Das Dilemma der Geduldeten: Ohne Pass kein Job, mit Pass droht die Abschiebung
(jd). Die Zuwanderungsdebatte gehört zu den Themen, die derzeit die politische Diskussion in Deutschland beherrschen. Doch die vermeintlichen schnellen Lösungen, die einige Politiker zur Frage der Abschiebung präsentieren, können gar nicht greifen. So gibt es bundesweit rund 150.000 Ausländer, die Deutschland verlassen sollen, aber wegen fehlender Ausweispapiere nicht abgeschoben werden können.
Diese Geduldeten haben ihre Lage selbst zu verantworten. Weil sie nicht zurück in ihre Heimat wollen, nehmen sie ein Leben am Rande unserer Gesellschaft in Kauf.
"Wir wollen doch nur arbeiten"
"Es sind verlorene Jahre für mich" - Dieses bittere Fazit zieht Yusuf D.* nach rund neun Jahren Aufenthalt in Deutschland. Er gibt an, in Palästina geboren zu sein. Belegen kann der 28-Jährige das nicht. Er behauptet, sein Heimatland stelle ihm keine Ausweispapiere aus. Stimmt nicht, meint hingegen die Ausländerbehörde: "Abgelehnte Asylbewerber haben kein Interesse, einen Pass zu beantragen", erklärte die zuständige Stader Kreis-Dezernentin Nicole Streitz. Denn mit Pass könnte seine Abschiebung vollzogen werden.
So lebt Yusuf D. nach der Ablehnung seines Asylantrages als Geduldeter in einem Land, das ihm den Aufenthalt so unangenehm wie möglich machen will: Er darf nicht arbeiten, erhält stark gekürzte Sozialleistungen und muss in dem ihm zugewiesenen Quartier wohnen.
Wie Tausende junge Männer aus dem Nahen Osten oder Afrika ist Yusuf D. mit Sehnsüchten und Hoffnungen, aber eben auch mit falschen Erwartungen hierher kommen: "Wir wollen doch nur arbeiten und eine Wohnung haben, die wir selbst bezahlen können." Alle Geduldeten, mit denen Yusuf D. im Asylbewerberheim im Harsefelder Gewerbegebiet lebt, haben ähnliche Biographien, stammen aus Ländern, die nicht als Krisengebiete gelten. Der Flüchtlingsstatus wird ihnen daher verwehrt. "Ausreisepflichtig" steht auf den Ersatzdokumenten, die ihnen das Amt ausgestellt hat.
Bei vielen Geduldeten ist die Hoffnung längst dem Frust gewichen. Doch die Einsicht in ihre fatale Situation fehlt: Sie wollen in Deutschland bleiben. Hier 20, 30 Jahre in ärmlichen Verhältnissen zu leben ist für sie immer noch besser als in den Heimatländern in ärmlichen Verhältnissen zu leben. Deshalb wird auch das jüngste Urteil des Bundessozialgerichts seine abschreckende Wirkung verfehlen: Geduldeten darf die Leistung auf rund 230 Euro im Monat gekürzt werden. Anerkannte Flüchtlinge erhalten hingegen den Sozialhilfesatz von rund 390 Euro.
Das ist eben das Dilemma der Geduldeten: Sie wollen arbeiten, dürfen es aber nicht, weil sie keine Papiere haben - und sie erhalten keine Aufenthaltsgenehmigung, weil sie keine Arbeit haben. Würden sie sich aber einen Pass besorgen, dürften sie zwar arbeiten, müssten aber jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Letztlich ein Teufelskreis, aus dem nur sie selbst sich lösen können.
Bei Yusuf D. besteht allerdings die vage Chance, dass sich ein Hintertürchen auftut, wenn er sich einen Pass beschafft. "Auch ein Geduldeter könnte dann bei nachhaltiger Integration nach acht Jahren ein reguläres Aufenthaltsrecht erhalten", so Streitz. Eine Entscheidung sei aber vom Einzelfall abhängig - und vom Grad der Integration.
* Name v.d. Red. geändert
Durch das falsche Tor
"Diese Menschen sind durch das falsche Tor mit der Aufschrift Asylrecht geschritten und stecken jetzt in einer Sackgasse fest", beschreibt ein Behördenmitarbeiter die ausweglose Situation, in die sich die Geduldeten selbst hineinmanövriert haben. Der einzige Ausweg nach deutschem Recht: Sie beantragen in ihrer Botschaft einen Pass. Dann besteht die Chance, dass sie eine Arbeitserlaubnis erhalten - befristet bis zum Tage der Ausreise. Denn ausreisen müssen sie, um sich dann in ihrem Heimatland um eine Wiedereinreise nach dem deutschen Aufenthaltsgesetz zu bemühen. Das regelt, unter welchen Bedingungen ein legaler Aufenthalt in Deutschland möglich ist. Nur dieses Tor steht Menschen offen, die nach dem Asylrecht keinerlei Chancen haben.
Mehr als 1.100 Geduldete
In den Landkreisen Stade und Harburg lebten zum Stichtag 30. September 744 bzw. 640 Ausländer, die ausreisepflichtig sind. Davon haben im Kreis Stade 651 eine Duldung, im Kreis Harburg sind es 512. Nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ist die Abschiebung bei ihnen ausgesetzt. Laut Absatz 6 "darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden", wenn ein Ausländer "das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität selbst herbeiführt."
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