Interview mit dem Stader Landrat Michael Roesberg
Vier Monate Corona - eine Zwischenbilanz für den Landkreis Stade

Krisen-Manager in Corona-Zeiten: Stades Landrat Michael Roesberg  | Foto: Chr. Schmidt/LK Stade
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(jd). Vor knapp vier Monaten gab es den ersten Corona-Fall im Landkreis Stade, kurz darauf folgte der Landkreis Harburg. Dieser überholte schließlich auch den Nachbarkreis hinsichtlich der Gesamtzahl der Infizierten deutlich. Seit Ausbruch der Pandemie gab es in beiden Landkreisen bewegende Wochen und Monate. Mal gab es große Sorgen wegen Corona-Ausbrüchen in Seniorenheimen sowie in einer Flüchtlingsunterkunft, mal sorgten vereinzelte Corona-Fälle beim Personal der Stader Elbe Kliniken für Beunruhigung. Insgesamt gesehen lässt sich aber feststellen, dass beide Landkreise bisher relativ gut durch die Krise gekommen sind. Vor den Sommerferien möchte das WOCHENBLATT nun eine Zwischenbilanz ziehen: Die Landräte der Landkreise Stade und Harburg wurden zum Interview in Sachen Corona gebeten.
Den Anfang macht Stades Landrat Michael Roesberg. Die Fragen stellte der Stader Redaktionsleiter Jörg Dammann.

WOCHENBLATT: Wie bewerten Sie die aktuelle Corona-Situation im Landkreis?
Roesberg: Von den mehr als 200.000 Einwohnern des Landkreises Stade haben sich seit Anfang März nachweislich 227 mit dem Coronavirus infiziert. Seit Wochen liegt die Zahl der positiv getesteten COVID-19-Patienten im unteren einstelligen Bereich. Das klingt zunächst beruhigend. Aber wir haben tragischerweise auch neun Todesopfer zu beklagen. Das dürfen wir nicht vergessen.
Alle namhaften Virologen und Epidemiologen warnen ausdrücklich davor, dass das Virus immer noch in der Bevölkerung grassiert – und das nicht nur in Schweden und den USA. Die Erfahrung der letzten Tage zeigt: Werden die Vorsorge-Regeln nicht eingehalten, hat das Virus freie Bahn – siehe Gütersloh oder Göttingen.

WOCHENBLATT: Kann man trotzdem sagen, dass die Kreisbehörden die Lage im Griff haben?
Roesberg: Die Corona-Pandemie stellt einen extremen Ausnahmefall dar, weil sich ein neuartiges, weitgehend unbekanntes und für viele Menschen tödliches Virus ausbreitet. Eine Kreisverwaltung kann eine weltweite Pandemie nicht „im Griff haben“. Das hat immer etwas Unbeherrschbares. Aber wir im Landkreis sind bisher verhältnismäßig gut durch die Situation gekommen. Neben der medizinischen und epidemiologischen wird es noch eine ganz andere Herausforderung auf kommunaler Ebene geben: Wie geht es mit der Wirtschaft und den Finanzen weiter? Schwere Jahre stehen uns bevor, egal wie schnell wir einen Impfstoff oder Medikamente haben.

WOCHENBLATT: Falls eine zweite Corona-Welle kommt: Welche Erfahrungen aus der ersten Welle können Sie sich zunutze machen?
Roesberg: Wir wissen jetzt, wie wir uns durch konsequentes Verhalten besser vor Ansteckung schützen. Es wurden Vorräte von Schutzausstattungen wie Masken und Desinfektionsmittel für mehrere Monate angelegt. Strategien zur Eindämmung von Infektionsketten haben sich bewährt: Die klaren Maßnahmen, Infizierte möglichst frühzeitig zu erkennen und zu isolieren sowie enge Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken, sind offensichtlich die richtige Herangehensweise.

