Winsen
Leben mit dem Down-Syndrom
Geschätzt 30.000 bis 50.000 Menschen mit Down-Syndrom leben in Deutschland. Deswegen wird am kommenden Dienstag, 21. März, der Welt-Down-Syndrom-Tag begangen. Menschen mit Down-Syndrom brauchen unterschiedlich viel Unterstützung, als Erwachsene oftmals weniger, aber als Kind umso mehr.
Das wissen auch Alexandra und André Masuch aus der Nähe von Winsen, deren vierjährige Tochter Winnie von Trisomie 21 (so der Fachbegriff) betroffen ist, weil sie in ihrem Erbgut ein Chromosom mehr hat. Die Diagnose traf die Eltern 20 Stunden nach der Geburt. Während der Schwangerschaft war nichts auffällig gewesen, die Ultraschalluntersuchung der Nackenfalte beim Kind hatte keine Anzeichen ergeben. Nach der Entbindung im Krankenhaus hielten die Eltern glücklich ihre Tochter in den Armen. "Mein erstes Baby. Ich war schockverliebt“, sagt die Mutter. Erst am nächsten Tag war klar: Winnie hat Trisomie 21. "In diesem Moment zerbrach unser Zukunftstraum“, erzählt die 37-Jährige. Wie fit würde ihr Kind jemals werden? Würde sie es so lieben können, wie sie es sich vorgestellt hatte? In einem bewegenden Brief, gerichtet an sich selbst zum Zeitpunkt der Diagnose, schildert sie später die emotionale Zerrissenheit. Aber auch das Glück, das Kind dann so anzunehmen, wie es ist: "Mama von diesem Minimädchen zu sein, ist das aufregendste, schönste,
überwältigendste, anstrengendste und großartigste Gefühl überhaupt.“
"Ich mag Kinderturnen“, erzählt Winnie bei einem Hausbesuch gleich im Flur. Das ist seit Neuestem ein Highlight der Woche. In der Kita war heute Vormittag Musikschule, auch das gefällt Winnie sehr. Nach der Kita ging es direkt zur Logopädie. Und jetzt: mit dem Bauernhof spielen, der im Wohnzimmer aufgebaut ist,
Salzbrezeln knabbern, später noch eine Höhle bauen. Was an einem Kindernachmittag eben so passiert. Denn das Down-Syndrom macht ihr Leben nicht weniger lebenswert.
Allerdings ist die Entwicklung von Winnie verzögert. Gleichaltrige sind ihr voraus bei Sprachentwicklung, körperlicher Kraft oder Beweglichkeit in den Händen. Und die Vierjährige hat kein Gefahrenbewusstsein, erzählt ihre Mutter. Sie würde unbefangen auf die Straße laufen, auch wenn Autos kommen. Oder in tiefes Wasser springen, ohne dass sie schwimmen kann. Unterstützung für Winnie wird dauerhaft nötig sein. Trotzdem wollen die Eltern sie nicht "in Watte packen“ und vor Anforderungen bewahren, sondern zur Selbstständigkeit erziehen. So wie es für Winnie eben möglich ist. Und mit dieser Haltung sind viele Alltagssituationen genauso wie in anderen Familien.
Mit 15 Monaten kam Winnie in die integrative Kita Am Bultweg in Winsen, eine Einrichtung
der Lebenshilfe. "Großartig“ sei die Unterstützung durch die Kita, sagt die Mutter. Für Winnie,
aber auch für sie als Eltern. Alex ist Berufsschullehrerin, ihr Mann Vermögensberater bei
einer Bank, beide arbeiten gern. Umso wichtiger, die Betreuung des Kindes in guten Händen
zu wissen: "Winnie fühlte sich in der Kita von Anfang an wohl.“ Allerdings fehlt ihr Kontakt zu Gleichaltrigen aus der Nachbarschaft. Die gehen in der Regel in eine nähergelegene Kita, die damals keinen Integrationsplatz hatte und sich nicht zutraute, Winnie aufzunehmen. "In diesem Punkt“, sagt Alex, "hat Inklusion noch nicht funktioniert“.
Winnie hat inzwischen eine zehn Monate alte Schwester. Für die Eltern ein Wagnis? „Ja, natürlich hatten wir Sorgen, die Schwangerschaft war nicht so unbeschwert“, erzählt Alex. Die Eltern entschieden sich für einen Bluttest bei der Mutter. Erleichterung, als der Test keine Auffälligkeit erbrachte. Aber Sicherheit? Gibt es nicht. Alex sieht es realistisch: "Die allermeisten Behinderungen entstehen während oder nach der Geburt.“ Daran ändern auch immer ausgefeiltere Untersuchungen während der Schwangerschaft nichts. Der Bluttest, inzwischen von den Krankenkassen finanziert, ist durchaus umstritten. Eltern würden sich nach einem positiven Ergebnis meist für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, sagt Alex. "Kinder wie Winnie werden dadurch immer mehr zu Exoten.“
Viele anfängliche Befürchtungen der Eltern haben sich nicht bestätigt. Zum Beispiel, was das Reisen betrifft. Das Paar, das immer schon gern unterwegs war, hörte nach der Diagnose von allen Seiten: "Das wird ja nun nicht mehr gehen.“ Mit einem Down-Syndrom-Kind müsse selbst ein Tagesausflug wochenlang vorbereitet werden. Aber es geht eben doch. Das berufstätige Paar nutzt derzeit gemeinsame Elternzeit und ist mit den Kindern für neun Wochen in Südafrika. "Wir machen diese Reise nicht trotz Winnie, sondern mit Winnie“, betont André. Ohnehin werde der Alltag derzeit eher von den Bedürfnissen der kleinen Schwester bestimmt - nicht vom Down-Syndrom der Älteren.
Beratung und Unterstützung erhalten Eltern von Kindern mit Down-Syndrom z. B. bei der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg. Mehr Infos: www.lhlh.org
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