Vermiesen Vorschriften ehrenamtlichen Einsatz?

Traute Körner (li.) und Irmgard Detje verzichten nun darauf, die 
Herbstmarktbesucher mit ihren selbstgebackenen Kuchen 
und Torten zu verwöhnen | Foto: bim
  • Traute Körner (li.) und Irmgard Detje verzichten nun darauf, die
    Herbstmarktbesucher mit ihren selbstgebackenen Kuchen
    und Torten zu verwöhnen
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bim. Hollenstedt. Was wären Dorf-, Schützen-, Straßen- und andere Feste ohne die ehrenamtlichen Kuchenbäcker und Würstchenbräter, die Festbesucher mit Leckereien verwöhnen und diese in aller Regel für den guten Zweck verkaufen? Vielfach würden sicherlich die heimelig-gemütliche Atmosphäre und der nette Klönschnack mit Bekannten auf der Strecke bleiben. Überbordende deutsche Regelwut hat jetzt zumindest zwei Ehrenamtlichen die Lust an ihrem Engagement genommen.
"Die Hygienevorschriften verderben uns die Freude am Kuchenbuffet. Man wagt ja gar nicht mehr, einen Kuchen zu backen", beklagt Traute Körner aus Otter (Samtgemeinde Tostedt). Gemeinsam mit Irmgard Detje aus Hollenstedt bewirtete sie fast 20 Jahre lang die Besucher des Hollenstedter Herbstmarktes mit bis zu 60 selbstgebackenen Kuchen und Torten in einer Halle der Detjes, die am Herbstmarkt-Samstag seit 1999 jährlich Scharen von Flohmarktbesuchern anlockte. Manche Besucher kamen mit Tupper, um sich Kuchen mit nach Hause zu nehmen, oder verabredeten sich dort. Die Erlöse aus dem Kuchenverkauf seien gespendet worden, u.a. für den Aufenthalt der Tschernobyl-Kinder. Und auch die eigenen Enkel verdienten sich ein kleines Taschengeld, wenn sie schmutziges Geschirr mit dem Bollerwagen zum Abwaschen brachten. Doch damit soll nun endgültig Schluss sein.
Die beiden Frauen kennen sich mit Hygienevorschriften bestens aus: Irmgard Detje ist Hauswirtschaftsmeisterin, Traute Körner hat ebenfalls eine Hauswirtschaftsschule besucht und jahrelang in Cafés oder für einen Bäcker gearbeitet. "Da passen wir bei der Hygiene schon auf", erklärt Traute Körner. "Drei große Industriekühlschränke zum Kühlen der Torten und Waschmöglichkeiten standen zur Verfügung", berichtet Irmgard Detje. "Dass das Geschirr und man selbst sauber ist, ist doch selbstverständlich. Die Torten waren immer abgedeckt. Jetzt hat man mir jemand erzählt, dass man auch noch angeben muss, woher die Eier und die anderen Zutaten kommen. Dann macht der Kuchenverkauf keinen Spaß mehr", meint Traute Körner zur Allergenkennzeichnungspflicht. Sie engagiert sich auch ehrenamtlich im Freilichtmuseum am Kiekeberg, hat dort kürzlich beim Schlachtefest 1.400 Portionen Fleisch geschnitten. "Da fragt auch niemand nach einem Gesundheitszeugnis", so Traute Körner.
Das Fass zum Überlaufen habe dann ein 50-Euro-Bußgeld gebracht, das Irmgard Detje und ihre Schwiegertochter jeweils hätten zahlen müssen, weil sie für den Kuchenverkauf nicht die nötige Genehmigung für ein vorläufiges Gaststättengewerbe vorweisen konnten, berichtet Irmgard Detje.

Am Gymnasium Tostedt zum Beispiel sind die "Brötcheneltern" - Mütter und Väter von Schülern, die Brötchen schmieren - unerlässlich, um die Schüler an den mitunter langen Unterrichtstagen zu verpflegen. Zuvor war die Essensversorgung durch professionelle Anbieter drei Mal gescheitert. Jetzt stellt der Brötchen liefernde Bäcker an zwei bis drei Tagen pro Woche zwei Minijobber, die von den Eltern unterstützt werden. "Beim Brötchenschmieren gelten die gleichen Hygienestandards wie bei Schulveranstaltungen. Da sind wir sauber bei der Sache", sagt Schulleiter Stefan Birkner. Bei Schulveranstaltungen gilt u.a., dass die sachgemäße Lagerung und Kühlung der Lebensmittel gewährleistet ist, Lebensmittel nicht mit den Händen angefasst werden und hinter Plexiglas geschützt sind, warm verzehrte Speisen durchgängig mit mindestens 65 Grad warm gehalten und maximal drei Stunden angeboten werden.

