WOCHENBLATT-Serie "Blick über die Elbe", Teil 5
3,54 Meter unter Normalnull: Die tiefste Landstelle Deutschlands
Wo der höchste Punkt Deutschlands liegt, weiß wohl jedes Schulkind: Die Zugspitze in den bayerischen Alpen ist mit 2.962 Metern der höchste Berg der Bundesrepublik. Doch wo befindet sich eigentlich der tiefste Punkt Deutschlands? Die Antwort liegt natürlich nicht in den Alpen, sondern in Schleswig-Holstein. Genauer gesagt: im Kreis Steinburg, etwa zehn Kilometer von der Elbe entfernt, in der Gemeinde Neuendorf-Sachsenbande. Auf deren Gemeindegebiet liegt der „Tiefpunkt“ unseres Landes – selbstverständlich nur im wörtlichen Sinne. Wer sich auf einen Ausflug zu dieser geografischen Besonderheit begibt, wird von einer typisch norddeutschen Landschaft empfangen: Weiter Horizont, malerische Dörfer und reetgedeckte Bauernhöfe prägen das Bild rund um die tiefste Landstelle Deutschlands, um die es beim fünften Teil der WOCHENBLATT-Serie "Blick über die Elbe" geht.
Ein Streit um den tiefsten Punkt
Während niemand ernsthaft infrage stellt, ob die Zugspitze tatsächlich der höchste deutsche Berg ist, war es lange umstritten, wo genau der tiefste Punkt Deutschlands liegt. Ursprünglich hat nämlich ein Dorf in Ostfriesland den Titel der tiefsten Landschaft für sich reklamiert. Mit 2,30 Meter unter Normalnull (also unter dem Meeresspiegel) schaffte es der ostfriesische Ort Freepsum sogar ins Guinness-Buch der Rekorde und zog deutschlandweite Aufmerksamkeit auf sich. Die Presseberichte über Freepsum stießen in Neuendorf (damals war noch nicht die Fusion mit dem Nachbardorf Sachsenbande erfolgt) auf Verwunderung. Dort war man seit einer halben Ewigkeit davon überzeugt: Platter als hier ist das Land nirgendwo - und tiefer gelegen schon gar nicht. Allerdings hatte niemand bisher genau nachgemessen, ob das stimmt, was seit Urvätern überliefert wurde. Also baten die Neuendorfer das zuständige Katasteramt in der Kreisstadt Itzehoe, einmal genau nachzumessen.
Das Ergebnis der Landvermessung war erstaunlich: Sage und schreibe 3,54 Meter unter Normalnull liegt eine Weide am Rande der Landesstraße 135. Anschließend entbrannte ein Streit mit den Ostfriesen um den "Tiefpunkt-Titel", denn diese dachten gar nicht daran, den Ehrentitel abzugeben - ließ dieser sich doch Tourismus-fördernd vermarkten. Sie führten sehr eigenwillige Definitionen ins Feld, was unter dem Begriff "tiefste Landstelle" zu verstehen ist. Kriterium sollte auf einmal eine Fläche von mehr als 100 Hektar sein, auf der seit jeher Landwirtschaft betrieben wird. An der Elbe ließ man sich von solchen ostfriesischen Nebelkerzen nicht blenden. Die Neuendorfer stellten klar: Ein Punkt ist eben ein Punkt und nun mal keine Fläche.
Ein Pfahl als Markierung
Ihr Anspruch auf den Titel bekamen die Neuendorfer schließlich von höchster Stelle verbrieft: Das schleswig-holsteinische Innenministerium bestätigte im Jahr 1988, dass die tiefste deutsche Landstelle in Neuendorf zu verorten ist. Nun musste der besondere Ort angemessen gewürdigt werden. Es wurde ein Hinweisschild aufgestellt, und nach einigen Schwierigkeiten fand ein Pfahl zur Markierung des tiefsten Punktes seinen endgültigen Platz. Heute lädt ein kleiner Rastplatz mit Bänken und einem Pavillon zum Verweilen ein. Auf einem weiteren Pfahl sind Sturmflutmarken angebracht, die eindrucksvoll zeigen, wie hoch das Wasser bei schweren Sturmfluten hätte steigen können, wenn die Deiche gebrochen wären.
Dass die Gegend rund um Neuendorf trotz ihrer Lage von rund dreieinhalb Metern unter dem Meeresspiegel nicht ständig unter Wasser steht, ist einem ausgeklügelten Entwässerungssystem mit Sielen, Gräben und Schöpfwerken zu verdanken - ähnlich wie in Kehdingen und im Alten Land und ebenso wie dort geschützt von hohen Deichen. Auch der tiefste Punkt des Landkreises Stade liegt unter dem Meeresspiegel. Er befindet sich im Bützflether Moor und weist eine Tiefe von 1,50 Meter unter Normalnull auf. Hingegen 60 Zentimeter über Normalnull liegt die tiefste Stelle des Landkreises Harburg in der Elbmarsch.
Der tiefste Punkt Deutschlands in Neuendorf-Sachsenbande ist nicht nur eine geografische Besonderheit, sondern auch ein Symbol für den jahrhundertealten Kampf der Menschen gegen das Wasser und die Meeresfluten.
"Blick über die Elbe"
Die neue WOCHENBLATT-Serie "Blick über die Elbe" berichtet über interessante Themen von der schleswig-holsteinischen Seite der Elbe. Es geht um Sehenswürdigkeiten, Besonderheiten, Kuriositäten und andere Dinge, die die Neugier der Redaktion geweckt haben. Die bisherigen Folgen sind hier nachzulesen:
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