Landkreis Harburg
Forderungen nach dem Ampel-Aus aus der Region

Symbolbild | Foto: Nataraj / Adobe Stock
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Hoffen und Bangen: Das vorzeitige Aus der Ampel-Koalition in Berlin sorgt in der Region für gemischte Reaktionen und Erwartungen. Nach gut zwei Jahren gemeinsamer Regierungsarbeit endete das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP aufgrund anhaltender Differenzen in zentralen Fragen. Viele Verbände und Vereinigungen blicken nun gespannt auf die Bildung einer neuen Regierung und die Frage, welche politischen Schwerpunkte künftig gesetzt werden. Insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Industrie, Landwirtschaft und regionale Entwicklung erhoffen sich Interessenvertreter eine klare Richtung und langfristige Planungssicherheit. Das WOCHENBLATT hat nachgefragt, welche politischen Prioritäten die Region von einer neuen Koalition erwartet.

Andreas Kirschenmann, Geschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg | Foto: Jürgen Müller
  • Andreas Kirschenmann, Geschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg
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Andreas Kirschenmann, Präsident der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg
„Die regionale Wirtschaft braucht eine stabile Bundesregierung, die sich in ihren Zielen und in deren Umsetzung einig ist. Eine verlässliche und berechenbare Politik ist notwendige Grundlage, damit Unternehmen in die Zukunft investieren“, sagt Andreas Kirschenmann, Präsident der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW), mit Blick auf die Neuwahlen des Deutschen Bundestags. „Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage brauchen wir schnell Klarheit und einen Neustart in der Wirtschaftspolitik.“

Sollte Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage verlieren, bedarf es nach der vorgezogenen Wahl aus Sicht der regionalen Wirtschaft einer schnellen Regierungsbildung und im Anschluss entschlossener und umfassender Reformen, um den Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen. Dazu gehören eine Unternehmenssteuerreform, dauerhaft niedrigere Energiepreise, eine umfassende Reduzierung von Berichts- und Nachweispflichten, eine erfolgversprechende Strategie zum Anwerben von ausländischen Fachkräften und eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur.

Kirschenmann: „Die Unternehmen benötigen wieder eine gute Basis, auf der sie arbeiten können. Dazu gehören deutliche kürzere Plan- und Genehmigungsverfahren und eine wirtschaftsfreundliche Verwaltung, um Investitionen von Unternehmen zu fördern und zu unterstützen. Politik und Verwaltung sollten mit ihren Entscheidungen wieder mehr Lust auf Unternehmertum ermöglichen.“

Insbesondere mit Blick auf die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten erwartet die regionale Wirtschaft zudem, dass die deutsche Politik in Zukunft mit einer einheitlichen und starken Stimme spricht und die Europäische Union stärkt. Die exportorientierte Wirtschaft in der Region brauche freie Märkte, mehr Freihandel, Handelsabkommen und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf der Welt.

Arbeitgeberpräsident Volker Meyer | Foto: AV

Volker Meyer, Präsident des Arbeitgeberverbandes Lüneburg-Nordostniedersachsen 
Die Koalition ausgerechnet nach den Präsidentenwahlen in den USA mit dem dortigen für Europa und insbesondere für Deutschland herausfordernden Ergebnis platzen zu lassen, zeugt aus Sicht von Arbeitgeberpräsident Volker Meyer wenig von staatspolitischer Verantwortung aller Koalitionsparteien.

„Um so mehr kommt es jetzt darauf an, so schnell wie möglich eine neue handlungsfähige Regierung zu wählen“, fordert Volker Meyer. „Es gibt überhaupt keinen Grund, die für Neuwahlen notwendige Vertrauensfrage noch weiter hinauszuzögern“, stellt der AV-Präsident fest. „Insbesondere können die verbliebenen Koalitionsparteien nicht ernsthaft damit rechnen, dass im jetzt beginnenden Wahlkampf ausgerechnet die Opposition mit einer Minderheitsregierung neue Gesetze auf den Weg bringt.“

„Dies wird erst mit einer neuen Bundesregierung gelingen, was gerade für die zwingend notwendige Verabschiedung des Haushalts 2025 und die ebenso dringend notwendigen Wirtschaftsreformen gilt“, macht Volker Meyer deutlich. 

SPD-Kreisfraktionsvorsitzender Thomas Grambow | Foto: Grambow
  • SPD-Kreisfraktionsvorsitzender Thomas Grambow
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Thomas Grambow, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion im Landkreis Harburg:
"Für mich stelle ich fest, dass unsere aktuellen Abgeordneten unsere Region in Berlin sehr gut vertreten haben. Das gilt es natürlich zu erhalten. Weiter wünsche ich mir, dass die kommende Regierung die Lage unseres Landkreises in der Weise betrachtet, die laufende Suburbanisierung (Stadtflucht) beim Nachbarn und die örtliche Bedeutung der Diffusion von Bevölkerung, Arbeitsplätzen, Dienstleistungen und Funktionen zu betrachten und für entstehende Kosten finanzielle Ausgleiche zu schaffen", dsagt SPD-Kreisfraktionsvorsitzender Thomas Grambow.

