Niedersachsen
Statt Verschärfung des Jugendstrafrechts Grenzen aufzeigen

- Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann (Mi.), hier beim Besuch des Amtsgerichts Winsen, mit Direktorin Simone Skibba und Amtsgerichts-Geschäftsleiter Johannes Wrede
- Foto: aw
- hochgeladen von Bianca Marquardt
Unter der Überschrift" Immer jüngere Täter, immer schwerere Taten: Schutzplanke Strafrecht anpassen!" hatte die AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag jüngst eine "Aktuelle Stunde" im Parlament beantragt. Jugendliche Straftäter sind auch in der Region immer mal wieder Thema. Zum Beispiel eine Jugendgang, die im Landkreis Harburg ihr Unwesen trieb und viele Gleichaltrige in Angst und Schrecken versetzte. Wie berichtet, ist einer der 16-Jährigen Täter inzwischen inhaftiert.
Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann (SPD) wertete schon die Überschrift als "weltfremd oder nicht ganz ehrlich". "Sie tun so, als ob man einfach nur das Strafmündigkeitsalter senken und die Strafen erhöhen sollte – und dann würden plötzlich weniger Kinder und Jugendliche straffällig werden. Und dass Sie das auch noch auf dem Rücken der Opfer von Straftaten tun, die Sie hier für Ihre Zwecke instrumentalisieren, steht wirklich sittlich auf niedrigster Stufe", so Wahlmann.
Sie verwies auf das Jugendgerichtsgesetz (JGG), das vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken solle und das vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten sei.
Wahlmann: "Erziehung steht also im Vordergrund. Kinder und Jugendliche sind Menschen, die sich in der Entwicklungsphase befinden – und zwar nicht nur körperlich, sondern gerade auch geistig, seelisch, psychisch, kognitiv. Kindern und Jugendlichen ist es geradezu immanent, sich in ihrer Entwicklung auszuprobieren und Grenzen auszutesten. Aufgabe der Erwachsenen in unserer Gesellschaft – in erster Linie der Eltern, aber auch der Kita, der Schule, anderer Erziehungspersonen, aber auch unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure des Staates – ist es, den Kindern und Jugendlichen diese Grenzen aufzuzeigen und nötigenfalls die passenden Konsequenzen folgen zu lassen, wenn diese Grenzen überschritten werden. Das nennt man Erziehung."
Das JGG sieht bei Straftaten von Jugendlichen Maßnahmen vor, die den unterschiedlichen Straftaten angemessen sind, und die die Jugendlichen in Zukunft zu einem Leben ohne Straftaten befähigen. Dieses Recht würden die niedersächsischen Staatsanwaltschaften und die niedersächsischen Jugendrichterinnen und Jugendrichter sehr sorgfältig und mit großem Augenmaß anwenden. "Sie berücksichtigen die familiären und schulischen Gegebenheiten, die möglichen sozialen Probleme und die sonstigen Herausforderungen, die dazu geführt haben, dass dieser junge Mensch strafbar geworden ist. Und dann finden unsere Richterinnen und Richter eine gute rechtsstaatliche Lösung, die für den Jugendlichen zwar auch eine Strafe, aber auch eine Hilfe darstellt. Das kann eine Erziehungsmaßregel wie eine Weisung oder auch etwa ein Jugendarrest von bis zu vier Wochen sein", erläuterte die Justizministerin.
In schweren Fällen könne eine Jugendstrafe verhängt werden – also die Freiheitsentziehung in einer Jugendanstalt. Die Verhängung von Jugendstrafen sei vom Gesetz her allerdings nur dann vorgesehen, wenn der Jugendliche schädliche Neigungen aufweise oder wenn wegen der Schwere der Schuld die Jugendstrafe erforderlich sei.
Wahlmann richtete deutliche Worte an die Antragsteller: "Wenn Sie meinen, dass deutlich mehr Jugendliche hinter Schloss und Riegel sitzen müssten, dann verkennen Sie nicht nur das Gesetz, sondern schießen auch deutlich über das Ziel hinaus. Wollen Sie allen Ernstes jeden 16-jährigen Mofaschrauber und jeden 14-jährigen Schwarzfahrer für Jahre wegsperren?"
Die Justiz müsse der zunehmenden Delinquenz von Kindern zwar begegnen, aber nicht mit den Mitteln des Strafrechts. "Wenn wir Straftaten verhindern wollen, dann müssen wir präventiv tätig werden", so Wahlmann. Das gelte für Jugendliche, Erwachsene und auch für Kinder, die überwiegend mit leichten Straftaten auffallen. "Was die Gesellschaft braucht, sind Menschen, die hinschauen, die zuhören, die sehen, wenn bei einem Kind etwas aus dem Ruder läuft und die Eltern damit womöglich überfordert sind. KiTa, Schule, Jugendhilfe, aber auch Nachbarn und Freunde. Menschen, die die richtige Maßnahme für das Kind treffen, bevor es auf die schiefe Bahn gerät."
Die Begehung von Straftaten könne ein Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung sein. Wenn eine solche Kindeswohlgefährdung durch die Eltern nicht abgewendet wird, sei das Familiengericht anzurufen, das eine freiheitsentziehende Unterbringung anordnen könne.
Um weiterhin präventiv tätig werden zu können, sei im Rahmen der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und –minister im November 2023 der Bundesjustizminister gebeten worden, eine bundesweite Studie zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt in Auftrag zu geben.
"Wir haben die Problematik im Blick. Uns geht es dabei um die Sicherheit der Bevölkerung, die wir sowohl durch Prävention als auch durch ein angemessenes Jugendstrafrecht erreichen werden", so Wahlmann.
Redakteur:Bianca Marquardt aus Tostedt |
|
Webseite von Bianca Marquardt | |
Bianca Marquardt auf Facebook | |
Bianca Marquardt auf YouTube |
Kommentare