Diskussion um Alpha-E und Deutschlandtakt
Bestandsstrecke ausbauen oder Neubau?
Die Debatte, ob der Ausbau vorhandener Bahnstrecken gemäß der Alpha-E-Variante, die als Kompromiss 2015 aus dem Dialogforum Schiene Nord hervorging, oder der Neubau einer Schnellstrecke von Hamburg nach Hannover die bessere Lösung ist, um den Bahnverkehr zu entzerren, spaltet den Landkreis. Nachdem die Grünen-Kreistagsfraktion jüngst mehrheitlich eine Resolution abgelehnt hat (das WOCHENBLATT berichtete), gingen eine Reihe von Leserbriefen ein:
"Die Grünen traten einmal
für Naturschutz ein"
Irene Beitzen aus Gödenstorf: Die Grünen traten früher einmal für Naturschutz ein. Die Neubaustrecke durch die Heide (mit bis zu fünf Kilometer Abstand zur A7) zerschneidet Landschaftsschutzgebiete und Lebensräume, Wälder, Weiden für artgerechte Tierhaltung … Und das in Zeiten von Artensterben, zu großem Flächenverbrauch und Flächenentwertung. Wir müssen unsere natürlichen Ressourcen schützen! Und intelligentere Lösungen für den Ausbau des Schienennetzes finden. „Augen zu und mitten durch“ ist nicht mehr zeitgemäß. Der Ausbau der Bestandsstrecke ist schonender für Natur und Umwelt.
Ich bin sehr enttäuscht und traurig, dass keine gemeinsame Resolution verabschiedet wurde. Denn ohne Natur haben wir keine Zukunft.
"Mythos Trassenbündelung
ist Erfindung der Planer"
Christian Deppner, im Namen der Bürgerinitiative „X-durch-Y“ Brackel: Bei der geplanten Neubaustrecke sind keine neuen Nahverkehrsanbindungen vorgesehen, es geht also rein um die direkte Verbindung zwischen Hamburg und Hannover ohne Zwischenhalte. Sämtliche von Leserbriefschreiber Jochim Meyn aus der Elbmarsch vorgebrachten Argumente zum ÖPNV sind also absurdum, das lässt sich auch ganz einfach erklären: Die Deutsche Bahn untersteht dem Bund, der ÖPNV ist Ländersache. Gerade weil uns der Klimaschutz wichtig ist und wir eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene befürworten, wollen wir, dass die Alpha-E Variante umgesetzt wird. Und das schon seit 2015, also seit sieben Jahren. Wir hätten also schon längst unseren Beitrag zum Klimaschutz und zur Verkehrsverlagerung umsetzen können und das ist kein Opportunismus und Angstmacherei.
Ein Wort zur „Trasse entlang der A7“: Die Neubautrasse führt nicht entlang der A7, die einzige Gemeinsamkeit ist, dass sowohl die A7 und die geplante Neubau-trasse von Norden nach Süden und umgekehrt verläuft. Als ein Beispiel möchte ich Garlstorf benennen, hier sind A7 und Trasse ca. fünf Kilometer auseinander und Garlstorf liegt noch dazwischen. Der Mythos „Trassenbündelung“ ist eine Erfindung der Planer, um der Trasse etwas Positives zu bescheinigen, rein technisch ist aufgrund der unterschiedlichen Vorgaben zur Steigung, Neigung und zu den Kurvenradien bei der Schienen- und Straßenplanung eine derartige Bündelung unmöglich.
"Nichts getan und damit
eine 'Notlage' geschaffen"
Ulrich Putensen aus Tangendorf: Leider konnte sich die Grüne Kreistagsfraktion nicht zu einer Resolution zur Durchsetzung von Alpha-E beteiligen. Ich als Grünen-Wähler bin darüber sehr enttäuscht. Alpha-E wurde in einem demokratischen Prozess mit der Bahn, Kommunen, dem Land und Bürgerinitiativen als Kompromiss erarbeitet. Von einem erweiterten Alpha-E war damals nicht die Rede. Wenn man jetzt das Ergebnis des Dialog-Forums in Frage stellt, erhöht das nicht das Vertrauen in die Politik, sondern erzeugt Frust und Politikverdrossenheit.
Seit dem Dialogforum ist gefühlt nichts von Alpha-E umgesetzt worden, sondern man hat mal nichts getan und damit eine "Notlage" geschaffen - Verspätungen von Metronom usw. Die sogenannte Lösung "Erweitertes Alpha-E" ist der verschlimmerte ursprüngliche Plan plus Alpha-E. Hier werden Ortschaften für den Preis der größeren Kurvenradien zwischen Autobahn und Bahnstrecke eingeschlossen. Entschuldigen Sie bitte den Vergleich, aber in der Tierhaltung nennt man so etwas Käfighaltung. Bitte bedenken Sie auch, dass der Luftwiderstand z.B bei 300 km/h im Gegensatz zu 200 km/h um den Faktor 2,25 größer ist (das ist kein Fake, sondern Physik) und damit der Energieverbrauch entsprechend ansteigt. Das alles soll passieren, weil man meint, so den Stundentakt für den ICE zu erreichen und damit sechs Minuten schneller von Hamburg nach Hannover zu kommen. Diese Zeit sollte sich jeder Fahrgast nehmen, um mal darüber nachzudenken, ob sich der Preis (Naturzerstörung, Energieverschwendung) dafür lohnt und ob diese Reise überhaupt notwendig ist. Viele Reisen lassen sich heute durch Online-Meetings vermeiden. Weiterhin wird in der gegenwärtigen Krise klar, dass unser Ressourcenverbrauch zu hoch ist und das früher prognostizierte Transportwachstum nicht eintreffen wird. Auch die Entscheidung, die Elbe immer tiefer auszubaggern, ist nicht nachhaltig. Alpha-E würde den Jade-Weser Port begünstigen und damit die Elbe entlasten. Hier müsste man nur noch eine Möglichkeit finden, wie man Hamburg an diesem Hafen beteiligen kann. Das hätte im Übrigen auch einen positiven Einfluss auf die Feinstaubbelastung in der Hansestadt.