Das sagt die Gemeinde zur Genehmigung

Wenn der Kuchenverkauf auf dem Marktgelände stattfinde, bedürfe es keiner Genehmigung für ein vorläufiges Gaststättengewerbe, erläutert Hollenstedts Bürgermeister Jürgen Böhme. Die Halle der Detjes, die viele Besucher auf dem Flohmarkt passieren, liege allerdings auf Privatgelände. Die Genehmigung koste 25 Euro und müsse beim Ordnungsamt beantragt werden, das diese wiederum ans Veterinäramt weitergebe. Es sei aber kein Problem, das Marktgebiet etwas zu erweitern. "Grundsätzlich begrüßen wir den Kuchenverkauf, weil er eine Bereicherung für den Markt ist", sagt er.
"Die Hygienevorschriften können wir aber nicht aufheben. An die müssen sich alle Vereine, auch die Landfrauen und die Feuerwehr, halten", so Böhme. 

Hygienevorschriften für ehrenamtliche Kuchenbäcker und Würstchenbräter

Welche Hygienevorschriften müssen ehrenamtliche Kuchenbäcker und Würstchenbräter einhalten? Das fragte das WOCHENBLATT beim Landkreis Harburg und erhielt folgende Antworten:
Im Gesundheitsamt werden sogenannte „Belehrungen“ nach dem Infektionsschutzgesetz durchgeführt. Ziel der Belehrung ist es, ein Bewusstsein für die Problematik der Übertragung von Krankheitserregern durch Lebensmittel zu schaffen und die belehrten Personen in die Lage zu versetzen, sich entsprechend richtig zu verhalten. Auch ehrenamtliche Kuchenverkäufer und Würstchenbräter benötigen diese Belehrung, es sei denn, sie sind wirklich nur einmalig, z.B. auf einem Schulfest, tätig.
Wer gelegentlich und im kleinen Rahmen als freiwilliger Helfer Lebensmittel handhabt (z.B. bei Dorffesten, bei Schulfeiern und anderen Ereignissen wie Wohltätigkeitsveranstaltungen), für den gilt außerdem die Lebensmittelhygiene-Verordnung. In § 3 heißt es: "Lebensmittel dürfen nur so hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht werden, dass sie bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung nicht ausgesetzt sind." Das bedeutet:
• dass bei Verkaufsständen mindestens eine Überdachung zum Schutz vor Witterungseinflüssen, Vogelkot etc. gegeben ist
• das Personal Toiletten zur Verfügung hat
• in den Verkaufsständen mindestens die Möglichkeit zum Händewaschen mit • idealerweise warmem Wasser besteht
• Flächen leicht zu reinigen sind (z.B. Lackfolie)
• Kühlmöglichkeiten für kühlpflichtige Artikel gegeben sind
• Abfallgefäße vorhanden sind
• der Kunde die Ware nicht anfassen oder anhusten kann.
Warum müssen besondere Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden?
In vielen Lebensmitteln, z.B. Fleisch, Eierspeisen, Milchprodukten, Marinaden, Mayonnaisen oder Salaten können sich Krankheitserreger besonders leicht vermehren. Durch den Verzehr von mit Krankheitserregern verunreinigten Lebensmitteln können Menschen an Lebensmittelinfektionen oder -vergiftungen schwer erkranken. Bei Sommerfesten, Flohmärkten oder ähnlichen Veranstaltungen kann davon eine große Anzahl von Menschen betroffen sein.
Aus diesem Grund muss von jedem Tätigen zum Schutz des Verbrauchers und zum eigenen Schutz ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Beachtung von Hygieneregeln verlangt werden. Im Rahmen der Belehrung werden die Personen darüber hinaus dazu verpflichtet, die o.g. Tätigkeiten nicht auszuführen, wenn sie z.B. eine infektiöse Durchfallerkrankung haben, Krankheitserreger ausscheiden oder infektiöse Wunden oder Hauterkrankungen haben.
Seit wann gelten diese Hygienevorschriften?
Das Infektionsschutzgesetz trat 2001 in Kraft. Die Belehrungen sind seitdem erforderlich.
Wie werden diese und von wem kontrolliert?
Ob die Bescheinigungen für Belehrungen vorhanden sind, wird durch das Gesundheitsamt und durch die Lebensmittelkontrolle vor Ort überprüft.
Laut Bundeszentrum für Ernährung sind Ehrenamtliche, die gelegentlich auf Festen und Veranstaltungen Lebensmittel verkaufen, von der seit 2014 geltenden "Allergenkennzeichnungspflicht" ausgenommen. Es empfiehlt aber, auf einem gut sichtbaren Aushang darauf hinzuweisen, dass für Unverträglichkeiten durch Allergene oder Zusatzstoffe keine Haftung übernommen wird.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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