"Eine neue und später erfolgreiche Koalition muss aus meiner Sicht wieder lernen, Prioritäten zu setzen! Im ersten Schritt ist dazu wieder unsere Wirtschaft flott zu machen. Wenn sich Teile unserer Gesellschaft heute größte Sorgen machen, im wirtschaftlichen 'Leben' durch politisch komplett unterschiedliche Sichtweisen abgehängt fühlen, dann muss dieses Handlungsfeld schnell und kompetent besetzt werden."

Bezogen auf die innere Sicherheit sowie hinsichtlich der Flüchtlingspolitik habe er die Erwartung, einen weiter starken und hieraus uneingeschränkten handlungsfähigen Rechtsstaat in unserem Land vorzufinden. Das umfasse den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt, Verbrechen und Terror sowie den Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung. "Wir sollten weiter vertraute Situationen und Menschen aufsuchen können, Gewohntes wieder erleben können, das tun, was uns Spaß macht und das wir beherrschen.
Die meisten Menschen fliehen für mich vor Kriegen, Gewalt oder Verfolgung, aus akuter Not oder wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Die Lösungen dafür liegen vielfach in den Herkunftsländern, wo unsere politisch und diplomatischen Mittel gewaltsame Konflikte stärker als bisher verhindern müssen, dazu friedliche Lösungen gefunden, wieder politisch und wirtschaftliche Stabilität gefördert und dazu friedensbereite Kräfte unterstützt werden müssen", so Grambow.

Dr. Hans-Heinrich Aldag | Foto: Gilbert-Studios

Dr. Hans-Heinrich Aldag, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion
"Von einer künftigen Bundesregierung erwarte ich für unsere Region, dass sie uneingeschränkt zum gefundenen Kompromiss 'Alpha-E' steht und das Schreckgespenst 'Neubautrasse zwischen Hamburg und Hannover' endgültig in den Schubladen verschwindet. Für die Mitte und den Süden des Landkreises muss die geplante Reaktivierung der bisherigen Güterbahnstrecke zwischen Buchholz und Harburg mit den Haltepunkten in Jesteburg und Ramelsloh nun endlich kommen, um die Attraktivität des ÖPNV auch hier weiter zu stärken. Eine weitere Aufgabe für die kommende Bundesregierung ist die Anpassung des 'Wind-an-Land'-Gesetzes. Bei den laufenden Planungen in unserem Landkreis zeigt sich, dass das durch die Bundesregierung definierte und von der Landesregierung auf die Landkreise 'verteilte' Ausbauziel in der Praxis schwer umzusetzen ist – das zeigt sich insbesondere in unserem dicht besiedelten Landkreis", betonz CDU-Kreisfraktionsvorsitzender Dr. Hans-Heinrich Aldag.

Beim Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz müsse dringend nachgebessert werden. "So benötigen insbesondere die Kliniken des Landkreises finanziell zumindest noch die erhebliche Basisnachholung aus den Inflationsjahren 2022 bis 2024, um die im Wesentlichen politisch fixierten Preise an die realen Kostenentwicklungen anzupassen. Anderenfalls werden viele Kliniken die vermeintlichen Segnungen des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes kaum noch erleben."

Folgende Themen betreffen das gesamte Bundesgebiet und müssen aus Aldags Sicht ebenfalls zügig angegangen werden:

  • Stabilisierung der Wirtschaft
  • Gewinnung von Arbeitskräften
  • „Ehrlicher“ Abbau bürokratischer Regelungen in allen Bereichen
  • Rentenreform
  • Wohnungsbau beschleunigen
  • (Verkehrs-)Infrastruktur modernisieren
  • Finanzielle Entlastung der Kommunen
  • Beim (notwendigen) weiteren Klimaschutz konsequente Verbindung und Überprüfung der wirtschaftlichen Leistbarkeit

In Bezug auf die innere Sicherheit sowie hinsichtlich der Flüchtlingspolitik müsse aus Sicht von Hans-Heinrich Aldag der asylbedingte Zuzug besser begrenzt und gesteuert werden, da viele Kommunen inzwischen ihre Belastungsgrenze erreicht haben. Menschen mit berechtigtem Anspruch auf Asyl müssten schneller und besser integriert werden. "Für sie und für diejenigen, die explizit wegen der Integration in die Arbeitsprozesse unseres Landes kommen, muss dringend ein einfacherer, deutlich unbürokratischerer und kürzerer Zugang zum Arbeitsmarkt erfolgen können". so Aldag.

