Interview mit der Anästhesie-Chefärztin des Krankenhauses Winsen
Keine OP ohne: ist Narkose wirklich gefährlich?

Dr. Maike Höltje, Chefärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin | Foto: Krankenhaus Winsen
  • Dr. Maike Höltje, Chefärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin
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nw/nf. Winsen. Keine Operation ohne Narkose. Doch gerade die macht vielen Patienten mehr Angst als der Eingriff selbst. Was ist dran an den Befürchtungen? Wie steuern die Krankenhäuser gegen? Und was kann man selbst tun, um sich auf eine Operation vorzubereiten? Das WOCHENBLATT sprach darüber mit Dr. Maike Höltje, Chefärztin der Anästhesiologie und Notfallmedizin im Krankenhaus Winsen.
WOCHENBLATT: Oft hört man von Angehörigen, ihre Lieben seien nach einer Operation nicht mehr dieselben. Sie seien vergesslich geworden, hätten ihre Persönlichkeit verändert. Ist da was dran?
Dr. Maike Höltje: Jede Narkose kann Nebenwirkungen haben. Doch wenn kognitive Störungen wie Vergesslichkeit auftreten, bewirkt das nicht die Narkose allein. Vielmehr hat alles, was im Umfeld der Operation passiert, Einfluss auf die geistige und seelische Verfassung: die nicht vertraute Umgebung, die fremden Menschen, das ungewohnte Essen. Vor dem Eingriff spielt die Angst, nicht wieder aufzuwachen, oder davor, dass das OP-Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht, mit hinein. Außerdem können medizinische Gründe wie hoher Blutverlust, niedriger Blutdruck und Medikamente die Wahrnehmung und Konzentration beeinträchtigen.
WOCHENBLATT: Trifft das nur alte Menschen?
Dr. Höltje: In jedem Lebensalter gilt: Je größer die Operation, desto höher ist das Risiko. Insbesondere Notfall-Operationen können Patienten schon ziemlich aus dem Tritt bringen. Körperlich und geistig fitte Menschen bewältigen ungewohnte Situationen meist schnell. Bei Älteren machen Krankenhausaufenthalte nicht selten auch beginnende Demenzerkrankungen deutlich.
WOCHENBLATT: Bleibt das dann für immer?
Dr. Höltje: Viele der Störungen, die Patienten direkt im Anschluss an eine Operation erleben, sind reversibel (behebbar, rückgängig zu machen, Anm. d. Red.). Nach einer Woche sind bei gesunden Patienten 25 Prozent dieser Störungen verschwunden, nach einem Monat 40 Prozent, spätestens nach einem Jahr lässt sich nichts mehr davon erkennen. Anders ist es natürlich bei demenziell Erkrankten, die eine besondere Betreuung und Behandlung benötigen und die wir bei Bedarf intensiv überwachen.
WOCHENBLATT: Was können Sie tun, um Verwirrtheit nach einer Operation vorzubeugen?
Dr. Höltje: Wir stimulieren die Sinne, indem wir anbieten, Hilfsmittel wie Brille und Hörgerät mit in den Operationssaal zu bringen, sodass die Patienten auch in der Operationssituation mit ihrer Umwelt kommunizieren können. Außerdem verzichten wir darauf, vor dem Eingriff routinemäßig Beruhigungsmittel zu verabreichen. Es hat sich gezeigt, dass diese Medikamente kognitive Störungen verstärken. Unter örtlicher Betäubung können die Patienten während des Eingriffs ihre Lieblingsmusik hören oder ein Hörspiel, das sie ablenkt. Speziell bei älteren Patienten operieren wir, wo es geht, ambulant, um ihnen den Aufenthalt in einer fremden Umgebung zu ersparen.
WOCHENBLATT: Vollnarkose oder örtliche Betäubung - welche Narkose ist die beste?
Dr. Höltje: Das kommt auf das individuelle Beschwerdebild und auf die Persönlichkeit des Patienten an. Menschen, denen es schwer fällt, ihre Autonomie und Selbstkontrolle aufzugeben, tun sich mit einer Vollnarkose deutlich schwerer. Für sie sind eine Spinal- oder Periduralanästhesie, bei der Lokalanästhetika direkt an zentralen Nerven wirken, oder Nervenblockaden, z.B. zur Schmerzausschaltung am Arm, häufig besser geeignet. Bei beiden Betäubungsarten bleibt der Patient bei Bewusstsein, kann aber auch eine leichte Sedierung (ein Beruhigungsmittel, Anm. d. Red.) erhalten.
WOCHENBLATT: Viele haben ja auch Angst, dass die Betäubung während der Operation plötzlich nachlässt …
Dr. Höltje: Das wird nicht passieren. Wir passen die Narkosedosis genau an Lebensalter und Gesamtkonstitution an. Alte Menschen brauchen meist weniger als Kinder. Bei Risikopatienten wird die Narkosetiefe elektronisch überwacht, indem wir die Hirnströme messen. Die Prozesse innerhalb des Krankenhauses sind in den vergangenen zehn Jahren noch sehr viel effektiver geworden. Wir haben Checklisten, die von der WHO erprobt sind. Jeder einzelne Arbeitsschritt ist festgelegt, jede Spritze bekommt ein Etikett, andernfalls darf sie nicht verwendet werden. Da wird nichts dem Zufall überlassen.
WOCHENBLATT: Können Angehörige nach einer Operation helfen?
Dr. Höltje: Wir haben die aufgrund von Corona eingeschränkte Besuchsregelung angepasst. Schwer kranke Patienten können in Ausnahmefällen und nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt Besuch von ihren Angehörigen bekommen.
WOCHENBLATT: Was kann man selbst tun, um die Operation zu erleichtern und gut verträglich zu machen?
Dr. Höltje: Eine positive Grundeinstellung zur Operation und Behandlung sowie eine gesunde Lebensführung wirken sich immer positiv auf den Heilungs- und Genesungsprozess aus. Ich rate Patienten, wichtige Unterlagen, z.B. Kopien von Untersuchungsergebnissen, eine Liste der Medikamente, die eingenommen werden, Befunde von Vorerkrankungen an Herz, Kreislauf, Lunge, mit zum OP-Vorgespräch zu bringen. Das alles hilft uns, ein noch besseres Gesamtbild des Patienten zu bekommen und noch individueller auf ihn eingehen zu können.
WOCHENBLATT: Vielen Dank für das Gespräch.

Redakteur:

Tamara Westphal aus Buchholz

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