Die "Bibel" für Tostedts Zukunft
Fortführung des Entwicklungskonzeptes durch vier Stadtplanungs-Studenten erhielt viel Beifall
bim. Tostedt. Manchmal lohnt ein unvoreingenommener Blick von außen und das Anhören von Bürgerinnen und Bürgern: Vier angehende Stadtplaner der HafenCity Universität Hamburg hatten sich für ihre Bachelor- bzw. Masterabschlussarbeiten der Aktualisierung des 2001 vorgelegten Entwicklungskonzeptes für die Gemeinde Tostedt gewidmet. Die Ergebnisse wurden vom Planungsausschuss und dem anwesenden Publikum mit Beifall belohnt. Außerdem sollen die Arbeiten als Grundlage für die Fortschreibung des Entwicklungskonzeptes durch ein noch zu beauftragendes Planungsbüro dienen. Dieses Konzept soll dann Arbeitsgrundlage der künftigen Gemeinderäte sein oder - wie Ratsherr Burkhard Allwardt (parteilos) es bezeichnete: "die Bibel für unsere Zukunft".
Die Corona-Einschränkungen haben die Arbeit von Kathrin Kleinfeld, Björn Bonna, Nils Richter und Sönke Pleß zwar erschwert und die Zusammenarbeit mit dem Bauamt zumeist auf Telefonate reduziert. Andererseits hat das aber auch zu den aussagekräftigen Ergebnissen geführt. Denn statt eines Workshops führten die Studenten Befragungen durch, an denen sich 400 Tostedter beteiligten.
Nils Richter und Sönke Pleß widmeten sich der Siedlungs-, Wohn- und Grünraumentwicklung. Die Tostedter wünschen sich hier insbesondere bezahlbaren Wohnraum, sozialen Wohnraum, neue Wohnformen und intelligente Nachverdichtung sowie mehr Parks, Spielplätze, Sitzgelegenheiten und den Erhalt des bestehenden Grüns.
Die Studenten hatten die zuletzt geänderten oder aufgestellten Bebauungspläne analysiert. So sei zwischen Bahnhof- und Poststraße sowie rund um den Baumschulenweg viel Nachverdichtung erfolgt, die Gartenstadt Heidloh wurde ab 2001 abschnittweise erschlossen, der Timmhorstkamp vom Misch- in ein Wohngebiet umgewandelt. Spannend war für die Studenten, dass seit 2014 die Anzahl der Mehrfamilienhäuser zugenommen hat. Laut den gültigen Flächennutzungsplänen gebe es noch Wohnpotenzial mit dem vierten Abschnitt der Gartenstadt Heidloh, an der Heidenauer Straße sowie an Weller Straße und Niedersachsenstraße.
Die zentralen Grünflächen zwischen dem Marktplatz und der Kirche sowie Im Stocken seien zu erhalten, aber noch nicht in die Infrastruktur eingebunden, meinten Richter und Pleß. Das Konzept des geplanten Bewegungsparks Heidloh könne für die Gemeinde Strahlkraft haben.
Es herrscht eine
hohe Wohnzufriedenheit
Ihr Fazit: In Tostedt herrscht eine hohe Wohnzufriedenheit, aber die Menschen wünschen sich, dass das Ortsbild erhalten wird. Es gehe um die Frage, wie Wohnraum geschickt platziert werden könne. Die hohen Mehrgeschossbauten wären für den Erhalt des Ortsbildes kritisch. Die Gemeinde solle Wohnraum durch Nachverdichtung und Umsetzung der laut Flächennutzungsplänen möglichen Bebauung realisieren, allerdings bei moderater Preisgestaltung. Bei den Grünflächen gehe es u.a. darum, diese erlebbarer zu machen und lokale Akteure einzubinden.
Kathrin Kleinfeld und Björn Bonna hatten die soziale- und technische Infrastruktur sowie Dienstleistung und Einzelhandel, auch unter Berücksichtigung von Barrierefreiheit und Umweltschutz, bei Ortsbegehung, Datenrecherche und Öffentlichkeitsbeteiligung näher betrachtet.
Ein Kritikpunkt war der Ärztemangel. Hier könne die Gemeinde Werbung für das Stipendienprogramm des Landkreises machen und selbst Tostedt als Praxisstandort bewerben.
Es gelte, bedarfsgerecht Betreuungs- und Bildungsplätze sicherzustellen anhand von Bevölkerungsprognosen sowie dem Ausbau von Grundschulplätzen, basierend auf der Entwicklung der Kindertagesstättenplätze. Ebenso sei ein regelmäßiger Austausch der Seniorenwohnanlagen und Pflegeeinrichtungen notwendig für ausreichende Seniorenangebote.
Weiterhin fehle eine verkehrliche Ausrichtung. Es gebe zu viel Individualverkehr und nur ein eingeschränktes Busangebot im Freizeitverkehr sowie wenig attraktive Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer. Lösungsvorschläge sind mehr Unterstell- und Sitzmöglichkeiten an den Bushaltestellen, das Prüfen alternativer Mobilitätsangebote wie Shuttlebusse, mehr Fahrradständer an strategischen Punkten sowie das Weiterverfolgen und Konkretisieren einer Umgehungsstraße.
Bei Einzelhandel und Dienstleistung gebe es eine ungünstige Verteilung des Lebensmitteleinzelhandels - viele Geschäfte im Gewerbegebiet Zinnhütte, aber eine Unterversorgung im Westen. Beispielhaft wurde der geschlossene Lidl-Markt Am Westbahnhof genannt. Eine Handlungsempfehlung sei die Umsetzung des Einzelhandelskonzeptes für eine zentrale, wohnortnahe Versorgung und Verlagerung des Lebensmittelhandels von der Zinnhütte ins Zentrum.
Grundsätzlich fehle ein Bewusstsein, was die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum angeht. Dabei gehe es nicht nur um mobilitätseingeschränkte Menschen, sondern auch um Seh- oder Hörgeschädigte. Bei der barrierefreien Gestaltung könnten u.a. ein Behindertenbeauftragter und ein Leitfaden für Gewerbe-, Dienstleistungs- und Einzelhandelsgeschäfte helfen.
Beim Umweltschutz müsse die Gemeinde den Fokus stärker auf Elektromobilität legen. Auch gebe es Potenzial für erneuerbare Energiesysteme.
Manchmal hapert es
an Zuständigkeiten
Manche der angesprochenen Dinge wie u.a. der Ausbau des Radwegenetzes sind bereits im Werden, dauern aber lange. Prozesse wie die Ansiedlung von Verbrauchermärkten in der Zinnhütte lassen sich nicht rückgängig machen. Auch wird manches Vorhaben durch Zuständigkeiten erschwert, z.B. bei Straßen, die in Bundes-, Landes- oder Kreishoheit fallen, oder bei den Arztniederlassungen. Dennoch waren sich die Ausschussmitglieder einig, dass die Arbeiten der Studierenden wichtige Denkanstöße geliefert haben.
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