Naturschutzgebiet "Mittleres Estetal" zerstört Generationenvertrag

Helmut Detje (vorn) und Dirk Kleinekampmann an einer Wiese in der Breitensteiner Allee in Hollenstedt, die etwa zur Hälfte zum Naturschutzgebiet gehört. Die Grenze ist dort, wo das Pferd und der Pylon im Hintergrund zu sehen sind
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  • Helmut Detje (vorn) und Dirk Kleinekampmann an einer Wiese in der Breitensteiner Allee in Hollenstedt, die etwa zur Hälfte zum Naturschutzgebiet gehört. Die Grenze ist dort, wo das Pferd und der Pylon im Hintergrund zu sehen sind
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bim. Hollenstedt. Die Ausweisung des Naturschutzgebietes (NSG) „Mittleres Estetal“ sorgt bei den Anwohnern der Breitensteiner Allee im Ortskern von Hollenstedt für schlaflose Nächte: Darunter Familie Kleinekampmann, die in ihrer ganz persönlichen Lebensplanung betroffen ist, weil ihr ein laut Flächennutzungsplan von 1974 möglicher Bauplatz weggenommen werden könnte, wenn es bei den jetzigen Plänen bleibt. „Das ist kalte Enteignung“, kritisiert Dirk Kleinekampmann.
Entlang der Breitensteiner Allee gibt es auf beiden Seiten Wohnbebauung. Mittendrin liegen die Baufläche von Familie Kleinekampmann und die Estewiese, die nachträglich in die NSG-Karte aufgenommen worden seien, berichten Anlieger, die im Rahmen der öffentlichen Beteiligung Veto eingelegt und dieses mit 38 Unterschriften untermauert haben. Sie fürchten, dass die Estewiesen nicht mehr gepflegt werden und zuwuchern. Und Bäume dann nicht nur die Aussicht nehmen, sondern auch viel Feuchtigkeit bringen.
„Die Fläche Engemann ist als Bau- und Freifläche ausgewiesen und unsere Altersvorsorge, falls jemand aus der Familie im Alter oder wegen eines möglichen Verdienstausfalls finanzielle Unterstützung braucht, oder eines unserer Kinder dort bauen möchte, um uns später zu versorgen“, erläutert Dirk Kleinekampmann. Seit den 1960er Jahren zahle sein Schwiegervater Grundsteuer B für das Grundstück, das seit den 1970er Jahren an den Kanal angeschlossen ist - also eindeutig für Wohnbebauung vorgesehen sei.„Laut Politik wird die Familie groß geschrieben, die Jungen sollen für die Alten sorgen. Und hier machen sie uns alles kaputt“, klagt er.
Was zur Einbeziehung dieses und des Nachbargrundstücks ins NSG führen könnte: Dort gibt es einen sogenannten Flugwald - einen durch fliegende Samen selbst gesäten Wald, der als besonders schützenswert gilt.
Allerdings: Die Este-Inseln im Ortskern von Moisburg wurden mit der Begründung aus der geplanten NSG-Ausweisung herausgenommen, dass es dort sonst keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr gäbe. Und die Hollenstedter verstehen nicht, warum ihnen eben diese genommen werden sollen.

Anwohner der Breitensteiner Allee: "Landschaftsschutz reicht!"

bim. Hollenstedt. Die Estewiesen an der Breitensteiner Allee inmitten von Hollenstedt sind seit rund 80 Jahren Landschaftsschutzgebiet (LSG). Das soll - wenn es nach den Anwohnern geht - auch möglichst so bleiben. Würde diese Fläche Bestandteil des Naturschutzgebietes (NSG) „Mittleres Estetal“ sei zu befürchten, dass die Anwohner die Fläche - wie seit Generationen geschehen - nicht mehr pflegen dürften wie bisher und der Landkreis es nicht könne. Und dass alles mit Wald zuwuchert, erläutert Anwohnerin Dr. Inge Buggenthin. „Das, was geschützt werden soll, würde sich gravierend verändern, die schützenswerten Wiesen wären dann weg“, sagt sie. Inge Buggenthin und weitere Anwohner der Breitensteiner Allee, darunter Dirk Kleinekampmann und Helmut Detje, fordern, dass die ca. drei Hektar in der Hollenstedter Ortsmitte, die ins NSG „Mittleres Estetal“ einbezogen werden sollen, wieder herausgenommen werden - so wie es mit den Flächen in Moisburgs Ortsmitte geschehen ist.
Der Landkreis Harburg steht unter Druck, denn bis Ende 2018 müssen die sogenannten Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebiete EU-konform gesichert sein. Doch das müsse auch laut den Vorgaben der Europäischen Union nicht zwingend durch die Umwandlung von Landschafts- in Naturschutzgebiete geschehen, wenn die Pflege-, Instandsetzungs- und Unterhaltungsmaßnahmen im Sinne des Naturschutzes ausgeführt werden. Zudem hätten LSG, zu denen das innerörtliche Estetal gehört, eine besondere Bedeutung und sollten für den dauerhaften Erhalt nicht verändert werden. Der besondere Schutz sei gegeben wegen der kulturhistorischen Bedeutung durch die 350-jährige Bewirtschaftung der Estewiesen, erläutert die promovierte Volkskundlerin Inge Buggenthin. Und wegen der Bedeutung der Estewiesen für die Erholung innerhalb des Regionalparks Rosengarten, die zu kurz komme, wenn Erholungssuchende künftig nur noch auf eineinhalb Meter breiten Wegen, umgeben von Wald und ohne weite Aussicht, spazieren könnten.
Dirk Kleinekampmann, dessen Bauerwartungsland mit dem Flugwald ins NSG aufgenommen werden soll, sieht noch ein weiteres Problem: „Naturschutz bedeutet für Wald, wir dürfen dort nichts mehr machen, aber wir müssen haften, wenn etwas passiert“, erklärt er. „Die Frage ist, ob es nicht außerhalb des bewohnten Gebietes Flächen gibt, die man als Naturschutzgebiet ausweisen kann“, meint er.
Sowohl bei Dr. Inge Buggenthin als auch u.a. bei Helmut Detje würde die Grenze des geplanten Naturschutzgebietes quer über ihre Grundstücke verlaufen. Damit die NSG-Grenze nicht mitten durchs Dorf führt, wäre Viehhändler Detje sogar bereit, außerorts Flächen als Ausgleich zur Verfügung zu stellen.