Landrat Rainer Rempe | Foto: Landkreis Harburg

Rainer Rempe, Landrat des Landkreises Harburg
"Ich hoffe auf eine stabile Regierungsmehrheit, die mit einem klaren Konzept den Menschen und der Wirtschaft eine verlässliche Perspektive aufzeigt, was notwendig ist, um schnellstmöglich aus der Negativspirale und dem allgegenwärtigen Pessimismus herauszukommen. Nur dann werden notwendige Investitionen ausgelöst und der Konsum angekurbelt. Dazu gehört es, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen und finanzielle Prioritäten zu setzen. Meine Erwartung ist auch, dass die finanzielle Handlungsfähigkeit der Landkreise und Städte und Gemeinden, die ganz konkret Leistungen für die Menschen vor Ort erbringen, erhalten bleibt. Dies wird nur gelingen können, wenn nicht immer neue Leistungs- und Qualitätsversprechen gemacht werden, für die weder Personal noch Finanzmittel vorhanden sind. Die in den letzten Jahren exorbitant gestiegenen Ausgaben im Sozialbereich müssen ebenso begrenzt werden, wie die Aufwendungen für Migration; sagt Landrat Rainer Rempe.

Zu dem von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Maßnahmenpaket zu Migration und Sicherheit, dssas gerade erst in Kraft getreten ist, sagt Rempe: "Die Umsetzung und die Folgen in der Praxis müssen wir sicherlich abwarten. Meiner Meinung nach muss hier aber noch mehr getan werden. Zentral ist aus meiner Sicht eine effektive Steuerung von Migration auf europäischer Ebene, um illegale Zuwanderung so weit wie möglich zu verhindern. Gleichzeitig muss die Ausreisepflicht bei Personen ohne Bleibeperspektive grundsätzlich deutlich schneller und konsequenter durchgesetzt werden. Hier ist neben dem Bund auch das Land gefordert. Dies gilt natürlich ganz besonders, wenn es um die Abschiebung von Straftätern oder potenziellen Gefährdern geht."

Ein hartes und entschlossenes Durchgreifen erwartet er insbesondere bei den leider zunehmenden Übergriffen auf Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr. "Wer nicht einmal diese Organisationen achtet, die Leib und Leben anderer schützen und sich dabei nicht selten selber in Gefahr begeben, muss die volle Härte des Gesetzes direkt und unmittelbar spüren", so Rempe.

Kreishandwerksmeister Bernd Hintze | Foto: ce

Kreishandwerksmeister und Tischlermeister Bernd Hintze
"Von einer neuen Regierung wünsche ich mir, dass sie das Handwerk stärker von den Steuern entlastet. Und dass Betriebe, die neue Fachkräfte vernünftig und fachlich qualifiziert ausbilden, fördern. Für diese Betriebe, die dem in allen Branchen herrschenden Fachkräftemangel begegnen, muss es Boni oder andere Vorteile geben", sagt Kreishandwerksmeister Bernd Hintze. Die Regierung müsse erkennen, was an der Basis geleistet wird. "Es dürfen nicht nur tolle Abiturnoten und akademische Abschlüsse Anerkennung finden, sondern das Handwerk muss wertgeschätzt werden. Das Handwerk hat eine enorme Wirtschaftskraft, aber keine Lobby", sagt Hintze. Er verweist auch auf die hohen Sozial- und Nebenkosten und die hohe Mehrwertsteuer von 19 Prozent beim Stundenlohn. Im Prinzip sei er über darüber hinaus privat und geschäftlich über die Umsatz- und Gewerbesteuer auch selbst Steuereintreiber für den Staat.

Andererseits sieht er nicht allein die Regierung in der Pflicht, die Menschen im Land zu motivieren. "Die Politik alleine kann nicht für Aufbruchstimmung sorgen. Wir müssen auch selbst an unserer Mentalität arbeiten durch positives Denken", sagt Bernd Hintze. Er selbst sei ein positiver Mensch und zieht als passionierter Tischtennisspieler einen sportlichen Vergleich: "Man muss immer um den letzten Punkt kämpfen, das Endergebnis ist entscheidend. Und natürlich der Spaß, denn ohne Spaß und Freude, an dem, was man macht, ist auch keine Leistung und somit auch kein Erfolg möglich!" Ansonsten brauche man nicht zu einem sportlichen Duell antreten. Aber dazu brauche es eben auch einen guten Coach bzw. Bundeskanzler an der Spitze. Derzeit sei die Gesellschaft lethargisch, weil niemand weiß, was morgen ist.

Forderungen an die neue Regierung
Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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