Niedersachsen
CDU-Forderung nach Bodycams für Rettungskräfte am Bedarf vorbei
Alle Jahre wieder ... Nach der erschreckenden Bilanz der Silvesternacht erneuert André Bock, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, die Forderung der Landes-CDU, Einsatzkräfte in Niedersachsen mit Kameratechnik wie Körperkameras (Bodycams) und deren Fahrzeuge mit Dashcams auszustatten. "Dadurch lassen sich Übergriffe verhindern und die Daten können ggf. für die Ermittlung der Täter hilfreich sein", so Bocks Begründung.
Dashcam-Einsatz
wird geprüft
Der Landtag hat Anfang November 2024 beschlossen, zu prüfen, wie die rechtliche Grundlage zur Nutzung von Dashcams bei Einsatzkräften gestaltet werden könnte. Ergebnisse stehen noch aus.
Wie bereits zu Beginn des Jahres 2023 sprechen sich die hiesigen Einsatzkräfte von DRK und Freiwilliger Feuerwehr gegen Körperkameras aus.
Auf die WOCHENBLATT-Anfrage, ob die Landes-CDU im Vorfeld der Forderung mit den betreffenden Einsatzkräften gesprochen habe, informierte der Pressesprecher, dass auch der niedersächsische Städtetag eine rechtliche Grundlage für den Einsatz von Bodycams bei Feuerwehr und Rettungskräften fordere sowie die Feuerwehr Hannover. Letztere ist allerdings - im Gegensatz zu den Freiwilligen, sprich ehrenamtlichen Feuerwehren in den Landkreisen Harburg und Stade, zur Hälfte eine Berufsfeuerwehr.
Zunächst bedankt sich André Bock zu Recht bei allen Polizei- und Rettungskräften, "die in der Silvesternacht für uns alle ihren Dienst versehen haben und wieder einmal Leib und Leben riskieren mussten, um Menschen zu helfen. Bedauerlicherweise ist es wieder zu Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte gekommen. Dies ist nicht länger tragbar und muss endlich Konsequenzen haben. Strafe muss auf dem Fuß folgen. Aber unsere Einsatzkräfte müssen auch besser geschützt werden." Allerdings hat der CDU-Landtagsabgeordnete aus Winsen es offenbar versäumt, mit heimischen Rettungsdiensten und Feuerwehren zu sprechen.
Kein Bedarf im
ländlichen Raum
Volker Bellmann, Kreisbrandmeister der Feuerwehren im Landkreis Harburg, sagt zu dessen Forderung: "Die Haltung der Feuerwehren zur Aussage des vorletzten Jahres hat sich nicht geändert. Eine kurze, aktuelle Abfrage bei allen Stadt- und Gemeindebrandmeistern hat den bekannten Standpunkt bestätigt: Im ländlichen Raum wie bei uns ist es nicht nötig, die Freiwilligen Feuerwehren damit auszurüsten."
Praktisch nicht
sinnvoll umsetzbar
Auch Henning Klensang, Kreisbrandmeister der Feuerwehren im Landkreis Stade, hält den Einsatz der Kameras für "praktisch nicht sinnvoll umsetzbar".
"Zunächst kann ich positiv berichten, dass es im Landkreis Stade in dieser Silvesternacht keine Vorfälle gab, bei denen Einsatzkräfte beleidigt oder sogar körperlich angegangen wurden. Das freut uns natürlich sehr, denn im letzten Jahr gab es ja einige unschöne Szenen im Altländer Viertel in Stade", berichtet er.
"Die Meinungen zu Kameraüberwachung im Feuerwehreinsatz sind in Niedersachsen sehr unterschiedlich. Bei uns im Landkreis Stade gab es hierzu bisher noch keine konkreten Forderungen oder Anfragen aus den Gemeinden und Städten, die uns als Führung der Kreisfeuerwehr erreicht haben.
Aus Gesprächen mit anderen Kreisbrandmeistern und Vertretern von Berufsfeuerwehren weiß ich, dass die genannten Vorfälle sehr häufig in den Ballungszentren passieren und damit oft Angehörige der Berufsfeuerwehren (insbesondere auch im Rettungsdienst) treffen. Bei uns auf dem Land sind die Probleme glücklicherweise noch nicht so massiv vorhanden, wie oft in den Medien dargestellt", so die Einschätzung Klensangs, der auch Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes Stade ist.
Täter mit allen
Mitteln verurteilen
"Auf einer Tagung des Bezirks Lüneburg des Landesfeuerwehrverbandes Niedersachsen haben wir gerade am Samstag auch über dieses Thema gesprochen und die einhellige Meinung hier war, dass man nicht pauschalisieren und auch nicht dramatisieren sollte. Einigkeit bestand außerdem darin, dass ermittelte Täter und Täterinnen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verurteilt werden sollten und die Urteile auch medial bekannt gemacht werden sollten, um hiermit evtl. einen abschreckenden Effekt zu erzielen!"
