AfD-Kreisverband Harburg-Land
Von Eurokritikern zu "Hasspredigern"?
(bim). Der Parteitag des AfD-Kreisverbandes Harburg-Land Anfang Februar sei "denkwürdig" und "sehr unanständig" gewesen, sagt Hans-Jürgen Bletz, AfD-Gründungsmitglied und langjähriger Mann für Öffentlichkeitsarbeit. Nachdem er bereits vergangenen August aus der Partei ausgetreten war, die Kreistagsfraktion aber weiterhin bei der Pressearbeit unterstützt hatte, hat er der AfD jetzt komplett den Rücken gekehrt - und ist längst nicht der Einzige. Wie sich die "Alternative für Deutschland" zerlegt, erinnert - zugegeben, etwas böse formuliert - fast an ein politisch inkorrektes Kinderlied mit zehn Strophen.
Hans-Jürgen Bletz gehörte im April 2013 mit Volkswirtschaftler Prof. Dr. Bernd Lucke zu den Gründungsmitgliedern der damals als europakritisch angetretenen Partei. Inzwischen macht die AfD zumindest auf Bundesebene fast nur noch durch rechtspopulistische, teils rechtsexteme Äußerungen auf sich aufmerksam.
Diese Tendenzen wirft Hans-Jürgen Bletz auch der Kreis-AfD vor. "Die Ideale der AfD aus 2013 sind für mich auch heute noch richtig, unsere Kritik, z.B. am Euro oder der Energiepolitik, haben sich leider auch schon bewahrheitet bzw. zeichnen sich bestätigend ab. Seit 2017 hat sich mit dem Einzug des neuen Vorsitzenden jedoch die Mitgliederstruktur des Kreisverbandes zielgerichtet und grundlegend verändert. Begeisterte Flügelanhänger, Bewunderer von Akteuren wie Höcke oder Kalbitz beherrschen jetzt die Partei und 'retten' vornehmlich Deutschland - nur wie, das äußern sie nicht", kritisiert Bletz vor allem den wiedergewählten Kreisvorsitzenden Rainer Sekula.
"Vor diesem Hintergrund kann ich als überzeugter Anhänger unseres Grundgesetzes nicht mehr behilflich sein, diese Kreis-AfD durch eine positive Darstellung der vielen sinnvollen Initiativen der Kreistagsfraktion für den Wähler in einem guten Licht erscheinen zu lassen", so Bletz weiter, der auch die "sachlich apolitischen Eigenschaften und obskuren Handlungsweisen dieses Kreisvorstandes" bemängelt.
Außerdem sei die bis 2017 erfolgte politische Fortentwicklung des Kreisverbandes über Stillstand bis zum Nullpunkt verkommen.
Auf ihrem Online-Auftritt gibt sich die Kreis-AfD als "bürgernah, patriotisch, norddeutsch".
Der AfD-Kreisverband habe früher einmal 150 Mitglieder gezählt, heute seien es noch rund 110, berichtet Hans-Jürgen Bletz.
Mit der Kritik von Hans-Jürgen Bletz zu seiner Person und dem "Rechtsruck" konfrontiert, erklärt Kreisvorsitzender Rainer Sekula nur, er könne "das Gerede von ihm einordnen". Die Zustimmung für ihn habe bei seiner Wahl zum Vorsitzenden bei 81 Prozent gelegen.
Zur Mitgliederentwicklung sagt Sekula: "Es gab einige Austritte. Die meisten davon wurden von den Mitgliedern mit großer Erleichterung aufgenommen. Wir verzeichnen zurzeit sehr viele Neueintritte. Diese kompensieren die Austritte völlig. Nicht nur zahlenmäßig."
An Schwerpunkten der Kreis-AfD nennt Rainer Sekula: "lebensnah getakteten, bezahlbaren Öffentlichen Personennahverkehr, familiengerechte und bezahlbare Krippenbetreuung, endlich genügend bezahlbaren Wohnraum für Normalverdiener und ein Mehr an Sicherheit für unsere Bürger. Also kein Abbau von Stellen bei der Polizei."
Die Umsetzung will die Kreis-AfD im Rahmen einer verstärkten Mitgliedergewinnung erreichen. "Noch mehr ganz normale Bürger wollen wir insbesondere dazu bewegen, 2021 zur Kommunalwahl politisch aktiv zu werden und in ihren Gemeinden zu kandidieren."
Ausgetretene Mandatsträger
Auch mehrere Mandatsträger haben die AfD zwischenzeitlich verlassen.
Bereits im vergangenen August war der Buchholzer Ratsherr Hans-Wilhelm Stehnken zum zweiten Mal aus der AfD-Fraktion ausgetreten, weil Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Hass und Ignoranz "in bedenklichem Maße zugenommen" hätten, erklärte er.
In Seevetal haben im Februar die AfD-Gemeinderatsmitglieder Dr. Klemens Lunkenheimer, bisheriger stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Horst Carls die Fraktion und die Partei mit sofortiger Wirkung verlassen, Erstgenannter auch im Nachgang zum Kreisparteitag.
Die AfD-Kreistagsfraktion ist inzwischen von sechs auf drei Mitglieder geschrumpft. Zuletzt ist Frank-Oliver Lein aus der AfD-Fraktion ausgetreten, er will aber als fraktionsloses Mitglied im Kreistag bleiben.
Er schließt sich "den Erklärungen meiner Ex-Kollegen aus Seevetal und des Herrn Bletz" an. "Mir ging es immer darum, wirklich etwas zu erreichen, und notfalls auch einen Kompromiss mit den Altparteien auszuhandeln", sagt Lein. "Wir müssen Lösungen für die Probleme der Bürger vorschlagen und nicht neue erzeugen. Das wurde aber immer schwerer. Und seitdem 'der Flügel' aus Seevetal das Steuer im Kreisverband in der Hand hat, ist das völlig unmöglich geworden", so Lein weiter.
Im Kreisausschuss (KA) könnte der AfD-"Schrumpfungsprozess" dennoch Folgen haben: Der KA wird auf Basis der Fraktionsstärke besetzt. Die AfD könnte dort ihr Stimmrecht verlieren, wenn eine andere Kreistagsfraktion einen Antrag auf Neubesetzung des KA stellt und der Kreistag so beschließt. Klassischerweise stellt die Fraktion einen solchen Antrag, die von deren Stimmverlust profitiert - in diesem Fall wäre das die SPD.
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