"Sind die Protestaktionen
nicht Ausdruck genug?"
Petra Riege aus Garlstorf: Ist das Verhalten der Grünen im Interesse ihrer Wähler? Seit Monaten engagieren sich Bürger und Bürgerinnen gegen die Neubaustrecke der DB. Aber eine Resolution aus dem Landkreis Harburg kommt jetzt nicht zustande, weil diverse Grüne dagegen stimmen. Wurden diese nicht gewählt, um die Interessen der Bürger und Bürgerinnen zu vertreten? Sind zahlreiche Protestaktionen nicht Ausdruck genug gewesen? Unverständlich ist auch, dass gerade die Grünen nun für den Neubau sind, obwohl weit über 1.000 Hektar an Flächen (auch seltene Biotope) der Trasse weichen müssen. Für mich ein Desaster und komplett am Bürger vorbei. Ich kann nur hoffen, dass diese Kreistagsabgeordneten bei der nächsten Wahl ihren Denkzettel erhalten.
"Der Resolutionstext schloss
Schienenneubau aus"
Ruth Alpers, Grüne Kreistagsabgeordnete aus Hollenstedt: Der Text der Resolution setzt nur auf Alpha-E und schließt Schienenneubau aus. Dem kann ich mich nicht anschließen, da ich zusätzliche Schienen für unverzichtbar halte. Jeder, der einmal mit der Bahn gefahren ist, kann was erzählen. Da geht es nicht nur um „schrottige“ Züge, es geht auch um Verspätungen. Die Unzuverlässigkeit der Bahn ist der Normalfall. In den letzten Jahrzehnten wurde die Bahn kaputtgespart und nötige Erweiterungen der Infrastruktur wurden vernachlässigt. Das Dialogforum Schiene Nord war sehr breit mit vielen Teilnehmern aus möglicherweise betroffenen Gebieten angelegt. Das Ergebnis, die Variante Alpha-E konnte somit nur ein Minimalkonsens sein. Alpha-E reicht jedoch nicht aus, um die derzeitigen Probleme, die aus dem Schienenengpass entstehen, zu lösen und schon gar nicht, um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlegen, um Klimaziele einzuhalten. Auch für den Deutschlandtakt braucht man mehr Schiene. Eine Totalverweigerung hilft unseren Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nicht. Wir müssen das Verfahren zum Schienenneubau nutzen, um unsere Interessen einzubringen. Natürlich muss der endgültige Verlauf der Schiene in den Suchkorridoren so gewählt werden, dass die Belastungen für Mensch und Natur so gering wie möglich sind. Auch Schutzmaßnahmen, die über das vorgeschriebene Maß hinausgehen, sind möglich, ebenso wie zusätzliche Haltepunkte, die nur dem Nahverkehr nützen. Nichtsdestotrotz ist ein Schienenbau, wie auch ein Straßenbau, immer ein Eingriff. Es wäre leicht gewesen, der Resolution zuzustimmen und all diese teilweise persönlichen Angriffe und Unterstellungen zu vermeiden. Als ehrenamtliche Kommunalpolitikerin war und ist es mir wichtig, nicht populistisch zu sein, sondern zu meiner Überzeugung zu stehen, auch bei Gegenwind. Sind Politiker, die ehrlich sind nicht auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger?
Auf ein Wort: Ob die A7-Strecke den Nahverkehr jemals voranbringt?
Die Alpha E-Trasse wurde 2015 als Kompromisslösung gefunden, um das angeblich wachsende Güterzugaufkommen aus den Seehäfen Hamburg, Bremen und Wilhelmshaven ins Umland zu bringen. Das vorangeganene Dialogforum Schiene Nord war eine Beteiligungsmaßnahme der Bahn, um nicht wieder ein Debakel wie bei Stuttgart 21 zu erleben. Die Prognosen bewahrheiteten sich nicht, das Güteraufkommen auf der Schiene blieb hinter den Erwartungen zurück.
Während nun die Umsetzung von Alpha-E hakt (oder absichtlich verzögert wird?), hat die Bahn die ICE-Schnellstrecke für den Schienenpersonen-Nahverkehr ins Spiel gebracht. Eine öffentliche Beteiligung ist bislang Fehlanzeige.
Selbst wenn die Schnellstrecke im Zuge des "Deutschlandtakt" kommen sollte, was Bürgerproteste und Planfeststellungsverfahren auf Jahrzehnte verzögern können, hält noch kein Zug im Landkreis Harburg. Denn für den Nahverkehr und dessen Finanzierung ist das Land zuständig. Und ob das für den Nahverkehr im Landkreis Harburg Geld in die Hand nehmen wird, ist fraglich. Aktuell beweisen Bahn und Landesnahverkehrsgesellschaft, dass es nicht einmal mit der Baustellenkoordination auf der Schiene klappt. Bianca Marquardt
Alle Texte zu "Alpha-E“
4 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.