Interview
Schöffe gibt Einblick in seine Tätigkeit am Amtsgericht
Seit 14 Jahren ist Gunter Heise (70) aus Buchholz als Schöffe am Amtsgericht Tostedt tätig. Im Interview mit WOCHENBLATT-Redakteur Thomas Sulzyc berichtet er von seinen Erfahrungen.
WOCHENBLATT: Herr Heise, sind Sie ein Paragrafenreiter?
Gunter Heise: Nein, das muss ein Schöffe auch nicht sein. Als Laienrichter ist es ja gerade meine Aufgabe, dem hauptamtlichen Richter Sichtweisen abseits der juristischen Kategorien erkenntlich zu machen. Ich bin eher ein pragmatischer Mensch.
WOCHENBLATT: Wie ist Ihr persönliches Rechtsempfinden? Neigen Sie bei der Strafzumessung eher zu einer harten Linie?
Gunter Heise: Ich formuliere das mal so: Wenn Strafe, dann soll sie spürbar sein. Gleichzeitig ist es wichtig, den Tätern eine Zukunftsperspektive zu geben. Das ist eine Gratwanderung.
WOCHENBLATT: Wie sind Sie Schöffe geworden? Haben Sie sich auf das Ehrenamt beworben - oder hat der Staat Sie nach dem Zufallsprinzip ausgewählt?
Gunter Heise: Ich habe mich beworben, weil mich die Arbeit des Laienrichters interessiert hat. Ich habe mich immer für Menschen interessiert. Beruflich war ich als Fachreferatsleiter im Personalwesen tätig. Lange Zeit habe ich das Theaterensemble "De Steenbeeker" geleitet. Da liegt es in meiner Aufgabe, Menschen zusammenzubringen und ausgleichend zu wirken.
WOCHENBLATT: Wie oft werden Sie zu einem Prozess gerufen?
Gunter Heise: Im Jahr etwa acht bis zwölf Mal. In einzelnen Fällen kann es vorkommen, dass ein Verfahren sich über mehrere Tage hinzieht. Ich erinnere mich an einem Fall von Wirtschaftskriminalität, der ein Dreivierteljahr dauerte.
WOCHENBLATT: Worum ging es da?
Gunter Heise: Um Betrug bei Immobilien im osteuropäischen Ausland.
WOCHENBLATT: Gab es Fälle, die Ihnen persönlich nahegegangen sind?
Gunter Heise: Ein Fall von Kindesmissbrauch. Da habe ich in menschliche Abgründe geschaut. Ein Stiefvater hatte seinen Sohn schwer misshandelt. Der Angeklagte drohte sogar, dass Kind zu töten. Das war sehr tragisch. Da sitzt so ein Mensch auf der Anklagebank, in den niemand hineinschauen kann.
WOCHENBLATT: Hatten Sie mal unangenehme Begegnungen im Zusammenhang mit dem Schöffenamt, zum Beispiel nach einem Urteil?
Gunter Heise: Bei einer Strafsache, bei der es um Handel mit Drogen ging, überkam mich ein ungutes Gefühl. Der Fall ereignete sich im Raum Tostedt. Die Ermittlungen waren aufwendig, mit Observationen und Abhören von Telefonaten. Am Verhandlungstag saß der gesamte Familienclan des Angeklagten im Gerichtssaal. Die Atmosphäre war angespannt, weil der Haftbefehl vollstreckt wurde. Am Ende der Verhandlung habe ich überlegt, ob ich etwa länger im Gerichtsgebäude verweile und abwarte.
WOCHENBLATT: Schöffen erhalten eine Aufwandsentschädigung. Zahlt der Staat wenigstens den Mindestlohn?
Gunter Heise: Schöffen erhalten ein sogenanntes Tagegeld, um sich zum Beispiel in der Mittagspause etwa zu essen kaufen zu können. Die Höhe der Summe weiß ich nicht, hat mich nie interessiert. Für mich zählt das Ideelle am Schöffenamt.
WOCHENBLATT: Sie haben die Altersgrenze erreicht. Eine neue Schöffenamtsperiode dürfen Sie nicht antreten. Werden Sie das Ehrenamt vermissen?
Gunter Heise: 15 Jahre Schöffentätigkeit sind eine lange Zeit. Ich bin immer gern Schöffe gewesen. Das liegt in meiner Mentalität. An Aufgaben mangelt es mir nicht. Ich habe eine Musikgruppe. Ich bin Vorsitzender des Kulturförderkreis der Empore Buchholz. Und ich singe mit dem Chor De Tampentrekker in der Fernsehsendung "Inas Nacht".
Niedersachsen sucht 6.000 Schöffen
In Niedersachsen werden rund 6.000 Schöffen gesucht. Die Bewerbungsfrist (Listen liegen in den Kommunen aus) endet Ende Februar. Bewerberinnen und Bewerber müssen zwischen 25 und 69 Jahre alt sein. Zudem dürfen sie keine Vorstrafen haben und nicht in der Justiz arbeiten.
Fünf Jahre beträgt die Amtszeit von Schöffen in der Strafjustiz. In der aktuellen Periode von 2019 bis 2023 sind am Amtsgericht Tostedt insgesamt 16 Schöffen und Schöffinnen und ebenso viele Ersatzschöffen und -schöffinnen tätig. Die eine Hälfte von ihnen kommt beim Erwachsenen-, die andere beim Jugendgericht zum Einsatz. „Genau so viele werden für die Amtsperiode ab dem 1. Januar 2024 wieder gebraucht“, sagt Amtsgerichtsdirektorin Dr. Astrid Hillenbrenner.
Redakteur:Thomas Sulzyc aus Seevetal | |
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