WOCHENBLATT: Wie schätzen Sie denn überhaupt die Gefahr einer zweiten Corona-Welle ein?
Roesberg: Das ist eher eine Frage an die Fachleute. Ich rechne mit Hotspots, wie sie zurzeit die Nachrichten beherrschen, die wir aber ja auch schon im Landkreis Stade erlebt haben. Die können jederzeit wieder auftreten. Sobald Menschengruppen zusammentreffen, ohne dass die erforderlichen Regeln eingehalten werden – "Abstand halten!", "Mund-Nasen-Schutz tragen!", "Hände waschen!" –, ist die Gefahr groß. Das gilt für gedankenloses Verhalten auf privaten Feiern ebenso wie beispielsweise bei der beengten Unterbringung von Menschen etwa durch Betriebe. Auch Urlaubsrückkehrer haben eine besondere Verantwortung.

WOCHENBLATT: Bei der Landkreis-Verwaltung herrschen noch immer zahlreiche Corona-Beschränkungen beim Publikumsverkehr, wie etwa Security vor der Tür und Zutritt nur mit Passierschein. Ist der Landkreis da mittlerweile nicht zu übervorsichtig etwa im Vergleich zu den Rathäusern?
Roesberg: Vorrang hat der Schutz der Beschäftigten und der Kunden, zumal während der gesamten Corona-Zeit alle Anliegen bearbeitet wurden und werden, ob im Homeoffice oder vor Ort. Persönliche Kontakte sind und waren dafür nicht immer entscheidend. Viele Anliegen können auf dem schriftlichen Weg, zum Beispiel per E-Mail, erledigt werden.
Das Kreishaus ist aufgrund der Vielzahl der verschiedenen Anliegen, die hier in 17 Ämtern bearbeitet werden, nur schwer mit Rathäusern vergleichbar. Unsere Mitarbeiter dürfen nicht ausfallen, weil wir für die Hilfen vieler Menschen verantwortlich sind. Es darf nie passieren, dass wir da handlungsunfähig werden, weil Mitarbeiter erkrankt sind.

WOCHENBLATT: Der Landkreis hat frühzeitig einen Krisenstab, den Infektionsschutzstab, gebildet. Wie bewerten Sie dessen Arbeit in der Rückschau? Wie verlief dort die Kooperation zwischen den beteiligten Stellen?
Roesberg: Der Krisenstab, der mit insgesamt fast 80 Personen in zwei Schichten zeitweise sieben Tage die Woche im Einsatz war, hat sich schnell als unverzichtbar erwiesen, weil er eine Vielzahl logistischer Aufgaben nach dem Infektionsschutzgesetz übernommen hat. Dazu gehörte auch die Kommunikation mit der Bevölkerung über Internet, Bürgertelefon und Pressearbeit sowie die Kooperation mit Hilfsorganisationen, Elbe-Kliniken, Polizei und Bundeswehr, Arztpraxen, Pflegeheimen. Ohne die Arbeit des Krisenstabes sind die vielen Beteiligten im Gesundheitswesen nicht zu koordinieren.

WOCHENBLATT: Wie wird der Krisenstab in den kommenden Monaten aufgestellt sein? Werden dessen personelle Kapazitäten heruntergefahren?
Roesberg: Tatsächlich konnten die Aufgaben des Stabes aufgrund der geringen Fallzahlen zunächst wieder in den Regelbetrieb des Gesundheitsamtes integriert werden – allerdings mit personeller Verstärkung. Angesichts weiterer Lockerungen der Verbotsregelungen in der nächsten Zeit müssen wir in der Lage sein, die Kontrolle zu behalten. Der Stab existiert noch in Minimalbesetzung. Verschlechtert sich die Lage dramatisch, kann der Stab kurzfristig wieder voll aktiviert werden.

• In der Samstags-Ausgabe des WOCHENBLATT lesen Sie das Interview mit dem Harburger Landrat Rainer Rempe.

Krisen-Manager in Corona-Zeiten: Stades Landrat Michael Roesberg  | Foto: Chr. Schmidt/LK Stade
Im großen Sitzungssaal des Kreishauses war zeitweise der Krisenstab eingerichtet | Foto: Chr. Schmidt/LK Stade
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Jörg Dammann aus Stade

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