Geheimrat statt Ministerpräsident?
Stephan Weils heimlicher Besuch in Stade
Medienscheu ist Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bestimmt nicht. Gerne präsentiert er sich öffentlichkeitswirksam auf Terminen und gerade hat die Staatskanzlei die Einladung an die Presse für Weils "Sommerreise" Ende Juni verschickt. Der Journalistentross darf ihn zwei Tage lang bei seiner Tour durchs Land begleiten - inklusive Medienabend in einem Hotel. Ein Zimmerkontingent für die Presse ist bereits reserviert. Auf dieser Sommertour steht auch Stade auf Weils Programm: Er will sich die Baustelle des LNG-Terminals anschauen und das Dow-Werk besuchen. Dabei schlug der Ministerpräsident gerade erst vergangene Woche bei Dows Nachbarn Olin und AOS auf - aber offenbar in geheimer Mission. Denn über diesen Besuch im Stader Industriegebiet sollte die Presse eigentlich nicht berichten. Das WOCHENBLATT hakte trotzdem nach.
Der Hinweis auf den Stade-Besuch fand sich auf Instagram: Dort postete Weil in seiner "Insta-Story" ein paar Fotos von einer Werksführung durch die AOS-Anlagen - mit dem Hinweis, es gehe um die Lage der chemischen Industrie. Das ist ein Thema, das angesichts der hohen Energiepreise nicht nur der Branche selbst, sondern auch der Politik große Sorgen bereitet. Erst kürzlich hatte das WOCHENBLATT darüber berichtet, dass unter Federführung des Landkreises und mit Unterstützung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums ein sogenanntes Standortentwicklungskonzept erstellt werden soll, um die Zukunft des Industrie- und Chemiestandortes Stade zu sichern. Der Artikel ist hier nachzulesen:
Betriebe ächzen unter den hohen Stromkosten
Dass die Betriebe auf Bützflethersand mit ihrer stromintensiven Produktion derzeit besonders gebeutelt sind, liegt auf der Hand. Dow verbrauchte zuletzt jährlich rund 4,5 Terawattstunden Strom. Das sind 0,8 Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Diese Menge entspricht dem Jahresverbrauch von rund einer Million Privathaushalten. In einer ähnlichen Größenordnung bewegt sich AOS. Dessen (Co-)Geschäftsführer Hartmut Borchers erklärte vor drei Jahren noch gegenüber der Presse, dass eine weitere Erhöhung der Strom- und Gaspreise im Zuge der Energiewende das Ende der dortigen Aluminiumherstellung einläuten könnte. Inzwischen sind die Energiekosten ins Unermessliche gestiegen - auch wenn es diesmal nicht an der Energiewende lag, sondern an den Folgen des Ukraine-Krieges. Aufgrund der hohen Strompreise soll nach WOCHENBLATT-Informationen beispielsweise die Produktion bei Olin drastisch gedrosselt worden sein.
Die Probleme der Wirtschaft vor Ort dürften Anlass genug sein für eine Berichterstattung über den Weil-Besuch. Das WOCHENBLATT stellte daher Presseanfragen mit einem konkreten Fragenkatalog an die Akteure. Vom AOS-Geschäftsführer Volker Richter kam gar keine Antwort und Weils Pressesprecherin Anke Pörksen teilte Tage später mit: "Ihre Anfrage ist mir durchgerutscht." Lediglich Olin reagierte - mit dem Hinweis, dass man an einer Antwort arbeite. Diese kam dann nach Redaktionsschluss - in Form einer wenig aussagekräftigen Pressemitteilung, die auch gleich an andere Medien verbreitet wurde.
Weil: Stade als Olin-Standort dauerhaft sichern
Bei Weils Rundgang durch das Olin-Werk sei es u.a. um hohe Energiepreise und die Überregulierung des Chemikalienrechts gegangen, heißt es in der Mitteilung. Olin benötige Unterstützung von der Politik, "um den Standort Stade auf eine 'grüne Produktion' umzustellen und die weitere Teilnahme am Weltmarkt zu ermöglichen". Die Produktion am Standort Stade solle nachhaltiger werden, so Olin-Europachef Holger Bär. Im Gegensatz zur Staatskanzlei sah sich Olin immerhin in der Lage, ein Foto sowie ein Zitat von Weil zu liefern. Der Ministerpräsident soll bei seinem Werksbesuch erklärt haben: "Es liegt im hohen Interesse des Landes Niedersachsen, die Bedingungen so zu gestalten, dass Olin als global führender Hersteller von Chlor-Alkali-Produkten, Epoxidharzen und chlorierten Lösungsmitteln dauerhaft in Stade bleiben kann und so auch den Chemiestandort Stade insgesamt stark zu erhalten."
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