WOCHENBLATT-Interview mit Julia Hamburg (Grüne)
"Blockadepartei" nur für politische Konkurrenz

Julia Hamburg (re.) im Interview mit WOCHENBLATT-Redakteurin Bianca Marquardt  | Foto: TvR
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Der Wahlkampf für die Landtagswahl am Sonntag, 9. Oktober, läuft auf Hochtouren. Auf ihrer Tour durch die Region stellte sich Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg (36) in Buchholz den Fragen interessierter Bürgerinnen und Bürger und stand WOCHENBLATT-Redakteurin Bianca Marquardt für ein Interview zur Verfügung. Darin stellt sie klar, was die Grünen im Land besser machen wollen und weshalb sie keine "Bevormundungspartei" sind.

WOCHENBLATT: Frau Hamburg, umreißen Sie bitte kurz die Ziele der Grünen in Niedersachsen.
Julia Hamburg: Wir wollen Niedersachsen zukunftsfähig aufstellen und schlagkräftig investieren, zum Beispiel in erneuerbare Energien, Digitalisierung und eine sozial-ökologische Wirtschaft, und den ländlichen Raum stärken. Die Mobilitätswende muss neu gedacht werden durch Investitionen in Bus und Bahn und eine Erhöhung von Takten. Auf dem Lande könnten mit Partnern neue Mobilitätsmodelle vorangebracht werden, etwa kleinere, über Apps buchbare Autos und Busse. Es gibt genug digitale Möglichkeiten.
Kindern und Familien muss mehr Raum gegeben, Schulen und Kindertagesstätten müssen besser ausgestattet werden. Für die psychischen Belastungen durch die Corona-Pandemie bei Kindern und Jugendlichen müssen dauerhafte Strukturen geschaffen werden.
In einer älter werdenden Gesellschaft müssen Gesundheits- und Pflegeberufe aufgewertet und Wohnen im Alter durch neue Wohnformen wie Mehrgenerationenhäuser und Alten-WGs neu gedacht werden. Viele Menschen wollen im Alter nicht ins Alten- und Pflegeheim.

WOCHENBLATT: Wie beurteilen Sie die Entscheidung, die Atomkraftwerke (AKW) Neckarwestheim 2 und Isar 2 für viel Steuergeld betriebsbereit zu halten und Emsland abgeschaltet werden soll?
Julia Hamburg: Der Stresstest zeigt: Wir haben ausreichend Energie für diesen Winter. Wir werden weder im Dunkeln sitzen noch frieren müssen. In besonders extremen, unwahrscheinlichen Situationen kann es in Süddeutschland ein Problem mit der Netzstabilität geben. Deshalb ist es richtig, die AKW in Reserve zu halten. Treten die unwahrscheinlichen Parameter nicht ein, dann gehen alle Atomkraftwerke am 31. Dezember vom Netz. Lingen ist nicht in der Reserve, weil es schon heute das Netz verstopft und regelmäßig Windräder deshalb stillstehen.

WOCHENBLATT: Sie haben auf Ihrer Homepage viele Ziele genannt, u.a. Umbau der Landwirtschaft, Stärkung des Mittelstands auf dem Weg in eine sozial-ökologische Zukunft, Schaffung bezahlbaren Wohnraums etc. Wie bzw. wovon soll das finanziert werden? Beispiel Landkreis Harburg: Die Kommunale Wohnungsbaugesellschaft wurde gegründet, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Bei den nach Corona und Krieg gestiegenen Materialkosten und Lieferengpässen ist ein sozial verträgliches Bauen aber gar nicht mehr finanzierbar.
Julia Hamburg: In Niedersachsen gibt es eine Schuldenbremse, die Investitionen erschwert und nicht berücksichtigt, dass mit Investitionen Werte geschaffen werden oder dass Werte verfallen, wenn nicht investiert wird. Wir wollen investieren in den Bestand und zukunftsträchtige Infrastruktur - auch muss gelten, dass die Schaffung von Werten im Haushalt gegengerechnet wird. Dafür wollen wir einen Investitionsfonds gründen, in den eine Milliarde Euro aus dem Landeshaushalt eingezahlt wird, und zehn Milliarden Euro über Kredite in den nächsten zehn Jahren ausgeben. Nicht zu investieren, um keine Schulden zu machen, ist keine Option. Wenn wir zum Beispiel die Klimakrise nicht in den Griff bekommen, bezahlen künftige Generationen mehr als das Geld, das wir heute investieren. Es gibt allein bei den Kliniken einen 2,3-Milliarden-Euro-Sanierungsstau. Das sind Schulden, die wir vor uns herschieben.

WOCHENBLATT: Was sagen Sie den Skeptikern, die die Grünen inzwischen nur noch als "Bevormundungspartei" wahrnehmen, weil manches in Interviews Gesagte fehlinterpretiert oder aufgebauscht wird (Stichworte: gendern, Eigenheimverbot)?
Julia Hamburg: Wir haben mit diesem Ruf zu kämpfen, der von der politischen Konkurrenz bedient wird. Es stimmt nicht. Wir wollen, dass die Menschen sicher, zufrieden und gemeinsam leben können und sozial abgesichert sind. Uns ist wichtig, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, die das auch unseren Kindern und Enkelkindern ermöglichen. Bei dem Eigenheimverbot ging es um platzsparendes Bauen in Hamburg-Langenhorn, um mehr Wohnraum zu ermöglichen. Daher hatte die Kommune Einfamilienhäuser für eine konkrete Fläche ausgeschlossen.
Gendern wollen wir ermöglichen, aber nicht vorschreiben. Der Staat aber hat die Verpflichtung, die Menschen so anzusprechen, wie sie sind. Der Privatmensch kann reden, wie er will.
WOCHENBLATT: Frau Hamburg, vielen Dank für das Gespräch.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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