Dashcams in Feuerwehrfahrzeugen zu installieren, um beispielsweise Verkehrsereignisse, schlechte Rettungsgassen, Menschengruppen oder auch die Umgebung einer Einsatzstelle zu filmen, kann aus Sicht von Henning Klensang durchaus an der einen oder anderen Stelle hilfreich sein. "Insbesondere das Fahren mit Blaulicht ist anspruchsvoll und um ein Vielfaches gefährlicher, als eine Fahrt ohne Blaulicht. Hier kann eine Dashcam für den Fahrer eine entlastende Wirkung haben. Nicht vergessen werden darf aber auch, dass eine Videoaufnahme den Fahrer auch belasten kann. Es gibt wie immer zwei Seiten, die zu berücksichtigen sind."
Der Einsatz von Bodycams ist in seinen Augen gar nicht praktikabel. Begründung: "Polizeibeamte sind hauptberuflich unterwegs und können sich um Ladetechnik, Tausch der Speichermedien, Auswertung der gemachten Aufnahmen etc. kümmern, weiterhin sind Streifenwagen meistens mit zwei Personen besetzt. Eine Umsetzung ist hier also recht einfach möglich und sicher auch sinnvoll. Meiner Kenntnis nach hat die Polizei in Niedersachsen auch durchaus gute Erfahrungen mit ihren Bodycams gemacht", sagt der Kreisbrandmeister.
Vielzahl Ehrenamtlicher in
wechselnden Besetzungen
Bei Feuerwehren sei die Ausgangslage eine ganz andere. Henning Klensang schildert: "Einige kleinere Ortsfeuerwehen haben manchmal Wochen oder Monate lang keinerlei Einsätze. Wer soll sich hier um die technischen Details kümmern? Ist es dann nötig, das Equipment vorzuhalten? Die nächste Frage, die sich stellt, ist: Bekommt jeder eingesetzte Kamerad eine Kamera? Wegen der Ehrenamtlichkeit ist es bei uns ja so, dass wir bei jedem Einsatz wechselnde Besatzungen haben, wir können nie vorhersagen, wer kommt. Außerdem sind bei unseren Einsätzen schnell mal 30 bis 50 Personen beteiligt. Bei Großlagen teilweise auch 200 bis 300 oder sogar mehr. Wenn nun aber 'Kamerad 1' links an der Einsatzstelle eine Kamera hat, rechts bei 'Kamerad 2' geschieht aber ein Ereignis, das hätte gefilmt werden sollen, dann ist am Ende niemandem geholfen."
Bei den von seinem Vorgänger im Amt, Peter Winter, im WOCHENBLATT-Artikel vom Januar 2023 angesprochenen "besonderen Einsatzlagen“ könne ein Bodycam-Einsatz durchaus Sinn machen. Allerdings: "Wir wissen nie, was und vor allem wer uns erwartet. Feuer, Unfall, Gefahrguteinsatz, Türöffnung … die Vielfalt ist einfach zu groß und ein Eingrenzen des Cam-Einsatzes auf bestimmte Fälle meiner Meinung nach nicht möglich", so Henning Klensang.
DRK sieht Aufgabe in
Zuständigkeit der Polizei
Thomas Grambow, DRK-Geschäftsführer im Landkreis Harburg, sagt zu der CDU-Forderung: "Es ist eine unmittelbare Angelegenheit der exekutiven Macht des Staates, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dazu gehören auch alle Einsatzkräfte, deren sich der Staat bedient.
Nach meinem Erleben werden unsere Einsatzkräfte von den polizeilichen Kräften im Landkreis Harburg immer und unmittelbar begleitet. So verbleibt es diesen Kräften, den Einsatz unser Rettungskräfte ggf. zu sichern und zum rettungsdienstlichen Erfolg zu führen. Es bestehen aus meiner Sicht daher weiter keine Gründe, dazu eigene Aufnahmen anfertigen zu wollen oder solche gar anfertigen zu müssen.
Wir verstehen unsere Arbeit als Dienst am Menschen. Wir helfen jedem Menschen, der in Not geraten ist und unserer rettungsdienstlichen Hilfe bedarf. Wer dieses unterbinden will, muss mittels des Gesetzes zur Verantwortung gezogen werden. Dieses ist und bleibt Aufgabe der staatlichen Gewalt, aber sicher nicht Angelegenheit des Rettungsdienstes im Einsatz."
Lesen Sie auch den Artikel vom Januar 2023:
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