhalt. Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) verlangte, die Vorhaltevergütungen für die Kliniken an die tatsächlichen Bedürfnisse der jeweiligen Region anzupassen, statt einfach bundesweit einheitliche Werte vorzugeben. Kooperationen von kleineren Häusern sollten weiter möglich sein, damit die medizinische Versorgung trotz begrenzter Ressourcen aufrechterhalten bleibt. Solche Kooperationen dürfen nicht durch gesetzliche Vorgaben erschwert, sondern muss gefördert werden, um die Versorgungsqualität auch in der Fläche zu sichern. Starre gesetzliche Kriterien seien hier nicht hilfreich.
Bund lasse Kliniken "im Regen stehen"
Der Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses war von Bayern - unterstützt durch Baden-Württemberg - gestellt worden. Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) monierte im Bundesrat, dass der Bund durch detaillierte Vorgaben zur Krankenhausstruktur in die Gestaltungshoheit der Länder beim Gesundheitswesen eingreifen will. Doch gerade im ländlichen Bereich müsse eine verlässliche Versorgung in der Fläche gewährleistet bleiben. Zudem lasse der Bund die Kliniken hinsichtlich der Betriebskosten "völlig im Regen stehen". Gerlach forderte ein Soforthilfeprogramm, um den kalten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft und das Kliniksterben zu verhindern. Die Bundesregierung habe keine Antworten auf die akuten Probleme der Krankenhäuser, so die bayerische Ministerin.
Folgende Bundesländer stimmten für die Anrufung des Vermittlungsausschusses:
Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt
Diese Bundesländer stimmten dagegen:
Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland
Der Stimme enthalten haben sich:
Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein
Die Stimmen aus Thüringen waren ungültig, da sowohl mit Ja als auch mit Nein gestimmt wurde.
Klinikleitungen sind enttäuscht von der Landesregierung
Die Klinikleitungen in Niedersachsen zeigen sich vom Abstimmungsverhalten der rot-grünen Landesregierung im Bundesrat enttäuscht. Niedersachsen stimmte im Bundesrat nicht für die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Kritik kommt sowohl von der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) als auch von der Landesgruppe Niedersachsen/Bremen des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD). Derzeit läuft die Herbsttagung der VKD, an der mehr als 80 Führungskräfte aus niedersächsischen Kliniken teilnehmen. Die Kliniken in Niedersachsen hatten das Land zuvor
wiederholt aufgefordert, sich für ein Vermittlungsverfahren einzusetzen, um möglichst
kurzfristig dringend notwendige Nachbesserungen am
Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) zu ermöglichen. Höchste Priorität für VKD und NKG hat die wirtschaftliche Stabilisierung der Krankenhäuser. Dazu zählt insbesondere ein Inflationsausgleich für die Jahre 2022 bis 2024 sowie eine Überbrückungsfinanzierung bis 2027.
Gesetz ist nicht praxistauglich
"Niedersachsen hat trotz zahlreicher Appelle und Warnungen der Krankenhäuser ein nicht praxistaugliches Gesetz im Bundesrat durchgewunken. Das ist erstaunlich, denn für die wirtschaftliche Schieflage der Kliniken sowie das zunehmende Risiko für Versorgungslücken muss am Ende das Land geradestehen", erklärt NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke. Die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Stabilisierung der Kliniken seien mit dieser Reform nicht gegeben. "Die Landesregierung trägt nach der heutigen Entscheidung in besonderem Maße Verantwortung dafür, dass Kliniken, Mitarbeiter sowie die Patienten nicht zu den Leidtragenden dieser unausgereiften Reform des Bundes werden", meint Engelke.
Chef der Elbe Kliniken: Chance wurde verpasst
Vorsitzender der VKD-Landesgruppe ist der Geschäftsführer der Elbe Kliniken, Siegfried Ristau. Er befürchtet, dass das Thema Krankenhausversorgung nun zu einem politischen Spielball im Bundestagswahlkampf wird. Korrekturen an der Reform werden voraussichtlich erst nach der Bildung einer neuen Bundesregierung möglich sein, so Ristau. Doch die Krankenhäuser würden bereits jetzt Planungssicherheit benötigen. Vielen Kliniken laufe die Zeit davon. Denn an der strukturellen Unterfinanzierung ändere sich mit der Reform nichts. Die Lage für die Kliniken bleibe dramatisch. "Die letzte Chance für einen kurzfristigen politischen Kompromiss und schnelle Korrekturen an der Reform wurde heute verpasst", so Ristaus bitteres Fazit. Seine Botschaft an die Landesregierung: "Nicht zuletzt aufgrund des Abstimmungsverhaltens im Bundesrat erwarten wir in dieser Situation die maximale Unterstützung des Landes."
Krankenhauslandschaft zukunftsfest machen
Nach der Bundesrats-Abstimmung sieht der Verband der Ersatzkassen (vdek) nun die Landesregierung in der Pflicht, auf dieser Grundlage die Krankenhauslandschaft in Niedersachsen zukunftsfest zu machen. „Wir brauchen für die Umsetzung im Land jetzt einen klaren Kompass, damit Patienten auch zukünftig entsprechend ihrer Erkrankung gut und sicher versorgt werden können“, sagte vdek-Landesleiter Hanno Kummer. Er forderte, die notwendigen Veränderungen zügig auf den Weg zu bringen.
Leistungsgruppen als Chance
Das Land wird den Krankenhäusern nun sogenannte Leistungsgruppen zuweisen. Laut Kummer ist entscheidend, dabei klar zu sortieren. Wenn eine bestimmte Behandlung in einer Region hauptsächlich von wenigen leistungsstarken Krankenhäusern erbracht werde, sei es nicht sinnvoll, den kleinen Rest zusätzlich auf viele weitere Häuser zu verteilen. Als Beispiel nannte Kummer Eingriffe an der Wirbelsäule. 35 Krankenhäuser in Niedersachsen würden 80 Prozent aller Eingriffe durchführen, die restlichen 20 Prozent finden in 50 weiteren Krankenhäusern statt. Die sich jetzt durch die Zuweisung von Leistungsgruppen bietende Chance zur Neustrukturierung und regionalen Leistungskonzentration müsse deshalb unbedingt genutzt werden.
Hohe Kosten für die Beitragszahler
Unterm Strich begrüßt der vdek bei der Krankenhausreform die Einführung von Leistungsgruppen mit Qualitätsparametern. Gleichzeitig erneuerte Kummer seine Kritik an der Finanzierung der Reform: „Krankenkassen sind für Behandlungskosten zuständig, nicht für Baukosten. Trotzdem werden die Beitragszahler jetzt gezwungen, 25 Milliarden Euro für einen Transformationsfonds aufzubringen. Hier werden Sozialversicherungsbeiträge für gesamtgesellschaftliche Aufgaben zweckentfremdet.“ Die Reform werde schon mit den bisherigen Regelungen über die Maßen teuer für die Beitragszahler. Zusätzliche finanzielle Belastungen dürfe es im weiteren Verfahren nicht geben.
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