Die Tafeln
Weniger Waren, aber mehr Bedürftige
(bim). Die Tafeln wurden einst eingerichtet, um einen Beitrag gegen Lebensmittelvernichtung zu leisten und bedürftige Menschen mit den sonst weggeworfenen Lebensmitteln zu unterstützen. Doch bei der zunehmenden Anzahl von Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, kommen die Tafeln auch in den Landkreisen Harburg und Stade an ihre Grenzen. Bei steigenden Lebenshaltungskosten und dem aktuellen und zu erwartenden Flüchtlingszustrom ist absehbar, dass weitere Menschen Bedarf haben werden.
Bei der Töster Tafel des Herbergsvereins, Altenheim und Diakoniestation zu Tostedt gebe es aktuell noch keinen großen Zulauf wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten, berichtet Herbergsvereins-Geschäftsführer Helge Johannsen. Allerdings wurde gerade eine Flüchtlingsunterkunft reaktiviert, deren 57 Bewohner ebenfalls auf die kostenlose Lebensmittelausgabe angewiesen sein werden. "Wir haben aktuell 50 bis 60 Tafel-Kunden. Wenn sich diese Anzahl verdoppelt, müssen wir die Lebensmittel aufteilen. Das ist ein Dilemma und für alle unbefriedigend", sind sich Helge Johannsen und Tafel-Koordinatorin Antje Müller einig. Die Töster Tafel hat nun vorerst einen Aufnahmestopp bis zum 15. April, um die Lage zu sondieren.
Die Ausgabe der Töster Tafel erfolgt mittwochs an einer Flüchtlingsunterkunft und an zwei Tagen auf dem Gelände des Alten- und Pflegeheims. Eine Verdoppelung der Menschen und Halbierung der Ausgabemenge würde dazu führen, dass die Kunden früher kommen und sich länger auf dem Gelände aufhalten. "Das ist eine organisatorische und logistische Herausforderung. Wir müssen auch die Sicherheit der Bewohner gewährleisten", betonen Antje Müller und Helge Johannsen.
Hinzu kommt: Die Verbrauchermärkte, von denen die Tafel sonst Lebensmittelspenden erhält, würden seit zwei Jahren so gezielt einkaufen, dass kaum Waren für Bedürftige übrig blieben. "Für neue Kunden haben wir weder die Waren noch die Lagerkapazitäten", sagen Helge Johannsen und Antje Müller. Es gebe zwar keinen gesetzlichen Anspruch darauf, bei Bedürftigkeit Lebensmittel von der Tafel zu erhalten, aber man wolle auch niemanden ausgrenzen, betont Johannsen. Wenn nun noch ukrainische Flüchtlinge hinzukommen und sich die gestiegenen Lebenshaltungskosten auswirken, könne deren Unterstützung nicht mehr gewährleistet werden. "Es ist ja gut und richtig, dass weniger Lebensmittel vernichtet werden müssen. Aber es ist ein Problem, wenn darauf ein Hilfesystem aufgebaut ist. Die Armut wird steigen", ist Helge Johannsen überzeugt.
Ausdrücklich weisen er und Antje Müller aber darauf hin, der Tafel keine Lebensmittel zu spenden. Das könnte die Lagerkapazitäten strapazieren. Auch könne bei Frischwaren nicht geprüft werden, ob die Kühlkette eingehalten wurde.
• In den Tafeln in Buxtehude und Stade werden jeweils 50 Bedürftige sowie deren Familien mit Lebensmitteln unterstützt. In den vergangenen Jahren würden die Tafeln eine steigende Zahl an Bedürftigen feststellen. "Wir erleben aktuell einen deutlichen Anstieg an ukrainischen Flüchtlingen", sagt Tafel-Koordinator Timm von Borstel. Wie viele letztlich in den Landkreis Stade kommen werden, sei noch nicht bekannt. Es könnten 200 bis mehrere tausend sein, wurde kürzlich bei einem Gespräch mit dem Landkreis berichtet. Und schon 16 bis 20 Bedürftige mehr könnten erheblich ins Gewicht fallen. "Seit Beginn des Ukraine-Krieges werden die Waren weniger", haben er und seine Teams festgestellt. Timm von Borstel schiebt das u.a. darauf, dass auch die Großhändler bestimmte Waren nicht ausreichend nachgeliefert bekommen. Die Schere zwischen weniger Ware und steigenden Flüchtlings- und Bedürftigenzahlen werde größer. Die Konsequenz: Die Ausgabemenge für den Einzelnen müsse reduziert werden. "Ich fürchte, das wird für böses Blut sorgen. Wir kennen das vom Flüchtlingszustrom 2015/16. Da kann die Stimmung schnell kippen", weiß Timm von Borstel.
Er gibt zu bedenken, dass die Tafel nicht die Aufgabe eines Vollversorgers mit feststehendem Angebot ist. "Wir helfen mit den Dingen, die wir bekommen." Noch sei die Lage bei den Tafeln in Buxtehude und Stade nicht dramatisch. "Aber das kann sich schlagartig ändern", so von Borstel. Nicht nur wegen der zu erwartenden Flüchtlinge, sondern auch wegen der immens steigenden Lebenshaltungs- und Energiekosten. Mit Letzteren muss die auf Spenden angewiesene Tafel auch selbst im Alltag zurechtkommen. "Fast alle unsere Fahrzeuge fahren mit Diesel, und auch die Kühlanlagen müssen betrieben werden. Auch uns laufen die Kosten davon", sagt Timm von Borstel.
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