Frau bekam kein Taxi
Ernst M. musste einsam sterben
thl. Winsen. "Es zerreißt mir das Herz", sagt Doris M. (78, Name geändert) aus Winsen. "Ich konnte meinem Mann in den letzten Minuten seines Lebens nicht zur Seite stehen. Und das nur, weil es in Winsen kein Taxi gab."
Mit tränenerstickter Stimme erzählt die Seniorin ihre unfassbare Geschichte. In der Nacht zu Montag wurde Doris M. wach, weil ihr Mann Ernst, mit dem sie über 50 Jahre verheiratet war, plötzlich röchelte und sich immer ans Herz fasste. "Ich rief sofort den Notarzt. Dieser war auch Minuten später vor Ort." In Windeseile wurde ihr Ernst ins Krankenhaus gebracht. "Ich wollte erst im Rettungswagen mitfahren. Doch die Sanitäter meinten, ich solle zu Hause bleiben. Das Krankenhaus würde sich melden."
Zwei Stunden später, es war mittlerweile kurz nach 3 Uhr, klingelte das Telefon. Das Krankenhaus teilte Doris M. mit, dass ihr Mann sterben würde, und bat sie darum, sofort zu kommen. Das wollte Doris M. auch machen. Selbst Autofahren ging allerdings nicht. Erstens hat sie keinen Führerschein, zweitens wäre sie viel zu aufgewühlt. Und nachts allein mit dem Fahrrad oder zu Fuß durch halb Winsen traute sich die Rentnerin nicht zu. Also wollte sie sich ein Taxi rufen.
"Ich rief mehrfach bei sämtlichen Taxi- und Mietwagenzentralen in Winsen an. Doch nirgendwo habe ich jemanden erreicht", so die Seniorin, deren Verzweiflung bei jedem fehlgeschlagenen Telefonat größer wurde.
Irgendwann hatte sie dann doch plötzlich einen Anschluss. "Offenbar hatte ich den Mann aus dem Bett geholt. Ich erzählte ihm meine Situation. Er versprach, sich anzuziehen und mich abzuholen. Ich müsse mich nur etwas gedulden."
Einfacher gesagt, als getan. Endlich kam das Taxi und brachte Doris M. zum Krankenhaus. Doch zu spät, ihr Mann Ernst war mittlerweile verstorben. Für Doris M. brach eine Welt zusammen.
Taxiunternehmer erklären, warum nicht nur in Winsen nachts die Wagen still stehen
Das WOCHENBLATT erkundigte sich bei verschiedenen Unternehmen, die aber allesamt anonym bleiben wollen, über die erhobenen Vorwürfe. Die Antworten sind alle deckungsgleich: Das Nachtgeschäft lohnt sich unter der Woche nicht.
"Zwischen 1 und 6 Uhr ruft in der Regel niemand ein Taxi an", so ein Unternehmer. "Es ist einfach zu wenig Bewegung in der Stadt. Dafür ist Winsen gegenüber Lüneburg oder Hamburg deutlich zu ländlich." Für nachts einen Fahrer einzustellen, der dann nur herumsitzt, sei aus Kostengründen nicht möglich.
Hinzu komme, dass bedingt durch die Corona-Pandemie einige Unternehmen ihre Schichten auch verkürzt haben. "Es waren viel weniger Leute unterwegs, dadurch ist auch unser Tourenaufkommen erheblich eingebrochen", sagt ein anderer Unternehmer. Das habe so weit geführt, dass selbst an Wochenenden, wo sonst die Taxen rund um die Uhr fahren, um 22 Uhr Feierabend war.
Damit hat Winsen übrigens kein Alleinstellungsmerkmal. Auch in Buchholz und Buxtehude herrscht bei den Taxen unter der Woche nachts Stillstand. Das haben mehrere Unternehmen aus den beiden Gebieten auf Nachfrage bestätigt.
Doris M. kann die Haltung der Unternehmen nachvollziehen. Aber sie hat einen Vorschlag: "Es wäre schön, wenn die Taxiunternehmer sich zusammentun und einen wechselnden Notdienst einrichten. So wie die Apotheken es auch haben. Das hätte meinen Ernst zwar nicht gerettet, aber ich hätte in seinen letzten Minuten bei ihm sein können."
Notfälle gibt es immer
Die Argumente der Taxiunternehmer sind nachzuvollziehen. Der Vorschlag von Doris M. mit dem Notdienst allerdings auch. Auch wenn ihr Fall besonders krass war, Notfälle gibt es immer wieder. Und wenn es "nur" die alleinstehende Person ist, die aus irgendwelchen Gründen kein Auto o.ä. fahren kann, aber dringend Medikamente aus der Apotheke benötigt. Vielleicht denken die Unternehmer ja über die Idee nach.
Thomas Lipinski
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