Hollenstedt
Die Retter des denkmalgeschützten Pfarrwitwenhauses
Jeder normale Mensch, der das historische Pfarrwitwenhaus in Hollenstedt betritt, das Werkzeug und die Schuttmengen auf den unebenen und staubigen Böden sieht, würde nur mit dem Kopf schütteln und gehen. Nicht so Wolfgang und Anja Meyer: Sie haben das 1794 erbaute, denkmalgeschützte Gebäude 2016 erworben und sich zum Ziel gesetzt, es zu retten und originalgetreu wieder herzurichten. "Für andere ist es eine große Baustelle, für mich ein Paradies", sagt Wolfgang Meyer, der das Haus seit sechs Jahren aus Originalteilen vieler anderer alter Häuser rekonstruiert.
Kirchengemeinden ließen solche Häuser früher für die Witwen ihrer Pfarrer und deren Familien bauen. In dem Hollenstedter Pfarrwitwenhaus gab es einen Wirtschaftsteil mit Diele, Viehstall, Torfkammer und Platz für einen Knecht sowie einen Wohnbereich mit Küche, zwei Kammern und zwei Stuben. Im Jahr 1888 verkaufte die Kirchengemeinde Hollenstedt ihr Pfarrwitwenhaus an die Hollenstedter Familie Hauschild.
Da das Gebäude in die Jahre gekommen war und Investitionen von mehreren hunderttausend Euro nötig waren, wollte sich im Sommer 2011 ein Förderverein, u.a. um den damaligen Heimat- und Verkehrsvereins-Vorsitzenden Ludwig Hauschild (nicht verwandt mit den Eigentümerinnen) und dem heutigen Samtgemeinde-Bürgermeister Heiner Albers, des Erhalts des Hauses annehmen. Ute Hauschild und ihre Schwester, deren Mutter noch bis September 2010 in dem Haus lebte, entschlossen sich dann doch schweren Herzens, es zu verkaufen.
Der Investor, der das Gebäude 2013/14 erwarb, richtete laut Wolfgang Meyer aber massive Schäden an. "Er hat den Holzfußboden und die Barocktreppe herausgerissen, den Boden mit ca. 40 Zentimetern Estrich verfüllt, Deckenbalken angesägt, das Haus teilweise mit Rigipsplatten ausgebaut, Haustür und Fenster versetzt", berichtet Wolfgang Meyer nur von einigen der frevelhaften Veränderungen. "Als er im Obergeschoss die originalen Fenster ausgebaut und gegen Plastikfenster ausgetauscht hat, rief das den Denkmalschutz des Landkreises Harburg auf den Plan, der den Bau stilllegte."
Der Landkreis strengte wegen der im November 2014 und Januar 2015 festgestellten Zerstörungen ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen Paragraph 10 des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes an (teilweise Zerstörung und Veränderung eines Baudenkmals ohne Genehmigung) und forderte per Bußgeldbescheid jeweils 5.000 Euro von den beiden Verantwortlichen. Das Amtsgericht Winsen bestätigte im Dezember 2018 das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit, reduzierte die Bußgelder aber auf je 2.000 Euro.
"Ich konnte mich nicht damit abfinden, dass das Pfarrwitwenhaus womöglich abgerissen wird", sagt der Hollenstedter Wolfgang Meyer. Denn als er und seine Frau das letzte reetgedeckte Fachwerkhaus im Dorf erwarben, sei nur noch ein Teil der alten Substanz übrig gewesen. In Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde des Landkreises restaurieren die beiden nun das Pfarrwitwenhaus. "Ich habe die Balken wieder angesetzt und die ursprüngliche Fachwerkaufteilung wieder hergestellt. Jetzt ist die Außenansicht fertig", erläutert Meyer.
Im Eingangsbereich sind rautenförmige Terracottasteine zu Sternen gelegt und vermitteln einen Eindruck, wie der Boden irgendwann aussehen soll. Besonders stolz ist Wolfgang Meyer auf seine Rekonstruktion der Bleiglasfenster. Und darauf, dass er und seine Frau bei einer Auktion einen Balken gefunden haben, der von einem ebenfalls 1794 erbauten Haus stammt. Der Balken über der Haustür hingegen ist noch original.
"Ich berge Holz, wenn alte Häuser abgebaut werden", berichtet der studierte Wirtschaftsinformatiker zur Materialfindung. Das Fachwissen habe er sich angeeignet, indem er Zimmerleuten bei der Arbeit über die Schultern geschaut, im Kiekebergmuseum und in anderen Museumsdörfern die antiken Originale studiert und YouTube-Videos angeguckt habe. Er und seine Frau sind außerdem passionierte Kunstsammler und haben ein Auge dafür, zeitgemäßes Baumaterial und Inventar auf Auktionen zu entdecken und zu erstehen. Ein Beispiel sind die bis zu 65 Zentimeter breiten Eichendielen an der Dielen-Decke. "Das macht einen Heidenspaß", erklärt Wolfgang Meyer.
Und auch die frühere Eigentümerin Ute Hauschild ist froh, dass ihr Elternhaus wieder in liebevollen Händen ist: "Die Arbeit von Herrn Meyer ist bewundernswert und wir sind total froh, dass er das Haus, so wie es ursprünglich einmal war, wieder herrichtet", sagt sie.
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