Kommentar zum Altersbericht der Bundesregierung
Wie bitte? Wer "süße Omi" sagt, diskriminiert angeblich Senioren

Bingo ist bei Senioren sehr beliebt. Sollen solche Angebote zur Freizeitbeschäftigung ernsthaft eine Form der Altersdiskriminierung sein? | Foto: Adobe Stock/Pixel-Shot
  • Bingo ist bei Senioren sehr beliebt. Sollen solche Angebote zur Freizeitbeschäftigung ernsthaft eine Form der Altersdiskriminierung sein?
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Schon mal etwas von Ageismus gehört? Der Begriff taucht mehrfach im 9. Altersbericht der Bundesregierung auf, den die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman kürzlich vorgelegt hat. Für alle, die das Wort noch nicht kannten: Ageismus beschreibt die Diskriminierung aufgrund des Alters, sei es durch Vorurteile, stereotype Annahmen oder systematische Benachteiligung. Der Bericht befasst sich aber nicht nur mit echten Problemen wie Altersarmut, soziale Isolation oder Pflegenotstand. Auch scheinbare harmlose Verhaltensweisen im Umgang mit Senioren werden zur großen gesellschaftlichen Baustelle erhoben. Die Autoren des Berichts wollen uns allen Ernstes weismachen, dass etwa ein Kompliment wie „Für dein Alter siehst du gut aus“ eine perfide Form der Altersdiskriminierung sei.

Auch nett gemeint soll diskriminierend sein

Auch Begriffe wie "süße Omi" ernten die Kritik der Autoren. Denn das Attribut „süß“ ist nach Ansicht der Verfasser des Altersberichts kein Ausdruck liebevoller Anerkennung, sondern ein typisches Beispiel für sogenanntes verniedlichendes Sprechen („secondary baby talk“). Und das geht schon mal gar nicht, denken sich die Fachleute aus dem Haus von Bundes-Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Sie sprechen hier von benevolentem („gut gemeintem“) Ageismus. Aber nett gemeint kann eben auch altersdiskriminierend sein, so Paus' Expertenrunde. Nehmen wir dazu ein praktisches Beispiel: Da erklärt jemand einem älteren Menschen ganz freundlich, aber vielleicht betont etwas langsamer, wie ein Ticketautomat funktioniert - manchmal garniert mit einem „Na, das klappt doch prima!“. Und schon sieht sich der Betreffende dem Vorwurf des benevolenten Ageismus ausgesetzt.

Bingo: Kindliche Spiele für ältere Menschen?

Noch absurder wird es, wenn im Bericht die Rede ist von „Unterhaltungsangeboten, die Kindergeburtstagen ähneln“. Der mutmaßliche Verdacht der Autoren: Bingo-Nachmittage, Karaoke oder Gymnastikkurse könnten ja einer heimlichen Agenda entspringen, ältere Menschen wie Kinder zu behandeln. Offenbar ist es problematisch, wenn Senioren noch Spaß an einfachen, spielerischen Dingen haben. Was die Verfasser des Berichts dabei völlig übersehen: Diese Aktivitäten sind beliebt, weil sie Menschen verbinden und Freude bereiten – unabhängig vom Alter. Aber nein, der Bericht muss uns belehren, dass ältere Menschen durch solche Freizeitangebote als „hilfsbedürftige Wesen“ herabqualifiziert werden. Der Gedanke, dass Senioren einfach nur gerne Bingo spielen, ist offenbar zu profan, um ihn zuzulassen.

Fast schon erschreckend ist die wissenschaftliche Schwere, mit der das Thema angegangen wird. Da wird seitenlang analysiert, warum Komplimente wie „Für dein Alter siehst du gut aus“ falsch seien, weil sie das Alter als Schwäche definieren. Ernsthaft? Statt Senioren zu ermutigen, die Herausforderungen des Alterns selbstbewusst anzugehen, gräbt man lieber endlos tief, um in harmlose Alltagsfloskeln wie "süße Omi" hineinzuinterpretieren. Dabei könnte eine pragmatische Botschaft ausreichen: „Behandelt ältere Menschen wie Menschen.“ Punkt.

Jörg Dammann