Unüberbrückbare Schwierigkeiten
ALT-Betreiber aus Winsen schmeißt Auftrag hin
Paukenschlag beim öffentlichen Nahverkehr in Winsen. Michael Düffert hat seinen Vertrag als Fahrer für das Anruf-Linien-Taxi (ALT) zum 31. August gekündigt. Das bestätigt der Taxiunternehmen dem WOCHENBLATT auf Nachfrage. Und erhebt dabei schwere Vorwürfe sowohl gegen die Stadt als auch gegen die KVG.
"Unüberwindbare Schwierigkeiten", gibt Düffert als Grund für die Kündigung an. "Ich habe am 23. Juli 1996 den ASM-Vertrag (Anruf-Sammel-Taxi) der KVG unterzeichnet. Die Auftragslage war zu diesem Zeitpunkt noch recht bescheiden. Durch Werbung und Eigeninitiative unsererseits, wurde das Auftragsvolumen bis zum 30. November 2019 etwa verzehnfacht. Obwohl sich das ASM hervorragend etabliert hatte und von Personen jeden Alters genutzt wurde, erhielt es zum 1. Dezember 2019 eine neue Struktur und wurde von ASM in ALT umbenannt." Der Unterschied: "Das ASM bestellte der Fahrgast direkt bei uns. Wir koordinierten die Aufträge, holten die Fahrgäste von der benannten Haltestelle ab und fuhren sie direkt ans Ziel. Das ALT muss bei der Zentralen Leitstelle bestellt werden und fährt nur von Haltestelle zu Haltestelle."
Hinzu komme, dass die Haltestellen beim ASM gebietsübergreifend gewesen seien. Der Fahrgast konnte z.B. in Sangenstedt einsteigen und direkt nach Hoopte zur Fähre fahren. Mit der Einführung des ALT habe sich das geändert. "Die Fahrt endet immer Zentral am Bahnhof, oder an einer Haltestelle, die sich auf dem Weg dorthin befindet. Entweder gibt es vom Bahnhof aus eine weiterführende ALT-Fahrt, die der Fahrgast zuvor gebucht hat, oder er muss in einen Bus umsteigen", so Düffert. "Besonders schwerwiegend ist, dass mehr als 35 Prozent unserer Fahrgäste durch Blindheit, Amputationen, Schlaganfall usw. sehr stark in der Mobilität eingeschränkt sind. Manche können eigenständig nicht einmal mehr die Haltestelle erreichen. Wir als Fahrer mussten einige vom Rollstuhl in das Fahrzeug umsetzen. Letztendlich waren die schwerstbehinderten Personen gezwungen, dort auszusteigen, was überhaupt nicht deren Ziel war. Nämlich am Bahnhof."
Düffert habe seit der Umwandlung von ASM ins ALT diverse Male versucht, das Reglement kundenfreundlich anpassen zu lassen, was jedoch von keiner Seite erhört worden sei. "Die meisten Fahrgäste müssen zum Arzt (Haltestelle Kirche), ins Krankenhaus, und zu den Altenwohnheimen. Und genau das Klientel hat man bewusst ausgegrenzt", kritisiert der Unternehmer. "Weder mein Personal, noch ich konnten es mit unserem sozialen Gewissen vereinbaren, die blinden oder mobilitätseingeschränkte dritte und vierte Generation einfach dort auszusetzen, wie es der Fahrplan vorschreibt. Das Ziel war zwar stets die Haltestelle; aber auf unsere eigenen Kosten haben wir diese Personen bis zum Ziel gefahren. Und das 33 Monate."
Blinde Fahrgäste, oder die mit Rollstuhl oder Rollator in Sangenstedt oder Rottorf an den vorgeschriebenen Haltestellen auf der rechten Seite der ehemaligen B4 abzusetzen und sich deren Schicksal, die vielbefahrene Straße alleine zu überqueren, selbst zu überlassen, habe überall für Kopfschütteln und Unverständnis gesorgt, so Düffert weiter. "Wer hätte es mit dem Gewissen, falls überhaupt eines vorhanden sein sollte, vereinbaren können, wenn einer der Fahrgäste beim Überqueren der Straße von einem Fahrzeug erfasst und verletzt oder gar getötet worden wäre? Wir jedenfalls nicht!"
Den Grund für das ALT sieht Düffert in Sparmaßnahmen der Stadt, die sie nach seiner Ansicht erwirken wollte: "Dadurch, dass jetzt rund 35 Prozent der Fahrgäste aus der Beförderung ausgeschlossen wurden, müssen eben auch weniger Zuschüsse gezahlt werden." Auf seine Frage, ob die Einsparungen höher seien als die Kosten des Geisterbusses, der durch die Stadt fährt (das WOCHENBLATT berichtete), habe er seitens der Stadt keine Antwort erhalten.
Auch die KVG wird von Düffert hart kritisiert: "Als im Jahre 2014 der damalige Betriebsleiter von der KVG Hittfeld mit seiner Frau nach Lüneburg versetzt wurde, gab es keinen zuverlässigen Ansprechpartner mehr. Wenn überhaupt, gab es Reaktionen nach Wochen. Und von den Tablets und Smartphones, die ich nach der ALT-Umstellung für die Auftragsverteilung von der KVG erhielt, funktioniert seit 18 Monaten nur noch eines. Somit bin ich gehalten, stets mit dem Ohr auf dem Tablet zu schlafen, damit ich unerwartete nächtliche Aufträge auch entgegennehmen kann. Ich wurde immer nur hingehalten; aber die Peripherie wurde weder ausgetauscht, noch repariert."
Ein weiterer Punkt seien die Vorbestellfristen. "Eine Auftragsübermittlung 30 Minuten vor der Fahrt sind nicht mehr realisierbar. Baustellen, Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Rollsplitt, die Priorisierung der Radfahrer und und wenig intelligente Ampelschaltungen haben stets für Beschwerden gesorgt, da wir die Haltestellen erst verspätet erreichten", so Michael Düffert. "Außerdem fanden die Einwohner von Scharmbeck und Pattensen ebenso wenig Gehör wie ich. Da diese Dörfer von der behindertengerechten Bedienung im ÖPNV gänzlich ausgeschlossen worden sind, muss man sich als beeinträchtigte Person regelrecht ausgegrenzt vorkommen."
Ferner nahmen in letzter Zeit die mutwilligen Beschädigungen und Verunreinigungen an den Fahrzeugen zu. Zerschnittene Rücksitze und entwendete Kopfstützen sind nur ein Teil. Verärgerte Fahrgäste schmissen in diesem Jahr zweimal die Schiebetüren zu, dass diese für teures Geld in der Werkstatt repariert werden mussten. Auch das Urinieren im Fond hat haltlose Ausmaße angenommen. Düffert: "Die KVG argumentierte das mit unternehmerischem Risiko." Das ist vielleicht auch der Grund, warum die KVG jetzt selbst ALT-Fahrer sucht. Offenbar hat sie kein anderes Unternehmen gefunden, das die Aufgabe übernehmen wollte.
Aber Düffert verspricht: "Für unsere langjährigen Fahrgäste, die auf den Rollstuhl oder auf den Gehwagen angewiesen sind, lasse ich mir noch etwas einfallen. Ich werde diese Personengruppe definitiv nicht alleine und auf sich gestellt lassen."
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