"Dann ergeht Haftbefehl"
Immer mehr Angeklagte und Zeugen ignorieren Ladungen vom Gericht / Richter greift durch
thl. Winsen. Dietmar S. (Name geändert) wirkt deprimiert, als er in Handschellen in den Saal 214 des Winsener Amtsgerichtes geführt wird. Kein Wunder, hat er doch gerade sechs Wochen Haft hinter sich. Dabei ist der Anklagevorwurf eigentlich nur eine "Lapalie". Unter dem Einfluss von Drogen hatte S. im Juli 2017 in einem Metronom randaliert, die Notbremse gezogen und keinen Fahrschein dabei gehabt. Delikte, die im Regelfall mit einer Geldstrafe geahndet werden.
Doch Dietmar S. machte den Fehler und kam der "Einladung" des Winsener Amtsgerichtes zur Hauptverhandlung nicht nach. Daraufhin erging Haftbefehl gegen den Mann. Er wurde Mitte September in Bremen festgenommen. Erst danach konnte der Richter einen neuen Termin festsetzen. "Und da ich meist über Wochen im Voraus ausgebucht bin, kann es eben manchnmal dauern, bis ein Termin frei ist. Und so lange bleibt der Angeklagte in Haft", sagt Strafrichter Dr. Michael Herrmann.
Hört sich nach einem harten Kurs der sonst als "Kuschel-Justiz" verschrienen Justiz an. Und das hat einen Grund. "Seit rund einem Jahr stellen wir eine zunehmende Tendenz fest, dass ordnungsgemäß geladene Angeklagte oder Zeugen der Verhandlung einfach fernbleiben", so Herrmann. Mittlerweile könne er rund ein Drittel aller Verhandlungen nicht mehr durchführen - Tendenz steigend. Das sei nicht nur nervig für alle Beteiligten, sondern koste auch unnötig Zeit und Geld.
Um Ausreden sind die Leute meistens nicht verlegen. Herrmann: "Es gab schon welche, die haben den gelben Briefumschlag vom Gericht bei sich um Briefkasten gefunden und haben ihn ungeöffnet in den nächsten öffentlichen Kasten der Post geworfen. Anschließend haben sie dann behauptet, die Ladung nie bekommen zu haben." Doch so einfach sei es nicht, macht Herrmann deutlich. Auf den Zustellungsurkunden, die zu so einem Brief gehören, vermerkt der Briefträger das Zustelldatum samt Uhrzeit. Auch kurzfristige Erkrankungen lässt das Gericht nicht gelten. "Es sei denn, der Geladene kann ein ärztliches Attest vorweisen, das seine Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. Der normale gelbe Zettel reicht dabei nicht als Krankmeldung", so Dr. Herrmann. Übrigens: Sich auf seine Zeugenaussage bei der Polizei zu berufen und meinen, deshalb nicht zum Gericht zu müssen, ist ebenfalls ein No-Go.
Zeugen, die meinen, sie müssen der Ladung keine Folgen leisten, dürfen tief in die Tasche greifen. "Ich verhänge immer 500 Euro Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft", so der Strafrichter. Dazu können ihm die durch sein Wegbleiben entstandenen Gerichtskosten auferlegt werden. Da können mal schnell nochmal 1.000 Euro zusammenkommen. Hinzu komme, dass Zeugen auch von der Polizei vorgeführt werden können.
Eine Möglichkeit, die für einen Angeklagten noch die bessere Lösung ist. "Wohnt die Person im Gerichtsbezirk, schicke ich oft die Polizei los", erzählt Herrmann. "Treffen die Beamte sie aber nicht an, ergeht Haftbefehl." Dann kann es denjenigen so ergehen, wie Dietmar S.. Herrmann macht deutlich, dass es sich dann um eine sogenannte Hauptverhandlungs- und keine Untersuchungshaft handelt, deren Dauer später auf die Strafe angerechnet wird.
Übrigens: Das Verfahren gegen Dietmar S. wurde am Ende eingestellt. Er hatte im Gericht "reinen Tisch" gemacht und seine damalige Situation nicht geschönt. Mittlerweile sei er aber von den Drogen los und habe sein Leben gefestigt. Deshalb meinte Herrmann, die sechs Wochen Haft, die sich S. hätte ersparen können, seien Strafe genug gewesen.
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