"Der Fahrer ist Beobachter" - Interview mit Dr. Sven Beiker über die Zukunft des Autofahrens
Interview mit Dr. Sven Beiker / Gebürtiger Buxtehuder führt Mobilitätsunternehmen im Silicon Valley
(bim). Wie sieht die Zukunft des Autofahrens aus? Darüber informierte mit Dr. Sven Beiker (49) am Montagabend im Tostedter Autohaus Meyer ein weltweit anerkannter Experte über das Thema (s. Kasten). Im WOCHENBLATT-Interview erörterte er die Chancen und Risiken autonomen Fahrens und was sich künftig ändern wird.
WOCHENBLATT: Wie wird sich der Individualverkehr in den kommenden Jahren verändern?
Dr. Sven Beiker: Es wird selbstfahrende Fahrzeuge, elektrische Fahrzeuge, vernetzte und kommunizierende Fahrzeuge sowie den Bereich Dienstleistung, z.B. mit Carsharing geben. Immer mehr Technik und Interaktion im Auto. Daher werden dem Fahrer andere Aufgaben zuteil werden - als Beobachter oder als jemand, der gefahren wird.
WOCHENBLATT: Welche Möglichkeiten gibt es, den "Blechlawinenkollaps", der in vielen tädten Alltag ist, zu entzerren?
Sven Beiker: Das Automobil selbst wird den Kollaps nicht lösen. Und es wird nicht weniger genutzt. Da ist der Gesetzgeber gefragt, z.B. indem er anordnet, dass mindestens zwei Personen in einem Fahrzeug befördert werden müssen. In Kalifornien gibt es "Carpool-Lanes", Spuren, auf denen nur Fahrzeuge mit Fahrgemeinschaften fahren dürfen. Wir können die Autos verbessern, wie wir wollen, das Verkehrsaufkommen zu verringern, ist eine politische und eine stadtplanerische Aufgabe.
WOCHENBLATT: Wären schwebende Autos eine Lösung?
Sven Beiker: Das ist illusorisch. Beim Fliegen braucht man auch größere Abstände. Außerdem wird es wohl eine Dienstleistung für reiche Leute bleiben, die jetzt schon Helikopter nutzen können. Darauf sollten wir nicht hoffen.
WOCHENBLATT: Welche Chancen eröffnen sich durch autonomes Fahren?
Sven Beiker: Sicherheit, Mobilität, Effizienz und Zeit. Die Motivation, autonomes Fahren zu entwickeln, ist vorrangig die Sicherheit. Über 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen, u.a. durch Unaufmerksamkeit, Müdigkeit oder Trunkenheit. Das passiert bei einem Computer nicht. Computer reagieren schnell. Autos und Lkw können mit weniger Abstand fahren und sind dadurch energieeffizienter. Außerdem bietet autonomes Fahren Mobilität für ältere Menschen oder für Jugendliche ohne Führerschein in ländlichen Regionen ohne ausreichenden Öffentlichen Personennahverkehr. Und die Zeit im Auto kann besser genutzt werden, z.B. zum Frühstücken auf dem Weg zur Arbeit.
WOCHENBLATT: Welche Risiken birgt autonomes Fahren? (u.a. gab es zwei Unfälle mit Autopilot-Systemen)
Sven Beiker: Die Tesla-Unfälle sind passiert, weil die Fahrer das System überschätzt haben nach dem Motto: 'Das Auto macht das schon'. Derzeit hat der Mensch noch die Verantwortung über das Auto, also eine Aufsichtspflicht. Bis wir die Verantwortung im Auto komplett an den Computer abgeben können, dauert es noch. Die Übergangsphase ist schwierig und risikobehaftet.
Eine Sache, die in den USA diskutiert wird, ist autonomes Fahren von Lkw. Das ist aber ein Problem, weil damit viele Arbeitsplätze gefährdet würden. In 29 von 50 Bundesstaaten der USA sind Speditionen die größten Arbeitgeber.
WOCHENBLATT: Was können heutige Assistenzsysteme?
Sven Beiker: Sie können Abstand halten, eine automatische Notbremsung durchführen, die Fahrspur halten und die Spur wechseln. Und am Ende der Fahrt können sie dann auch noch automatisch einparken.
WOCHENBLATT: Bleiben die eigene Fahrtüchtigkeit und die Fähigkeit, Verkehrssituationen einzuschätzen und im Notfall aktiv eingreifen zu können, nicht auf der Strecke?
