Job-Pause, Scheidung - vor allem Frauen trifft es
Zweitjob, um finanziell über die Runden zu kommen

Vor allem sind Frauen sind in Deutschland von Armut betroffen. | Foto: pexels-mikhail-nilov
  • Vor allem sind Frauen sind in Deutschland von Armut betroffen.
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(cbh). Sie haben eine abgeschlossene Ausbildung, langjährige Berufserfahrung, arbeiten teils in verantwortungsvollen Positionen. Und trotzdem reicht das Geld vorne und hinten nicht zum Leben. Diese drei Frau aus den Landkreisen Harburg und Stade benötigen inzwischen zwei Jobs, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie zu bestreiten. Mit diesem Problem sind sie nicht allein: Der Anteil der Bundesbürger, die einem Zweitjob nachgehen, hat sich in den vergangenen 20 Jahren von 1,8 Mio. auf 4,1 Mio. laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) mehr als verdoppelt.

Lesen Sie hier die Geschichte der Frauen. Die Namen wurden auf Wunsch geändert.

Sollte es Ihnen auch so gehen, brauchen auch Sie zwei Jobs zum Leben, melden Sie sich gern und schreiben Sie uns an red-buch@kreiszeitung.net (Stichwort Zweitjob).

Birgit P. aus Seevetal, 57, alleinstehend, keine Kinder: "Ich arbeite seit sieben Jahren in Vollzeit als Praxisleitung bei einem Arzt für Allgemeinmedizin. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung als Medizinische Fachangestellte, einen Bachelor in Ökotrophologie und eine Fortbildung zur Praxismanagerin. Mein Gehalt beträgt 3.000 Euro brutto, davon bleiben mir 1.966 Euro. Das ist eigentlich ganz gut. Solange ich mit meinem langjährigen Partner zusammen war, kam ich super aus. Wir haben uns aber vergangenes Jahr getrennt. Er musste berufsbedingt nach Stuttgart ziehen, diese Entfernung hat unsere Beziehung nicht ausgehalten. Die gemeinsame Wohnung ist gekündigt, meine neue 2-Zimmer-Wohnung, 59 qm, kostet 830 Euro kalt, plus 250 Euro Nebenkosten. die sich jetzt um weitere 50 Euro erhöhen, wie mir der Vermieter mitteilte. Abzgl. weiterer Festkosten wie Versicherung, Mobilphone, Internet und dem Abtrag fürs Auto bleiben mir 516 Euro zum Leben. Davon muss ich aber auch noch tanken, um zur Arbeit zu kommen, da die Praxis auf dem Land ist. Als meine Werkstatt mir sagte, ich bräuchte neue Winterreifen, war ich verzweifelt. Woher soll ich die 350 Euro nehmen? Ich habe wenig Ersparnisse. Das meiste ging für den Umzug, die Mietkaution und neue Möbel drauf. Darum habe ich vor Kurzem einen Zweitjob als Impfhelferin angenommen, jeden Samstag von 8 bis 16 h. Anders geht es nicht. Nebenher suche ich immer weiter nach einer günstigeren Wohnung."

Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Harburg, Andrea Schrag: "Es ist immer noch so, dass Frauen mehr sogenannte Care-Arbeit leisten. Berufliche Care-Arbeit, beispielsweise in der Pflege oder Kinderbetreuung, wird grundsätzlich schlechter bezahlt als berufliche Tätigkeiten  z.B. in MINT-Berufen, was ein Problem an sich ist. Wichtig wäre es, dass diese Tätigkeiten eine - auch ihrer Bedeutung angemessene - bessere gesellschaftliche Wertschätzung erlangen und eine entsprechend höhere Bezahlung erhalten."

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Daniela F. aus Neu Wulmstorf, arbeitet 32 Stunden/Woche als Sachbearbeiterin in einer Spedition, 38 Jahre, verheiratet, 2 Kinder (6 und 8 Jahre): "Seit der Corona-Pandemie kann ich zwei Tage im Homeoffice in Gleitzeit arbeiten, sonst pendle ich nach Hamburg. Daneben arbeite ich als Aushilfs-Trainerin in einem Fitness-Studio auf Minijob-Basis. Wir brauchen das Geld dringend, wir haben gebaut. Unser Traum. Aber der Bau wurde viel teurer als geplant. Während des Lockdown verlor mein Mann auch noch den Job - er arbeitet in der Gastronomie, auch die Fitnessstudios wurden geschlossen. Ich wollte gern in meiner Firma in Vollzeit arbeiten, aber mein Arbeitgeber wollte meine Stundenzahl nicht aufstocken. Wir mussten uns Geld von unseren Eltern leihen, um die Kreditraten und  den Lebensunterhalt zu bezahlen. Inzwischen hat mein Mann wieder einen Job gefunden, in Teilzeit, denn er möchte die Branche wechseln und macht ein Fernstudium zum Versicherungsfachwirt. Wir hoffen und beten, dass jetzt nicht wieder alles geschlossen wird. Sonst müssen wir wohl verkaufen."

Elena Knoop, Gleichstellungsbeauftragte aus dem Landkreis Stade: "Die Motive für Frauen, einen Zweitjob anzunehmen, unterscheiden sich von denen der Männer Frauen benötigen den Zweitjob zur Existenzsicherung, Ursache ist häufig auch eine Scheidung - bedeutet Unfreiwilligkeit bei der Annahme von Zweitjobs. Für Männer ist der Zweitjob ein Zuverdienst - also Freiwilligkeit bei der Annahme von Zweitjobs."

Corinna R., 58 Jahre, aus Stade, Justizfachangestellte, geschieden, ein erwachsener Sohn: "Meine miserable finanzielle Situation ist der Midlife-Crisis meines Ex-Mannes geschuldet. Unser Sohn war erst einige Monate aus dem Haus, da entdeckte ich, dass mein Mann eine Geliebte hat. Ganz klassisch, die Sekretärin, 22 Jahre jünger als er. Ich hatte mich gefreut, dass wir endlich mehr Zeit füreinander hätten, mehr gemeinsam reisen könnten, denn die Firma lief, der Sohn war im Studium - er hingegen hat sich eine Affäre gesucht. Als die Freundin schwanger wurde, reichte er die Scheidung ein. Und als es um Unterhalt, Zugewinn etc. ging, war - Wunder über Wunder - die Firma pleite. Ich hatte Glück, dass ich ihm nicht noch Unterhalt zahlen musste. Obwohl ich 25 Jahre aus dem Beruf raus war, bekam ich in Hamburg eine  - wenn auch befristete und nur 30 Stunden/Woche - Stelle  in meinem Lernberuf. Zusätzlich arbeite ich jedes Wochenende noch in einer Bäckerei. Wenn ich an meine Rente denke, wird mir angst und bange. Mein Mann wollte nie, dass ich arbeite - "das haben wir nicht nötig", sagte er. Jetzt droht mir die Altersarmut.

Elena Knoop, Gleichstellungsbeauftragte im Landkreis Stade: "Wir haben in Deutschland erst dann eine wahrhaftige Gleichstellung von Frau und Mann erreicht, wenn Seniorinnen und Senioren gleich viel Rente beziehen. Frauen haben oft große Lücken in ihrem beruflichen Lebenslauf, da sie die Kinder betreuen oder Verwandte pflegen. Oder sie arbeiten nur Teilzeit oder in Minijobs. Wir haben immer noch viel zu wenige und zu teure Kita- und Krippenplätze - das steuerliche Ehegattensplitting tut sein Übriges."

Nur 140 Euro zum Leben und keinen Cent vom Jobcenter
Redakteur:

Christine Bollhorn aus Buchholz

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