CDU sucht die Öffentlichkeit
Wie ein Gendersternchen in Stade für Aufregung sorgt
jab. Stade. Was ihr im WOCHENBLATT nicht möglich war, konnte die CDU-Fraktionsvorsitzende Kristina Kilian-Klinge nun im Stader Rat loswerden. Ihre zweiseitige Stellungnahme zum Thema Gendersternchen durfte die Redaktion weder kürzen noch zusammenfassen, weswegen sie gar nicht erst abgedruckt wurde. In der Sitzung konnte sie ihre Abhandlung nun aber doch der Öffentlichkeit in voller Länge vorstellen.
Hintergrund: Auf der vergangenen Sitzung des Stader Finanzausschusses hatte die Verwaltung in der Überschrift zu einem CDU-Antrag in das Wort Gastronomen das Gendersternchen eingefügt. Mit Gastronom*innen war die Fraktion allerdings nicht zufrieden und forderte - unter Abgabe einiger fragwürdiger Kommentare von Karsten Behr (CDU) - die Rückänderung. Daraufhin stellte das WOCHENBLATT Anfragen an alle Fraktionsvorsitzenden und wollte ihre Meinung zu dem Thema wissen. Aus der CDU gab es eine Antwort mit rund 4.700 Zeichen. Da das WOCHENBLATT solche ausufernden Beiträge nicht abdruckt und sich das auch nicht vorschreiben lässt, blieb er ungelesen.
"Gleichstellung muss gelebt werden"
Während ihres Vortrags vor den Ratsmitgliedern bedauerte Kilian-Klinge am Rednerpult, dass der eigentliche Antrag von der Gendersternchen-Diskussion überlagert werde. Für Kilian-Klinge schaffe die Nutzung des Zeichens keine Gleichstellung der Geschlechter und schütze niemanden vor Gewalt, Unterdrückung und Hass. "Gleichstellung der Geschlechter muss gelebt werden, alles andere führt nicht zum Ziel", so die Fraktionsvorsitzende.
Während ihres Beitrags, der zu den längsten am Sitzungstag zählte, zeigte sich die Fraktionsvorsitzende wenig einsichtig zum Vorgehen der Redaktion: "Das ist ein Problem, dass heutzutage komplexe Themen nicht ausdiskutiert werden, sondern in zwei, drei Sätze gepackt werden sollen." Doch genau so sieht Pressearbeit aus - und das nicht erst seit gestern. Das müsste eine Fraktionsvorsitzende wissen und sachlich sowie professionell damit umgehen.
Der Ratsvorsitzende Karsten Behr (CDU) gab seiner Fraktionskollegin Rückendeckung, gab aber zu, dass bei der Gleichstellung noch eine Menge zu tun sei. Dennoch wies er unterschwellige Vorwürfe zurück, dass jemand frauenfeindlich sei, nur weil er kein Gendersternchen benutze.
Das sagen die WOCHENBLATT-Leser
Auch bei den WOCHENBLATT-Lesern sorgte der Beitrag "Stern des Anstoßes" für Diskussionen.
Margarete Bauer aus Drochtersen war dankbar für Behrs klare Worte zur Gendersternchen-Debatte. Prof. Dr. Manfred Wetzel aus Agathenburg sieht das Gendersternchen als Unfug an. Er weist darauf hin, dass "seit eh und je" beide Geschlechter in Anreden verwendet werden. Schwierig wird es für ihn, wenn die Abgeordneten durch Abgeordnet*innen ersetzt werden sollen, "und kabarettreif sind die Mitglieder*innen". Wetzel sagt, dass im Rahmen des Grundgesetzes das Werben des Gendersternchens erlaubt sei, aber andersherum darf es zu keinem Druck bzw. zur Nötigung kommen, dieses benutzen zu müssen.
"Daumen hoch für die Verwaltung, die sich Gedanken macht, was sie ändern kann, um alle Menschen wertzuschätzen", schreibt dagegen Elisabeth Steinfeld aus Neu Wulmstorf. Den Daumen runter gibt es von ihr für Behr, der sich so etwas nicht von "irgendeiner Minderheit" aufdrücken lasse. "Bleibt zu hoffen, dass bei der nächsten Wahl Menschen gewählt werden, die Frauen wertschätzen und das auch sprachlich ausdrücken können", so Steinfeld.
Der Vorsitzende des CDU-Ortsverbands Lühe, Gerd Dehmel aus Grünendeich, verwies explizit darauf, dass er einer Veröffentlichung seiner Stellungnahme zustimme. Bereits im Juni 2020 habe sich seine Fraktion auf der Sitzung des Samtgemeinderates einstimmig für den Gebrauch und die Anwendung der Gendersprache ausgesprochen. "Die Welt dreht sich weiter, Sprache verändert sich. Die Gleichstellung der Geschlechter in Wort und Schrift ist für uns unumstritten und klar."
Ein Leserbrief, der zum Nachdenken anregt, stammt vom Buxtehuder Martin Kleine von der Selbsthilfegruppe "TransParents" von Eltern transidenter Kinder. "Wer als Volksvertreter*in für sich in Anspruch nehmen will, eben dieses Volk in seiner Gesamtheit zu vertreten, sollte aus meiner Sicht davon absehen, Teile dieses Volkes zu agitieren oder auszugrenzen", schreibt Kleine. Denn das Gendersternchen stehe nicht nur für den Versuch, weibliche und männliche Sprechweisen zu verbinden. Es bezieht ausdrücklich auch alle Menschen mit ein, die sich nicht dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zurechnen lassen oder zurechnen lassen wollen.
"Auch nur Teilgruppen queerer Menschen sprachlich auszugrenzen oder zumindest durch sprachliche Bequemlichkeit nicht ausdrücklich mit einzuschließen, deutet auf eine Gleichgültigkeit hin, die gewählten Vertreter*innen nicht gut zu Gesicht steht", so Kleine. Für ihn zeigt die Aussage Behrs, dass das Gendersternchen eine Verhunzung der Deutschen Sprache darstelle, Rückständigkeit und Ignoranz für dieses Problem.
"Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hätte kaum uninformierter und daher unprofessioneller verlaufen können", schreibt Kleine. Aber auch von "beiden Formen" zu sprechen, wie es einige Politiker handhaben, zeige Nachholbedarf im Bereich Genderdiskussion. Kleine hofft, dass in der Arbeitsgruppe der Stadt Stade auch queere Menschen sitzen, die sich in der aktuellen Diskussion auskennen. Dabei muss es für ihn nicht das Gendersternchen sein, auch Alternativen wären möglich. "Das Gendersternchen würde aber wenigstens den Respekt vor allen Menschen auch nach außen signalisieren, den man zuweilen einigen Volksvertreter*innen abspricht", so Kleine.
Redakteur:Jaana Bollmann aus Stade |
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