20 Jahre "Gelebte Geschichte" am Kiekeberg
Ehrenamtlich auf Zeitreise
Es ist eine Zeitreise in die Vergangenheit: Wenn die ehrenamtlichen Darstellerinnen und Darsteller der "Gelebten Geschichte" im Freilichtmuseum am Kiekeberg ihre Kostüme überwerfen und in ihre Rollen schlüpfen, zeigen sie, mittlerweile schon seit 20 Jahren, wie das Leben damals war. Vom echten Alltagsleben der Landleute in der Heide und der Elbmarsch bis hin zum technischen Fortschritt zwischen den Dekaden erleben die Besucher Geschichte hautnah.
Das Freilichtmuseum ist 2004 als eines der ersten Museen in Deutschland das Wagnis "Living History" eingegangen, zuvor kannte man dieses Projekt nur aus dem Ausland. Stets darauf bedacht, sich von Klamauk zu distanzieren und sich wissenschaftlich an die damalige Zeit heranzutasten, habe der Kiekeberg Pionierarbeit geleistet, so Museumsdirektor Stefan Zimmermann. Die damalige Zeit - das sind im Freilichtmuseum vier verschiedene Zeitabschnitte. Die Darstellenden verkörpern Bauern im Jahr 1804, eine Fischerfamilie im Jahr 1904, Vertriebene im Jahr 1945 sowie seit neustem Dorfbewohner im Abschnitt 1949 bis 1969.
Schon mit drei Jahren engagiert
Eine der Ehrenamtlichen ist Beatrix Fernau, die die Tankwartin "Elisabeth Koch" in den 1950er Jahren darstellt. Gemeinsam mir ihrer sechsjährigen Tochter Ronja, deren Rollenname "Sophie" ist, engagiert sich Fernau seit zweieinhalb Jahren für die "Gelebte Geschichte". "Das Schöne ist der Kontakt mit den verschiedensten Besuchern - egal ob alt oder jung", so Beatrix Fernau. Ihre Rollenbiografie habe sie sich im Austausch mit dem Team erarbeitet: Wie hätte eine junge Frau in den 1950ern leben können? Wie könnte ihr Name lauten? Welche Hintergrundgeschichte könnte sie haben?
Die meisten der rund 60 Laiendarsteller sind geschichtsinteressiert oder haben einen persönlichen, familiären Bezug zu den Geschichtsabschnitten der "Gelebten Geschichte" im Kiekeberg. "Solch eine Rolle bedeutet unheimlich viel Rechercheaufwand", erklärt Darsteller Adrian Schmidt, der den Kriegsheimkehrer "Justus Schönberger" von 1945 verkörpert. Hierfür standen ihm eine Fülle an alten Tagebüchern, Radioaufnahmen und zeitgeschichtlichen Dokumenten zur Verfügung. Einen nachhaltigen Eindruck habe bei ihm aber der Austausch mit einem Zeitzeugen hinterlassen, denen die Darstellenden immer wieder begegnen. Der Zeitzeuge habe ihn auf ein fehlendes Element an einem selbst nachgebauten Ofen hingewiesen.
Beatrix Fernau, die in einer zweiten Rolle im Nissenhaus auch eine Geflüchtete kurz nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt, empfindet ihre freiwillige Tätigkeit als prägend und lehrreich. Während einer Darstellung bei Schnee konnte sie die eiserne Kälte nachempfinden, denen die Geflüchteten im Winter ausgesetzt waren - und das bei regelmäßigem Aufwärmen und warmer Skiunterwäsche.
Butter stampfen und Wolle spinnen
Zur "Gelebten Geschichte" gehört auch, dass die Darsteller den echten Alltag der Menschen nachleben, sodass er den Besuchern veranschaulicht wird. Für Renate Röttmer alias die "Grootmudder Dora", die von Beginn an bei der "Gelebten Geschichte" dabei ist, heißt das: Schafwolle spinnen, Bänder weben, Kleidung stricken, Butter stampfen und Mittagessen über dem offenen Feuer kochen. So entstand in mehrwöchiger Handarbeit auch ihr Kostüm samt Schuhen. Da trifft es sich gut, dass viele der Freiwilligen ein handwerkliches Geschick haben. Für die älteren Zeitspannen der "Gelebten Geschichte", sei es nämlich deutlich aufwendiger, an originalgetreue Kleidung zu kommen, erklärt Dr. Julia Daum, Koordinatorin der "Gelebten Geschichte". Für Polizist und Postbote der 1950er Jahre etwa habe es ausreichend Uniformen von Spendern gegeben. Für 1804 muss dann schon mal zu Nadel und Faden gegriffen werden.
Austausch erwünscht
"Der Kontrast ist faszinierend: Ich komme morgens mit dem E-Auto zum Kiekeberg und werde 220 Jahre in die Vergangenheit geworfen", sagt Gerd Peters, der den Bauer "Anton" auf dem Pringenshof im Jahr 1804 verkörpert. Durch die Fortbildung, die die Darstellenden machen, fiele Peters der Austausch mit den Besuchern mittlerweile leicht. Es gebe keinen Text, nur seine Rolle "Anton" und dessen Tagesablauf. Gerd Peters freue sich, wenn die Besucher stehenbleiben und Fragen stellen - das mache das Ganze lebendig. Dann treten er und seine Mitstreiter auch mal aus ihrer Rolle heraus, erklären, wie das Leben damals aussah, und geben Antworten.
Wer selbst einmal in die Vergangenheit eintauchen will, hat bald schon wieder die Möglichkeit dazu. Am Wochenende, 16. und 17. März, jeweils 10 bis 18 Uhr geht es um den Frühjahrsputz in der jeweiligen Zeit. Die Darstellenden zeigen typische Reinigungsmittel und wie damals Diele, Herd und Co. gereinigt wurden. Eintritt unter 18 Jahren frei, für Erwachsene 11 Euro.
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