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"Die Wehrpflicht-Abschaffung war ein Riesenfehler"
Wehrbeauftragte Eva Högl löst mit Vorschlag Diskussion aus / Kommt "Dein Jahr für Deutschland"?
(mum). Der Vorschlag der neuen Wehrbeauftragten, Eva Högl (SPD), die Wehrpflicht wiedereinzuführen, stößt auf Kritik. Sowohl aus ihrer eigenen Partei als auch vom CDU-geführten Verteidigungsministerium bekommt sie keine Unterstützung. Högl hatte vor dem Hintergrund der Rechtsextremismus-Vorwürfe eine Debatte über die Wiedereinführung angestoßen. "Ich halte es für einen Riesenfehler, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde", sagte sie den Funke-Zeitungen. "Wir müssen diese Entscheidung sehr kritisch analysieren." Die Wehrpflicht in Deutschland war 2011 ausgesetzt worden. Schon vor dieser Entscheidung habe es die Befürchtung gegeben, "dass sich Rechtsextremismus in einer Berufsarmee stärker entwickelt als in einer Wehrpflichtarmee". Es tue der Bundeswehr sehr gut, "wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeitlang seinen Dienst leistet", betonte Högl in einem Bericht auf tagesschau.de.
Laut Medienberichten hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) einen neuen Freiwilligendienst in der Bundeswehr angekündigt. Ab 2021 solle unter dem Titel "Dein Jahr für Deutschland" ein neuer Dienst eingeführt werden. Jugendliche, die sich für den Dienst entscheiden, sollen eine sechsmonatige militärische Grundausbildung erhalten und anschließend für sechs Monate in der Nähe ihrer Heimat zu Reservediensten herangezogen werden.
Der Bundeswehrverband begrüßt die Debatte zur Wiedereinführung der Wehrpflicht prinzipiell, glaubt aber nicht, dass sich diese schnell umsetzen ließe. "Die Wehrpflicht wurde damals überstürzt ausgesetzt ohne Analyse - und deswegen wäre es falsch, sie jetzt ohne Analyse wieder einzuführen", sagt der Vorsitzende des Verbands, André Wüstner, dem SWR. "Der Grundgedanke von Frau Högl - zu analysieren und zu debattieren - ist genau der richtige." Die Wehrpflicht nur aufgrund von Extremismusdebatten wieder einzuführen, hält er aber für falsch.
Interessant: Laut Abendblatt haben auf die Frage, ob die obligatorische Militärzeit, aber auch der Zivildienst für Wehrdienstverweigerer reaktiviert werden sollte, 57 Prozent der Deutschen mit Ja und 42 Prozent mit Nein geantwortet, ein Prozent machte keine Angaben. Das Blatt zitiert aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar.
• Das WOCHENBLATT fragte die Bundestagsabgeordneten im Landkreis Harburg, Michael Grosse-Brömer (CDU) und Svenja Stadler (SPD), nach ihrer Meinung:
Michael Grosse-Brömer: "Die Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht alter Art halte ich für falsch. Das Thema Wehrgerechtigkeit wäre dann schnell wieder auf der Tagesordnung. Sinnvoll für unsere Gesellschaft wäre ein neuer Freiwilligendienst in der Bundeswehr. Ein solcher Dienst wäre eine gute Möglichkeit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken." Nach seinem Abitur diente Grosse-Brömer für zwei Jahre beim Pionierbataillon 6 in Plön/Holstein.
Svenja Stadler (SPD): "Grundsätzlich sollte das Prinzip der Freiwilligkeit gelten. Dennoch ist eine ergebnisoffene Diskussion zu dem Thema angebracht. Abzuwarten bleibt darüber hinaus, wie sich das Verteidigungsministerium positionieren wird." Einen Freiwilligendienst hat Stadler selbst nicht geleistet. "Was unter anderem daran liegt, dass ich damals nicht wusste, dass es so etwas gibt. Früher wurde das nicht so beworben wie heute."
PRO
Ein Spiegelbild der Gesellschaft
Meine Grundausbildung war kein Zuckerschlecken! Ich hatte einen Fahnenjunker, der sich einen Spaß daraus machte, uns zu tyrannisieren. Strafdienste für Belanglosigkeiten standen an der Tagesordnung. Dennoch: Ich bereue keinen einzigen Tag. Die Monate in Uniform haben mich geprägt - und damit meine ich nicht nur den Satz "Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit".
