Stiftungen leiden unter Zinstief / EU-Währungspolitik wird zum Problem für die Wohltätigkeitsfinanzierung

Dank der EU-Finanzpolitik schmelzen die Zinsen - und damit die Erträge und Ausschüttungen der Stiftungen | Foto: bim / Repro: MSR
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  • Dank der EU-Finanzpolitik schmelzen die Zinsen - und damit die Erträge und Ausschüttungen der Stiftungen
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(mi/bim/tk). Null-Prozent! Der europäische Leitzins - die Messlatte für die Zinsentwicklung am Kapitalmarkt - hat ein historisches Rekordtief erreicht. Mit ihrer Niedrigzins-Politik wollen die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) die Wirtschaft ankurbeln und Schuldenstaaten entlasten. Zum Problem werden die Nullzinsen dabei für eine Einrichtung, die bei der Finanzierung wohltätiger Zwecke kaum noch wegzudenken ist: die Stiftung.
Das Freilichtmuseum am Kiekeberg, das Hospiz in Buchholz, die Bürgerstiftung Tostedt und die Thomaskirchengemeinde in Rosengarten-Klecken: Allen ist gemein, dass sie bei der ihrer Finanzierung auf Gelderträge aus einer Stiftung angewiesen sind. Sie stehen damit exemplarisch für die über 2.000 Stiftungen in Niedersachsen und die ca. 20.000 Stiftungen in ganz Deutschland. Jahrelang war die Idee der Stiftungsfinanzierung eine sehr beliebte. Gerade auch für die öffentliche Hand. Die einmalige Beteiligung am Aufbau eines Kapitalstocks, aus dessen Zinsen dann Projekte und Einrichtungen finanziert werden, schien eine attraktive Alternative zur regelmäßigen Bezuschussung zu sein. Schätzungen zu Folge entlasten Stiftungen den Staat so um rund 17 Milliarden Euro jährlich. Doch bei anhaltenden Zinstief geht diese Rechnung immer weniger auf.

Einige Beispiele:

Die Ende 2011 in Tostedt gegründete Töster Bürgerstiftung hat sich die Förderung von Sport, Kultur und Heimatpflege auf die Fahnen geschrieben. Die Stiftung ist eine Unterstiftung der „Stiftung für Stifter“ der Sparkasse Harburg-Buxtehude. Für die Bürger gibt es zwei Möglichkeiten, die Bürgerstiftung zu unterstützen: Durch eine Geldspende, die für die Stiftungszwecke verwendet werden soll, und in Form einer Zustiftung, mit der das Stiftungskapital erhöht wird. Eine Ausschüttung erfolgt dann in Höhe der Zinsen.
Das Stiftungskapital beträgt derzeit rund 42.000 Euro. Die Ausschüttung aus Zinserträgen beträgt jährlich ca. 1.200 Euro. Davon ist ca. ein Drittel als Inflationsausgleich zur Kapitalsicherung vorgesehen. Und normalerweise auch ein Anteil für die Verwaltungsaufgaben bei der Sparkasse. „Vor dem Aspekt des Niedrigzinses haben wir unsere Verwaltungskosten seit 2015 bis einschließlich 2016 ausgesetzt“, erklärt Antonio do Carmo von der Sparkasse Harburg-Buxtehude. „Die Anlagen, die wir für die Töster Bürgerstiftung gemacht haben, sind noch zu alten, guten Konditionen langfristig angelegt“, so do Carmo. Aber künftig müssten sich Stiftungen gut überlegen, wie sie Anlagen strukturieren und evtl. auch in Aktien oder Immobilienfonds investieren, wovor sich kleinere Stiftungen bisher gescheut hätten. In der Vergangenheit hätten Stiftungen davon gelebt, Anleihen zu kaufen und bei Banken anzulegen. Eine Bundesanleihe z.B. bringe derzeit aber nur 0,5 Prozent Zinsen im Jahr.

