Handeloh
Landwirte sprechen über Chancen und Nöte
Seit Wochen demonstrieren heimische Landwirte mit Trecker-Demos und -Blockaden gegen die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Subventionskürzungen. Obwohl die Kfz-Besteuerung von landwirtschaftlichen Fahrzeugen längst vom Tisch ist, protestieren die Bauern weiter mit Traktor-Kolonnen - vorgeblich wegen des Wegfalls der Agrardiesel-Rückvergütung. Doch das dürfte lediglich der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Vielmehr beklagen und beklagten Landwirte seit Jahrzehnten die stetig anwachsende Bürokratie - nicht erst seit der "Ampel". Unter dem Titel "Landwirtschaft im Wandel" nahmen zwei Landwirte und eine Landwirtin jetzt bei einem Neujahrsauftakttrefen auf dem Hof Wörme in Handeloh (Landkreis Harburg) Stellung zu Chancen und Nöten ihrer Branche, moderiert von Gastgeberin Sonja Kröger.Biohof Wilkenshoff
Ulrike Cohrs bewirtschaftet den Wilkenshoff in Ochtmannsbruch, seit 2016 nach Bioland-Norm zertifiziert, in 13. Generation. Auf 180 Hektar gehört extensives Grünland zum Hof, dazu der Anbau von Getreide, Kartoffeln und Gemüse sowie 80 Mutterkühe (Charolais- und Welsh-Black-Rinder), Schweine alter Rassen sowie Hühner. Besonderheit ist der seit dem Jahr 2008 bestehende Bauernhofkindergarten mit derzeit 47 Kindern in drei Gruppen. Spezialisiert ist der Wilkenshoff auf die Direktvermarktung, u.a. von Gemüsekisten. Außerdem gibt es auf dem Wilkenshoff einen Hofladen und ein Hofcafé. Ackerbau und Direktvermarktung
Jochen Hartmann vom Hof Hartmann in Rettmer (Lüneburg) führt mit seiner Frau Hilke in 19. Generation einen 200-Hektar-Ackerbaubetrieb mit Schwerpunkt Rüben und Kartoffeln, einem mobilen Hennenstall und der Direktvermarktung als wichtigstem Zweig. Seit dem Jahr 2016 ist der Hof einer von deutschlandweit zehn landwirtschaftlichen Partnerbetrieben des Projekts "F.R.A.N.Z." - für Ressourcen, Agrarwirtschaft und Naturschutz mit Zukunft. Unter anderem begleitet von der Universität Göttingen geht es darum, Maßnahmen für mehr Biodiversität besser in die Strukturen und Abläufe der konventionellen Landwirtschaft zu integrieren.Ackerbau und Lohnunternehmen
Landwirtschaftsmeister Karl-Siegfried Jobmann hat einen Ackerbaubetrieb in Tostedt und Langeloh mit insgesamt 500 Hektar, auf denen er Roggen, Weizen, Gerste, Silomais und Körnerraps anbaut, sowie ein Lohnunternehmen, mit dem er u.a. Dienstleistungen von der Saat bis zur Ernte anbietet. Die zuvor zum Betrieb gehörenden Kühe habe er im Jahr 1999 abgeschafft.Überbordende
Bürokratie
"Ich möchte von meinem Beruf leben", stellte er klar. Er ärgert sich weniger über den Wegfall der Agrardiesel-Rückvergütung, "sondern das Dokumentieren mit der Bürokratie macht keinen Spaß". Und: "Als ich in der Lehre war, musste man eine Furche gerade pflügen können, heute müssen wir wissen, wie wir einen Antrag ausfüllen." Karl-Siegfried Jobmann wird in Sachen Bürokratie von seinem Sohn (25), der seine Landwirtschaftsausbildung abgeschlossen hat, unterstützt.