Sven Beiker: Mit dem sich wandelnden Autofahren muss sich auch die Führerscheinausbildung ändern. Ich habe noch gelernt, wie man mit einem Choke ein Fahrzeug startet, wenn beim Kaltstart der Kraftstoffanteil erhöht wird. Schon jetzt muss ich wissen, wie das Fahrverhalten mit ABS-Bremssystem ist, oder den Unterschied zwischen Automatik- und Handschaltung. Künftig muss ich genau wissen, ob ich oder das Auto lenken soll. Auch beim Autopiloten sollte man wissen, wie sich das Fahrverhalten z.B. bei schlechtem Wetter ändert und entsprechend reagieren.
WOCHENBLATT: Wie wird der Schutz vor Hacker-Übergriffen gewährleistet?
Sven Beiker: Dieses Thema nimmt die Automobilindustrie sehr ernst. Diese Expertise hat man meist nicht im Haus, da muss man sich mit Computerexperten für Cybersecuritiy zusammentun. Heutzutage ist alles vernetzt. Hackerangriffe betreffen nicht nur autonome Fahrzeuge. An das Thema sollte man besonnen herangehen. Es ist nur in Zusammenarbeit von IT-Branche und Automobilindustrie zu lösen.
WOCHENBLATT: Herr Beiker, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Dr. Sven Beiker ist in Buxtehude geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur an der Halepaghenschule studierte er an der Technischen Universität Braunschweig Maschinenbau, promovierte bei BMW und ging dann für BMW für 13 Jahre ins Silicon Valley. Danach war er u.a. sechs Jahre lang an der Stanford University im Center for Automotive Research und Dozent für Maschinenbau und Master of Business Administration, Autonomes Fahren und E-Mobilität. Sven Beiker lebt heute in Palo Alto (Kalifornien, USA) und leitet dort seit zwei Jahren sein Mobilitätsberatungsunternehmen "Silicon Valley Mobility". Außerdem ist er als Dozent an der Stanford Business School tätig.
Keine Entwicklung ohne Tradition
bim. Tostedt. Dass sich bei der Autohaus Meyer GmbH in Tostedt alles um Mobilität dreht - und das seit nunmehr 125 Jahren, steht außer Frage. "Wenn wir an Zukunft denken, hilft es, zurückzuschauen", sagte Arndt Weigel in seiner Begrüßung. Das heutige Autohaus mit Skoda- und VW-Niederlassung in Tostedt wurde 1893 in Beckdorf gegründet und ging aus einer Schmiede hervor. Jetzt widmete sich Dr. Sven Beiker, Experte u.a. für autonomes Fahren und zukunftsweisende Verkehrskonzepte, im Volkswagen-Autohaus Meyer dem Thema Automobilität der Zukunft. Rund 200 Interessierte aus Wirtschaft, Politik und Verwaltungen folgten den Ausführungen des versierten Redners, der seinen Vortrag mitunter humorvoll gestaltete.
Die Idee, den gebürtigen Buxtehuder zu einem Vortrag einzuladen, kam Autohaus-Chef Arndt Weigel, Thomas Priebe (M.A.C. System Solutions GmbH und EnvService GmbH in Egestorf) sowie Andreas Baier, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Landkreis Harburg, bei einem Gespräch mit drei Jungunternehmern beim WLH-Gründertreff Anfang November. Thomas Priebe und Sven Beiker sind seit der Schulzeit in Buxtehude befreundet, sie waren später gemeinsam bei der Bundeswehr in Stade und nahmen 1989 gemeinsam das Maschinenbaustudium in Braunschweig auf, berichtete Priebe.
Inzwischen führt Sven Beiker erfolgreich sein Mobilitätsberatungsunternehmen in Silicon Valley (USA), besucht aber noch vier bis fünf Mal im Jahr Deutschland und dann möglichst auch seine Familie in Buxtehude.
Sven Beikers Name ist sozusagen Programm, denn das gleich ausgesprochene englische Wort Biker steht für Zweiradfahrer. Sein Urgroßvater Hermann Beiker hat ab 1890 in Buxtehude u.a. Fahrräder, ab ca. 1903 dann Autos verkauft. Sven Beiker selbst ist passionierter Radfahrer. Zum Dank für seinen Vortrag schenkten Thomas Priebe und Arndt Weigel ihm das entsprechende Outfit vom "Skoda Veloteam".
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