• Auch die renommierte Bürgerstiftung Hospiz Nordheide, die u.a. gemeinnützige Institutionen in der Hospizarbeit und palliativen Betreuung unterstützt, bleibt von der EU-Zinspolitik nicht verschont. Das Stiftungskapital betrug Ende 2015 rd. 3,5 Millionen Euro. Die Ausschüttungen variieren. Zwischen 2006 und 2015 seien Förderzuschüsse von insgesamt rund einer Million Euro bereit gestellt worden.
„Bis 2014 waren unsere Vermögenserträge noch einigermaßen stabil. Damals verfügten wir noch über zeitlich befristete Anlagen, die wir zu günstigen Zinssätzen abschließen konnten. Leider liefen (und laufen) diese in erheblichem Umfang sukzessive aus und erbringen nun gravierend weniger Erträge“, sagt Hans Dittmer vom Stiftungsvorstand. „Unsere finanziellen Möglichkeiten werden dadurch geringer. Ersatzweise auf stark risikobehaftete Anlagen auszuweichen, die Ausschüttungen versprechen, verbietet sich für uns nach unseren Anlage-Richtlinien“, so Dittmer. Da sich die Zinssätze in absehbarer Zeit kaum erhöhen würden, müssten mehr Spenden eingeworben werden, um - wie in der Vergangenheit - weiterhin sämtliche Förderanträge positiv zu entscheiden.
Neben den festverzinslichen sicheren Anlagen habe die Bürgerstiftung Hospiz gemäß ihren Anlage-Richtlinien auch Gelder in Aktien, Immobilienfonds sowie aktiv gemanagten Mischfonds (festverzinsliche Papiere und Aktienanteile) angelegt.

• Auch bei der Stiftung des Freilichtmuseums am Kiekeberg bereiten die niedrigen Zinsen Sorgen. „Das ist keine schöne Entwicklung“, kommentiert Museumsdirektor Prof. Dr. Rolf Wiese. Die Kiekeberg-Stiftung verfüge über ein Kapital von rund einer Million Euro. „Kleine Stiftungen, wir eingeschlossen, haben ihre Mittel konservativ und damit auch sicher angelegt. In Niedrigzinszeiten bringen derartige Anlagen jedoch kaum noch Erträge“, erklärt Wiese. Im Freilichtmuseum habe man darauf bereits reagiert. „Wir setzen zukünftig verstärkter auf Immobilien, um die Verluste bei den Zinsen auszugleichen“, so Rolf Wiese. Ebenso bemühe man sich um eine kontinuierliche Erhöhung des Kapitalstocks. Wiese: „Gerade wegen der niedrigen Zinsen sind wir verstärkt auf Zustiftungen angewiesen.“

• Robert Kamprad, Ex-Filialleiter der Sparkasse Harburg-Buxtehude, ist u.a. bei der „Jugendstiftung“ des Geldinstitus aktiv. Er kennt auch viele andere Stiftungen und sagt daher: „Manche Stiftungen überlegen, ob sie zusätzlich andere Anlageformen wählen sollen.“ Etwa in Wohnungen investieren. Jede Vermögensveränderung sei aber an eine hohe Risiko-Minimierung gebunden. Auch sorgten solche Veränderungen für viel bürokratischen Aufwand. So muss zum Beispiel eine Genehmigung bei der Stiftungsaufsicht in Lüneburg eingeholt werden.

• Pastor Lutz Tietje ist für die „Paulz“-Stiftung der Buxtehuder St. Paulus-Kirchengemeinde verantwortlich. Die 2011 gegründete kirchliche Stiftung finanziert einen Teil der Jugendarbeit und ist mit inzwischen 600.000 Euro Kapital eigentlich eine Erfolgsgeschichte. An Veränderungen der Einlagen denken die „Paulz“-Verantwortlichen derzeit noch nicht. Sie kompensieren Niedrigzinsen mit verstärkten Spendenaufrufen.

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Der Leitzins hat ein historisches Tief erreicht
Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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