Dennoch geht es mitunter nicht ohne externe Beratung, u.a. durch Landberatung oder Landvolk, da sich die Verträge auch dauernd ändern würden, wie Claus Bohling, der mit seiner Frau Ulrike Cohrs gemeinsam den Wilkenshoff bewirtschaftet, berichtete. "Im biologischen Anbau wird man doppelt kontrolliert. Ich habe den Beruf aus Leidenschaft gewählt und verbringe so viel Zeit im Büro", bedauerte Ulrike Cohrs.Brennendes Thema
Wassernutzung
Ein brennendes Thema ist die Wassernutzung. Jochen Hartmann beregnet alle Flächen, nutzt aber u.a. Pappeln und Weiden, um Wind von den Flächen zu nehmen und für weniger Verdunstung zu sorgen. "Es geht nicht nur um die Wassermenge, sondern wir brauchen auch die richtige Biologie im Boden, bestimmte Pilze, die für die Pflanzen Wasser besorgen", meinte er und nannte Mykorrhiza-Pilze, die die Pflanzen auch mit dem fürs Wachstum wichtigen Phosphor versorgen, was eine andere Düngestrategie ermöglicht.
Karl-Siegfried Jobmann beregnet seine Flächen nicht mehr. Diese würden stattdessen gegrubbert, der Boden also gelockert und Erntereste und Dünger eingearbeitet, wodurch der Boden das Wasser besser halte.
Ulrike Cohrs verfügt über zwei Brunnen für die Tröpfchen-Beregnung des Gemüses. Der Wilkenshoff hat außerdem einen Hektar Land von seinem Nachbarn Juk Nguyen zur Verfügung gestellt bekommen, auf dem mit dem Hamburger Verein "WeField" und unterstützt von vielen Helfern mehr als 1.000 Bäume gepflanzt wurden. Dort soll u.a. ein Agroforstsystem mit Schafen und natürlichem Wald entstehen aus veredelten Obst-, Nuss- und Beerensorten für den Verzehr.Windkraft und
Photovoltaik
Eine Zukunftsfrage ist für Landwirte auch das Bereitstellen bzw. Verpachten von Flächen für Windkraft und Photovoltaik (PV).
Jochen Hartmann hat noch keine PV-Anlage, aber eine Windparkbeteiligung. In den nächsten fünf Jahren plant er ein energetisches Gesamtkonzept für den Betrieb.
Ulrike Cohrs setzt auf Hackschnitzelheizung und hat seit acht Jahren zwei PV-Anlagen auf Scheune und Reithalle. An der nahe gelegenen Autobahn seien Windräder geplant. Diese dort zu platzieren, sei auch sinnvoll. Die Hof-Chefin tut sich schwer mit PV auf Freiflächen. Dadurch gehe viel Pachtland verloren.
Karl-Siegfried Jobmann heizt mit Gas. Eine Scheitholzheizung zu bauen, habe er aufgrund der Kosten verworfen. "Ich habe einen Hektar Grünland in Otter. Die Windräder dort stehen teilweise still, weil sich der produzierte Strom nicht einspeisen lässt", berichtete er. Man solle nicht alle Flächen zupflastern mit PV-Platten, der Strom solle vielmehr dort erzeugt werden, wo er gebraucht wird, so seine Überzeugung.
Claus Bohling, auch Geschäftsführer der Industrieberatung Umwelt, bescheinigt PV eine extrem schlechte Flächeneffizienz. "2.500 Stunden im Jahr weht Wind, 1.000 Stunden im Jahr scheint die Sonne", erklärte er. Für fünf Megawatt Sonnenstrom benötige man vier Hektar Fläche, eine Windmühle brauche für die gleiche Stromerzeugung nur ein Viertel der Fläche. Zukunftswünsche
Jochen Hartmann wünscht sich mehr Begeisterung für die Zukunft.
Karl-Siegfried Jobmann würde sich freuen, "wenn unseren Kindern die Landwirtschaft genauso viel Spaß macht und das Bild von Bauern in der Bevölkerung besser wird".
Ulrike Cohrs wünscht sich eine "direktere Wertschätzung für unsere Arbeit und dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet, was jeder selbst bewirken kann". Stichwort Subventionen
Alle drei Podiumsgäste würden gerne auf Subventionen verzichten, das funktioniere aber leider nicht. Das wäre womöglich anders, wenn die Verbraucher bereit wären, für ihre Lebensmittel ein paar Cent bis einen Euro mehr zu zahlen für heimisch erzeugte landwirtschaftliche Produkte statt für die Importware aus Osteuropa.
Landfrau Bettina Brenning aus dem Publikum brachte es anschließend auf den Punkt: "Toll, drei so unterschiedliche Betriebe kennenzulernen. Schade, dass die Politik mit den Dokumentationspflichten den Landwirten per se abspricht, dass sie wissen, was sie tun."
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