Tostedt
Starkes Zeichen für Demokratie, Toleranz und Vielfalt
"Wir alle sind täglich dazu aufgerufen, einzustehen gegen Rechtsextremiusmus, braunes Gedankengut und Entmenschlichung. Wir sind mehr!" Das rief Anja Kämpker, eine der Flüchtlingsunterstützerinnen der ersten Stunde, jetzt den zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kundgebung auf dem Platz Am Sande in Tostedt zu und erhielt viel Beifall. Rund 1.000 Menschen aus dem Landkreis und aus Nachbarlandkreisen hatten sich dort versammelt, um ein Zeichen für Demokratie und Menschenrechte zu setzen.
Auf den hochgehaltenen Bannern war etwa zu lesen: "Wer Stroh im Kopf hat, fürchtet den Funken Wahrheit" (Jupp Müller), "Wo Zivilcouage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit" (Willy Brandt) oder: "Es gehört mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben." (Friedrich Hebbel).
Anja Kämpker bekannte, in ihren fast 60 Lebensjahren das Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit unserer Rechtsstaatlichkeit nie hinterfragt zu haben. 2015/16 sei für sie der Startpunkt gewesen, sich in der Willkommenskultur für Flüchtlinge zu engagieren. Sie habe dabei viele Menschen aus aller Welt kennengelernt, die diese Sicherheit in Deutschland suchten. "Unsere Rechtsstaatlichkeit wird nun von einigen infrage gestellt", sagte Kämpker.
Schweigeminute für Opfer in der Ukraine
Tostedts Bürgermeisterin Nadja Weippert rief anlässlich des seit zwei Jahren währenden russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zunächst zu einer Schweigeminute auf "für alle Opfer, für alle verschleppten Kinder und für alle, die in Angst leben um ihre Lieben".
Dann zitierte sie aus dem Grundgesetz: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich".
Sie erinnerte auch an Gustav Schneeclaus, der sich gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten aussprach und deshalb im März vor 32 Jahren von zwei Nazis, davon einer aus Tostedt, in Buxtehude angegriffen wurde und später an den Folgen starb.
Tostedt werde von Auswärtigen noch heute häufig als braun eingestuft. Weippert betonte: "Tostedt ist kein braunes Nest mehr. Das wollen wir nie wieder haben."
"Wir wollen keine Faschisten an der Macht!"
Seit November 2023 sei durch die Enthüllungen eines vermeintlichen privaten Treffens von AfD-Mitgliedern und einem Redner der Identitären Bewegung durch das Recherchezentrum "Correctiv" die dort als Ziel genannte "Remigration" öffentlich geworden. "Das ist nichts anderes als Deportation, auch von Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft und politisch Andersdenkenden", so Weippert. "Wir wollen keine Faschisten an der Macht haben. Hört auf, das umudrehen, Ihr Nazis, Ihr seid die Faschisten, nicht wir!"
Der Kampf habe sich aber inzwischen von der Straße ins Internet verlagert. Dort würden Hass, Hetze, Fake News und Verschwörungstheorien verbreitet als Nährboden für rechtes Gedankengut. Daran habe sich seit 1933 nichts geändert: die Angst vor unbekannten Gefahren, dem Fremden, der Vielfalt. Das A im Namen AfD stehe für diese Angst, erklärte Weippert.
Ehrenamtliche Politiker werden entmenschlicht
Auch sie und andere ehrenamtlich tätige Politiker würden auf Facebook angefeindet und entmenschlicht. Dabei seien sie es, die wichtige Entscheidungen für die örtliche Infrastruktur träfen. Nadja Weippert rief dazu auf: "Wenn Ihr nicht wisst, wie Beschlüsse zustande kommen, kommt in die Gemeinderatssitzungen oder sprecht uns an."
Gregor Rick vom Forum für Zivilcourage sagte, es sei wichtig für die Demokratie, dass Hunderttausende Menschen in den vergangenen Wochen für eine offene, tolerante und diverse Gesellschaft auf die Straße gegangen sind.
Als Vertreter der evangelischen Kirche sprach Wilko Burgwal, Pastor aus Soltau. Er habe die Pegelstände beobachtet - nicht die des gestiegenen Wassers, sondern die Grenzen dessen, was man in Bezug auf Holocaustleugnung öffentlich sagen darf. Und jetzt sei wieder von Deportationen die Rede.
In den 1980er und 90er Jahren wurde in vielen Fächern das Dritte Reich behandelt. "Ich dachte, es wäre mal genug, aber es hat nicht gereicht, wenn ich auf die Entwicklung der letzten Jahre schaue", so Burgwal. "Einfache Antworten auf komplexe Fragen verfangen wie damals. Die evangelische Kirche steht zu ihrem klaren Nein zu Ausgrenzung, menschenfeindlichen Fantasien und Deportationplänen." Der Begriff "Remigration" bedeute nichts anderes als Vertreibung und Deportation.
Die Gesellschaft sei geprägt von Vielfalt und mit fairen Chancen für alle. Der Pastor betonte: "Heute zeigen wir: Wir sind stärker als die, die unsere Demokratie bedrohen wollen. Wir dürfen nicht zulassen, dass das gesellschaftliche Klima kälter wird."
Auftakt für ein demokratisches Bündnis
Zu den internationalen Rednerinnen und Rednern, die in der Samtgemeinde Tostedt eine neue Heimat gefunden haben, gehörten Rocio Picard aus Ecuador, Pham Cong Hoang aus Vietnam und Abdel aus dem Sudan.
Für Musik sorgten Stephan Ebel (McEbel) und Thomas Krakowczyk (Nat King Thomas).
Der Dank von Moderatorin Christina Möllmann galt den Unterstützern aus einem breiten Bündnis aus mehr als 30 Vereinen, Organisationen und Parteien sowie der Polizei und den Ordnern, die die Veranstaltung absicherten.
Die Kundgebung sollte ein Auftakt sein, um für Tostedt ein Bündnis für Demokratie zu etablieren. (Infos per E-Mail an: kundgebung.tostedt@web.de). Christina Möllmann schloss mit den Worten: "Bewahren Sie Haltung - immer und überall."
Und Anja Kämpker erinnerte daran, dass die Menschen, die einst als Flüchtlinge zu uns kamen, heute unsere Brote backen, unsere Senioren pflegen oder unsere Autos reparieren.
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