"Stehen oft vor immensen Hürden"
Hörgeschädigte berichteten in Tostedt Politikern von ihren Problemen
bim. Tostedt. Die Bemühungen um Inklusion - also die gleichberechtigte Einbeziehung von Menschen mit Behinderung ins gesellschaftliche Leben - schreitet nach und nach in fast allen Bereichen voran. Oft wird dabei aber nur an Menschen gedacht, deren Behinderung offensichtlich ist. Die geforderte Barrierefreiheit müsse dabei aber auch für Hör- und Sehgeschädigte gelten. Darauf und auf weitere Schwierigkeiten im Alltag wiesen jetzt einige Mitglieder der Tostedter Hörgeschädigtengruppe in einem Gespräch mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Grosse-Brömer und dem CDU-Kreistagsabgeordneten Christian Horend hin.
Oft würden die Zuzahlungen der Krankenkassen für Hörgeräte und weitere Hilfsmittel nicht ausreichen. Birgit Vollmer aus Wenzendorf zum Beispiel benötigt jetzt dringend eine neue Lichtsignal-Anlage, die sie auf Telefon- und Türklingeln sowie möglichen Rauch aufmerksam macht, nachdem ihr bisheriges Gerät bereits 22 Jahre alt ist. Die Krankenkasse weigert sich aber, ihr die Kosten von rund 2.200 Euro in vollem Umfang zu erstatten. Begründung: Obwohl Birgit Vollmer auf dem linken Ohr eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit hat, wurde ihr für das rechte Ohr "nur" eine hochgradige Schwerhörigkeit attestiert, ihr fehlen fünf Prozent des für eine Erstattung notwendigen Hörverlustes von 80 dB.
Ähnlich ergehe es ihr bei der Erstattung der Kosten für ein neues Hörgerät, das Hörgeschädigten alle sechs Jahre zustehe, weil sich das Hörverhalten zwar nicht verbessere, aber verändere. "Jede Neuversorgung ist mit immensen Hürden verbunden, obwohl sich das Gehör nicht regeneriert. Alle sechs Jahre klage ich vor dem Sozialgericht, weil die Krankenkasse sich weigert, zu zahlen, und bekomme jedes Mal Recht", berichtete sie. Das Rechtbekommen könne allerdings schon mal bis zu fünf Jahre dauern, in denen die Betroffenen in Vorleistung gehen müssten. Geld, das nicht jeder mal eben auf die Seite legen oder bei der Bank als Kredit aufnehmen könne.
"Wer sich das nicht leisten kann, hat keine gesellschaftliche Teilhabe", kritisierte Brigitte Kühn, deren Mutter Inge Gabriel die Hörgeschädigtengruppe leitet. Folge könnte sein, dass sich Betroffene zurückziehen, womöglich depressiv werden.
Hörakustikermeister Marvin Schlichting, der mit seinem Kollegen Sebastian Aschern ebenfalls zu Gast war, berichtete, dass 70 Prozent der Erstanträge von den Krankenkassen pauschal abgelehnt würden.
Die Politik könne nur die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, damit Menschen mit Handicap von der Solidargemeinschaft Hilfe bekommen, und Fehl-Entwicklungen ansprechen, erklärte dazu Michael Grosse-Brömer. Zuständig sei der Bundesausschuss, der einen Katalog mit den erstattungsfähigen Kosten festlege. Wenn die Erstattungsverweigerung der Krankenkassen aber gängige Strategie sei, um Kosten zu sparen, sei das inakzeptabel. Er wolle nun beim Bundesverband der Krankenversicherung nachfragen, wieviele Anträge erst nach Klage genehmigt würden.
Probleme gibt es für Hörgeschädigte auch bei der Teilnahme an politischen und kulturellen Veranstaltungen. "Wenn ich nur einen Bruchteil verstehe, gehe ich nicht hin", erklärte Inge Gabriel. Sie hat die Samtgemeinde Tostedt davon überzeugt, eine Anlage für Hörgeschädigte anzuschaffen. Bei Sälen für Theater- und Konzertaufführungen könne eine Induktions- oder Ringschleife helfen, die Darbietungen für schwerhörige Personen zugänglich zu machen. Die Tonsignale werden dazu in elektrische Signale umgewandelt und diese über eine im Raum ausgelegte Induktionsschleife ausgesendet, die von Hörgeräten mit einer speziellen eingebauten Empfangspule verstärkt empfangen werden können. Christian Horend will sich nun darüber informieren, welche Möglichkeiten es gibt, entsprechende Geräte für den Landkreis anzuschaffen.
• Das nächste Treffen der Hörgeschädigten in Tostedt findet am Mittwoch, 9. Mai, um 19 Uhr im Seniorentreff, Kastanienallee 20, statt.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.