IHK-Präsident Andreas Kirschenmann: "Dieses Ehrenamt erweitert den Horizont"
(bim). Andreas Kirschenmann wurde jüngst zum neuen Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg gewählt. Im WOCHENBLATT berichtet er von seiner Motivation, sich in der IHK zu engagieren, und welche Auswirkungen der Brexit auf die heimische Wirtschaft haben wird.
WOCHENBLATT: Als geschäftsführender Gesellschafter von Gastroback haben Sie einen ausgefüllten Arbeitstag. Was ist Ihre Motivation, sich dennoch so umfassend in der IHK zu engagieren?
Andreas Kirschenmann: Dieses Ehrenamt erweitert den Horizont über das eigene Unternehmen und die eigenen Themen hinaus. Das habe ich schnell gemerkt, nachdem ich 2013 erstmals in die IHK-Vollversammlung gewählt wurde. Wir haben praxisnahe Projekte zur Fachkräftesicherung auf den Weg gebracht. Wir haben mit Stellungnahmen und zahlreichen Hintergrundgesprächen dazu beigetragen, dass die A39 und das Schiffshebewerk in Scharnebeck in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans eingestuft wurden. Und im Frühjahr 2015 haben wir vor Finanz- und Wirtschaftspolitikern in Berlin unsere Idee vorgestellt, wie man die Erbschaftssteuer für Unternehmen kapitalschonender umsetzen kann. Am Ende trug unsere Initiative dazu bei, dass der Gesetzesentwurf in wesentlichen Punkten der Unternehmensbewertung verbessert wurde. Bei all dem wurde deutlich: Die Vollversammlung unserer IHK ist eine kraftvolle Runde voller erfahrener Praktiker, die gute Lösungen erarbeiten und auch umsetzen können.
WOCHENBLATT: Worin sehen Sie Ihre Arbeitsschwerpunkte als Präsident?
Andreas Kirschenmann: Nach meinem Verständnis bin ich als Präsident der Sprecher der Vollversammlung. Meine Aufgabe ist es, Interessen zu bündeln, Ideen mit zu entwickeln und Veränderungen anzustoßen. Für unsere Unternehmen, unsere regionale Wirtschaft und am Ende damit auch für unser Land. Das möchte ich zusammen mit meinen 99 Kolleginnen und Kollegen gemeinsam angehen. Welche Themen wir dabei in den Fokus rücken, werden wir in den nächsten Wochen gemeinsam erarbeiten. Übrigens in enger Kooperation mit den hauptamtlichen Mitarbeitern der IHK, denn genau diese Kombination aus Haupt- und Ehrenamt sorgt dafür, dass unsere IHK Wirkung erzielen kann.
WOCHENBLATT: Warum halten Sie die Stärkung der dualen Ausbildung in Deutschland für so wichtig?
Andreas Kirschenmann: Weil es hier um die Zukunft unserer Unternehmen geht. Gut ausgebildete Mitarbeiter sind das wohl wertvollste Kapital unserer Wirtschaft. Schon jetzt aber können rund ein Drittel der IHK-Mitgliedsbetriebe nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Dafür gibt es viele Gründe und deshalb müssen wir auch an vielen Stellen ansetzen, um die duale Ausbildung zu stärken. Erstens müssen wir dafür sorgen, dass junge Menschen die enormen Möglichkeiten erkennen, die ihnen der Karriereeinstieg einer beruflichen Ausbildung bietet. Dazu haben wir bereits im vergangenen Jahr zusammen mit der Handwerkskammer und einigen Landkreisen die Ausbildungskampagne „Moin Future“ gestartet. Zweitens müssen die Betriebe auch selbst in die Qualität ihrer Ausbildung investieren. Das IHK-Siegel „TOPAUSBILDUNG“ bietet hierzu hervorragende Ansätze. Drittens braucht es natürlich gute Rahmenbedingungen: Berufsschulen, die gut zu erreichen und ebenso gut ausgestattet sind. Fächer wie Mathematik und Informatik müssen neu gewichtet werden, denn die dort erworbenen Kenntnisse sind angesichts der fortschreitenden Digitalisierung von entscheidender Bedeutung. Die beruflichen Schulen brauchen mehr Lehrer, eine gute IT-Infrastruktur, Administratoren, die die damit einhergehenden Herausforderungen bewältigen können, und mehr Nähe zu den Partnern am Ausbildungsmarkt: den Unternehmen, Verwaltungen und Institutionen. Das hilft den ausbildenden Betrieben.
