"Sorge um Schwerstkranke war mir besonders wichtig": Interview mit dem in den Ruhestand gehenden Psychiatrie-Chefarzt Dr. med. Sebastian Stierl

Bei einer Tagung des Sozialpsychiatrischen Verbundes in Winsen: Dr. med. Sebastian Stierl (2. v. re.) mit den Kooperationspartnern (v. li.) Holger Maack (HiPsy GmbH), Reiner Kaminski (Landkreis Harburg), Stefanie Oertzen (HiPsy GmbH), Dr. Peter Schlegel (Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Kreis), Andrea Picker (Herbergsverein Winsen), Marc Koch (Psychiatrisches Wohn- und Pflegeheim Haus Hoheneck) und Kirchenkreis-Superintendent Christian Berndt | Foto: archiv / Landkreis Harburg
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  • Bei einer Tagung des Sozialpsychiatrischen Verbundes in Winsen: Dr. med. Sebastian Stierl (2. v. re.) mit den Kooperationspartnern (v. li.) Holger Maack (HiPsy GmbH), Reiner Kaminski (Landkreis Harburg), Stefanie Oertzen (HiPsy GmbH), Dr. Peter Schlegel (Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Kreis), Andrea Picker (Herbergsverein Winsen), Marc Koch (Psychiatrisches Wohn- und Pflegeheim Haus Hoheneck) und Kirchenkreis-Superintendent Christian Berndt
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ce. Landkreis. "Als ärztlicher Direktor hat er mit uns - was nicht alltäglich ist - immer auf Augenhöhe zusammengearbeitet." - "Er setzt sich engagiert und verlässlich für eine vernünftige Betreuung psychisch kranker Menschen in der Region ein." - Viel Lob von seinen Kooperationspartnern bekommt Dr. med. Sebastian Stierl (65), langjähriger Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Psychiatrischen Klinik (PKL) II in Lüneburg, die auch für die Regionalversorgung im Kreis Harburg zuständig ist. Anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand sprach Stierl mit WOCHENBLATT-Redakteur Christoph Ehlermann über seine Tätigkeit, die Situation psychisch Kranker in der Region und über von Stierl mit angestoßene Projekte.
WOCHENBLATT: Herr Dr. Stierl, wie beurteilen Sie die derzeitigen Versorgungsmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen im Landkreis?
Stierl: Der Landkreis verfügt mit den erfahrenen und qualifizierten Anbietern über eine belastbare Grundausstattung psychiatrischer Hilfen. Entscheidend bleibt jedoch die Notwendigkeit der verlässlichen Kooperation. Schließlich kann kein Anbieter den ständig wechselnden Bedarf eines schwer psychisch Kranken allein abdecken. Seit Jahren steht als notwendiger zweiter Stützpunkt im Landkreis eine Tagesklinik oder Institutsambulanz nach dem Buchholzer Vorbild für die Stadt Winsen auf dem Programm. Trotz mehrfach gescheiterter Anläufe bleiben wir optimistisch.
WOCHENBLATT: Welche Ziele hatten Sie sich hier bei ihrer Tätigkeit gesteckt?
Stierl: Zunächst ging es darum, den Standortnachteil durch eine Tagesklinik bzw. Institutsambulanz als Außenstelle in Buchholz zu lindern. Ein wesentliches Ziel bestand in der Integration des Leistungsangebotes der PKL in die bereits im Landkreis vorhandene Angebotsstruktur. Unter der Leitung des Sozialpsychiatrischen Dienstes war hier eine patientenbezogene Zusammenarbeit möglich. Neben gemeinsamen Fortbildungsangeboten konnte auch ein Krisendienst für den Landkreis aufgebaut werden. Seit drei Jahren erproben wir den flexiblen Einsatz der Behandlung von Kranken, unabhängig von einer stationären Aufnahme. Hier haben sich einige wichtige, neue Perspektiven ergeben, die es bedauerlich machen, dass sich das Modell auf AOK-Angehörige beschränkt.
WOCHENBLATT: Was hat Sie bewogen, Medizin zu studieren und sich als Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik zu spezialisieren?
Dr. Sebastian Stierl: Aus einer Landarztfamilie stammend, habe ich nach dem Abitur im Zivildienst die "elenden und menschenunwürdigen Verhältnisse" der Psychiatrie in einem Landeskrankenhaus kennengelernt. Diese Begriffe spiegeln nicht meinen persönlichen Eindruck, sondern stammen aus der Enquete der Bundesregierung zur Lage der Psychiatrie von 1975. Mit dieser katastrophalen Bestandsaufnahme war aber auch eine Aufbruchstimmung und Entscheidung zur Psychiatriereform verbunden, die mich motiviert und mein ganzes Berufsleben hindurch getragen hat. Dabei war die Sorge um die Schwerstkranken und die Bedeutung der Psychotherapie immer mein besonderer Schwerpunkt.
WOCHENBLATT: Wie gelangten Sie dann hier in die Region?
Stierl: 1989 kam ich aus dem Rheinland ins Niedersächsische Landeskrankenhaus (NLKH) in Lüneburg, um sechs Landkreise in die Versorgung durch psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern zu überführen. Von den verbleibenden Kreisen Lüneburg und Harburg übernahm ich 2001 die Verantwortung für die Regionalversorgung im Kreis Harburg. Seit 2007 war ich nach dem Kauf des ehemaligen NLKH durch die Stadt Lüneburg als Ärztlicher Direktor der PKL weiter zuständig für den Kreis Harburg.
WOCHENBLATT: Welche Pläne haben Sie im Ruhestand?
Stierl: Ich freue mich riesig auf die Zeit mit meiner großen Familie. Meine Hobbys sind Cello spielen und der Garten. Ein wesentliches Anliegen ist mir, weiterhin die Arbeit der "Euthanasie"-Gedenkstätte in der PKL zu unterstützen. Hier wird an die Opfer der Psychiatrie während des Nationalsozialismus erinnert. Ein inhaltlicher Schwerpunkt ist die "Kinderfachabteilung" Lüneburg, in der zwischen 1941 und 1945 rund 350 Kinder aus ganz Norddeutschland getötet wurden.
WOCHENBLATT: Herr Dr. Stierl, vielen Dank für das Gespräch.

Bei einer Tagung des Sozialpsychiatrischen Verbundes in Winsen: Dr. med. Sebastian Stierl (2. v. re.) mit den Kooperationspartnern (v. li.) Holger Maack (HiPsy GmbH), Reiner Kaminski (Landkreis Harburg), Stefanie Oertzen (HiPsy GmbH), Dr. Peter Schlegel (Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Kreis), Andrea Picker (Herbergsverein Winsen), Marc Koch (Psychiatrisches Wohn- und Pflegeheim Haus Hoheneck) und Kirchenkreis-Superintendent Christian Berndt | Foto: archiv / Landkreis Harburg
Engagiert sich auch für die "Euthanasie"-Gedenkstätte in Lüneburg: Dr. med. Sebastian Stierl | Foto: Landkreis Harburg
Redakteur:

Christoph Ehlermann aus Salzhausen

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