Waldbauer Thilo von Rogister: „Ökologisch nicht nachvollziehbar“

bim. Bötersheim. Erheblich betroffen von der geplanten Ausweisung des NSG „Mittleres Estetal“ ist auch der seit mehreren Hundert Jahren bestehende land- und forstwirtschaftliche Betrieb der Familie von Rogister in Bötersheim (Samtgemeinde Tostedt). „Rund 50 Hektar land- und forstwirtschaftliche Nutzfläche des Betriebes würden zukünftig im NSG liegen, damit würden über zehn Prozent der Gesamtfläche des NSG von 477 ha auf unsere Betriebsflächen entfallen“, erläutert Thilo von Rogister. Zusätzlich werde der Betrieb von der geplanten Ausweisung des nächsten NSG „Oberes Estetal“ betroffen sein. „In Summe müssen wir befürchten, dass dann voraussichtlich über 20 Prozent unseres Betriebes in den genannten Naturschutzgebieten liegen werden. Das führt zu einem massiven Wertverlust des Verkehrswertes, da Banken nur noch eingeschränkt oder geringfügig Flächen im NSG als Sicherheit akzeptieren, diese also regelmäßig nicht mehr oder nur geringfügig beliehen werden können für mögliche Investitionen, und Naturschutzverbände im Verkaufsfalle im NSG immer ein Vorkaufsrecht erhalten. Daher wird man gegebenenfalls schwer einen Käufer für solche Flächen finden, da jeder davon ausgeht, dass das Vorkaufsrecht von Verbänden oder aber dem Landkreis ausgeübt wird.“
Außerdem würden durch die geplante NSG-Verordnung viele Dinge verboten oder nur mit Zustimmung der unteren Naturschutzbehörde unter Auflagen erlaubt. Dazu gehöre im Wald die Wahl der Baumart, die man pflanzen darf. „Sogenannte, nach Ansicht der Naturschutzbehörde 'nichtheimische' bzw. 'gebietsfremde' Arten wie die Fichte oder die Douglasie, die aber schon seit über 100 Jahren in unseren Wäldern wachsen und unsere 'Brotbaumarten' sind, von denen wir als Waldbauern leben, dürfen im NSG nicht mehr gepflanzt werden. Stattdessen sollen heimische Laubhölzer wie Eiche und Buche gepflanzt werden“, erklärt von Rogister.
Rund 19 Hektar seiner Forstflächen würden unter den sogenannten Waldtyp A im geplanten NSG fallen, die zwar keine FFH-Lebensraumtypen enthalten, aber trotzdem mit bestimmten Verboten belegt werden sollen. Unter anderem dürften die von Rogisters auf diesen Flächen nicht mehr mit der Douglasie oder Fichte arbeiten, wodurch sie einen jährlichen Verlust von ca. 8.800 Euro verkraften müssten. Hinzu kämen u.a. erhebliche Mehrkosten durch Bewirtschaftungseinschränkungen.
„Ökologisch ist das auch nicht nachvollziehbar, da wir gerade einen starken Holzzuwachs anstreben sollten, damit im Holz möglichst viel CO2 gebunden wird, das ja sonst den Klimawandel weiter anheizt“, so Thilo von Rogister, der zu Bedenken gibt: „Wenn sich die klimatischen Bedingungen bei uns ändern, wird sich auch die Fauna und Flora entsprechend ändern, daran ändert auch die Ausweisung eines NSG nichts. Zukunftsgewandt sollten wir Baumarten suchen, die dem Klimawandel standhalten und nicht einen kleinen Zeitausschnitt in der Entwicklung krampfhaft festhalten, wenn dies die dynamischen Prozesse in der Natur nicht zulassen.“
Mit dem Schutzstatus des Landschaftschutzgebietes und Regelungen über den Vertragsnaturschutz und entsprechende Managementpläne gebe es die Möglichkeit, gezielt und im Miteinander mit den Bewirtschaftern der Flächen den entsprechenden Arten zu helfen. „In vielen umliegenden Landkreisen geht man diesen Weg, ich frage mich, warum man im Landkreis Harburg mit der 'ordnungspolitischen Keule' des NSG die betroffenen Bürger vieler Rechte enteignet, wenn man auch in Zusammenarbeit mit den Land- und Forstwirten über Vertragsnaturschutz diese Ziele erreichen könnte“, so von Rogister.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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