WOCHENBLATT: Welche Konsequenzen wird ein (ungeordneter) Brexit für die heimische Wirtschaft haben?
Andreas Kirschenmann: Zunächst einmal finde ich es außerordentlich bedauerlich, dass Großbritannien die Europäische Union verlassen möchte. Das bedeutet eine Zäsur für den Staatenbund, ganz gleich, ob vorher ein Brexit-Abkommen zustande kommt oder nicht. Wir sollten deshalb alles daran setzen, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt.
Für die Unternehmen in unserer Region ist es wichtig, möglichst rasch ein klares und verlässliches Verhandlungsergebnis zu haben. Sollte der No-Deal-Brexit tatsächlich Realität werden, fiele bereits die ins Auge gefasste Übergangsfrist bis Ende 2020 aus. Ohne Abschiedsvertrag wird Großbritannien wie jedes andere Drittland behandelt, sodass sich komplizierte Grenz- und Zollverfahren ergeben, die Lieferketten unterbrechen und zu erheblichen Unsicherheiten führen werden. Die fortdauernde Unsicherheit und die damit einhergehende Notwendigkeit, sich auch gut zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum schlimmstenfalls auf verschiedene Austrittsszenarien vorbereiten zu müssen, macht den Unternehmern gegenwärtig am meisten zu schaffen. Immerhin müssen Betriebe, die wirtschaftlich mit Großbritannien verbunden sind, sich nicht nur auf die Verteuerung von Waren durch Zölle oder zusätzliche Zollformalitäten einstellen, sondern mehrere Themenfelder im Auge behalten: Lieferketten geraten ins Wanken, Produkte können ihre Marktzulassung verlieren, Investitionen werden zurückgehalten, personell unzureichend besetzte britische Zollstellen verzögern Geschäfte oder Verträge können nicht mehr erfüllt werden. Die Vorbereitung und Handhabung dieser Aspekte geht nicht von heute auf morgen, sondern benötigt Planungs- und Umsetzungszeit.
WOCHENBLATT: Welche Branchen sind am schwersten betroffen?
Andreas Kirschenmann: Mit einem Ausfuhrvolumen von 6,4 Milliarden Euro und einem Anteil von 7,2 Prozent an der Gesamtausfuhr stand das Vereinigte Königreich 2017 im Ranking niedersächsischer Exporte an dritter Stelle. Die exportorientierten Branchen in Niedersachsen haben einen großen Umsatz mit dem Vereinigten Königreich. Besonders Kfz und Fleischprodukte werden aus Niedersachsen nach Großbritannien exportiert. Rund 18 Prozent aller deutschen Agrarexporte ins Vereinigte Königreich stammen aus Niedersachsen. Auch der Energieexport und -import – Offshore, Erdöl und Erdgas – machen große Handelsposten aus. Aus unserem IHK-Bezirk sind nach Kenntnis unserer IHK rund 240 Unternehmen im UK-Geschäft aktiv, sei es als Exporteure, mit Vertriebspartnern oder durch eigene Niederlassungen. Darunter sind viele kleine und mittlere Unternehmen, die bislang nur innerhalb des EU-Binnenmarkts tätig sind. Insbesondere diese Unternehmen werden sich umstellen und entsprechendes Exportwissen aneignen müssen, um zukünftig keine Nachteile im UK-Geschäft zu erleiden.
Zur Person
Andreas Kirschenmann ist 51 Jahre und geschäftsführender Gesellschafter der Gastroback GmbH in Hollenstedt. Er gehört seit 2013 der IHK-Vollversammlung an, dem Parlament der regionalen Wirtschaft. Zudem ist er Mitglied im Handels- und im Berufsbildungsausschuss der IHK Lüneburg-Wolfsburg sowie im Berufsbildungsausschuss des DIHK. Seit rund 18 Jahren arbeitet Andreas Kirschenmann in den Prüfungsausschüssen für die Berufe „Fachkraft für Lagerlogistik“ und „Kaufmann/Kauffrau im Groß- und Außenhandel“ mit.
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