Nirgends erlebte ich einen so großen Zusammenhalt wie in meinem Zug. Und wir waren wirklich alle grundauf verschieden. Haupt- und Realschüler sowie Gymnasiasten, junge Menschen aus der ganzen Republik - einige habe ich aufgrund ihres Akzentes erst nach Wochen verstanden. Wir waren ein Spiegelbild der Gesellschaft und lernten, miteinander umzugehen. Viel wichtiger: Wir lernten, dass wir nur gemeinsam diese Monate erfolgreich meistern werden. Wer etwas besonders gut konnte, unterstützte denjenigen, der Probleme hatte. Dazu Disziplin und Ordnung, die einem eingehämmert wurden. Kurzum, die Wehrpflicht ist durchaus sonnvoll. Heute mehr denn je, denn sie hilft jungen Menschen, den eigenen Horizont zu erweitern. Und wenn nicht bei der Bundeswehr, dann in einem sozialen Umfeld. Gerade die "Generation Selfie" lernt, den Blick weg von Facebook, Instagram und TikTok auf die Gesellschaft zu richten.
Nach der Schulzeit stehen viele vor grundsätzlichen Entscheidungen. Vielen Berufseinsteigern fehlt allerdings Lebenserfahrung. Ich gehe soweit und sage: Viele wissen mit 19 oder 20 Jahren noch gar nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Warum also nicht in der Pflege, bei der Feuerwehr oder dem Kindergarten helfen? Der Dienst wird ein Verständnis dafür schaffen, wie es anderen Menschen geht, die andere Voraussetzungen haben als man selbst.
Eine gut organisierte Dienstpflicht sorgt kurzfristig für mehr Personal in Altenheimen und Kindergärten. Langfristig wird bei jungen Menschen ein Bewusstsein für die Gesellschaft geschaffen.
Sascha Mummenhoff
Contra
Vorgezogenes Sommerloch-Thema
Ich habe von 1991 bis 1992 meinen Wehrdienst in Lüneburg abgeleistet. Mein Fazit: ein absolut verschenktes Jahr ohne jeglichen Mehrwert. Wenn der Wehrdienst, den Frau Högl ins Spiel bringt, nur ansatzweise dem von damals ähnelt - und warum sollte es anders sein? -, wird das Ganze ein Rohrkrepierer. Ich halte den Vorschlag für ein vorgezogenes Sommerloch-Thema, initiiert von einer Wehrbeauftragten, die ihren Posten eher nicht wegen profunder Kenntnisse rund um die Bundeswehr bekommen hat.
Ja, ich habe in dem Jahr wichtige soziale Kontakte geknüpft, vor allem mit Kameraden aus Sachsen, die damals erstmals eingezogen wurden. Ja, ich habe gelernt, dass man gestellte Aufgaben gemeinsam besser lösen kann, völlig unabhängig von Herkunft und Schulbildung. Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Wehrdienst an sich sinnbefreit war.
Welchen Stellenwert mein Dienst hatte, wurde mir durch den obersten Soldaten der Kaserne gleich in seiner Begrüßung verdeutlicht: "Im Ernstfall sind Sie alle innerhalb von 30 Minuten tot!" Das ist Motivation à la Bundeswehr. Diese Worte hallten nach, als ich lernte, wie man ein G-3-Gewehr mit verbundenen Augen auseinander- und wieder zusammenbaut. Wofür? Oder bei einem fingierten "Angriff" mit unserem Kompaniechef: Wir meinten, alles Gelernte richtig umzusetzen, um hinterher zu erfahren, dass wir während des 45-minütigen Krabbelns 30 Minuten im Fadenkreuz unserer "Gegner" waren. Sinnloses, nutzloses Kriegsspiel.
Einem Verteidigungsministerium, das es schon heute nicht schafft, eine deutlich verkleinerte Bundeswehr vernünftig auszustatten, die Organisation eines Wehrdienstes mit jährlich tausenden leidlich motivierten jungen Erwachsenen anzuvertrauen, halte ich für eine schlechte Idee.
Wer sich engagieren möchte, kann das auf andere Weise tun. Ich bin mir sicher, dass meine Tochter bei ihrem in Kürze beginnenden Freiwilligen Ökologischen Jahr auf der Insel Föhr tausendmal mehr fürs Leben lernt als ich bei der Bundeswehr.
Oliver Sander
Soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden?
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Redakteur:Sascha Mummenhoff aus Jesteburg |
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