Erinnerungen einer Hundertjährigen aus Stade
Rückblick auf ein langes Leben: Emmy Treuel feiert 100. Geburtstag
Ein Jahrhundertleben: Emmy Treuel feiert am heutigen Freitag (20. Dezember) ihren 100. Geburtstag. Nur wenigen Menschen ist ein so hohes Lebensalter vergönnt. Dass die gebürtige Kehdingerin diesen besonderen Ehrentag erleben durfte, hat sicher auch mit ihrem Lebensmotto zu tun: „Wer rastet, der rostet.“
Aufgewachsen ist Emmy Treuel im Dörfchen Krummendeich in Nordkehdingen. Als jüngstes von vier Kindern wuchs sie in einfachen Verhältnissen auf. Ihre Mutter war früh an einer Nervenlähmung erkrankt und deshalb stark eingeschränkt. Acht Jahre besuchte Emmy Treuel die Volksschule in Krummendeich – eine typische Dorfschule, wie es sie damals fast überall gab. Als sie 1931 eingeschult wurde, gab es die allgemeine Schulpflicht im Deutschen Reich erst zwölf Jahre – eingeführt durch die Weimarer Verfassung von 1919. Das Schuljahr begann ohne großes Tamtam: ohne die heute üblichen Einschulungsfeiern, an eine Schultüte war ebenfalls nicht zu denken.
Stubenmädchen auf einem Bauernhof
Die ersten Jahre als junge erwachsene Frau verbrachte Emmy Treuel „in Stellung“, wie es damals hieß - zunächst als Stubenmädchen auf einem Bauernhof, später in einem Geschäftshaushalt in Balje-Hörne. Dort lernte sie ihren späteren Mann Erhard, einen Landarbeiter, kennen. Nach dem Krieg wurde 1948 geheiratet. Erhard arbeitete auf Gut Altenwisch in Balje, die beiden zogen in den 1950er Jahren in ein zum Gut gehörendes kleines Haus am Außendeich in Hörne. Die Nachkriegsjahre waren auf dem Land von bescheidenen Lebensumständen geprägt. Zur Versorgung der Familie diente ein Gemüsegarten hinterm Haus, viele Haushalte hielten eigenes Geflügel. Treuels hatten eine Handvoll Schafe, Emmy machte aus deren Milch Käse. Die Wolle wurde zu Strümpfen verarbeitet. Auch zwei Schweine gehörten zum Hausstand, um Wurst und Schinken herzustellen. Zum Häuschen gehörte eine kleine Wiese, hier machte Erhard Heu.
Radio und Schallplatten hören zu Weihnachten
An diesen Tagen sind für Emmy Treuel vor allem die Erinnerungen an Weihnachten zu früheren Zeiten wieder präsent: Einen Weihnachtsbaum gab es vom Hof, auf dem ihr Mann gearbeitet hat. Wenige Tage vor den Feiertagen ließ der Gutsbesitzer ihn zu Treuels nach Hörne bringen. An den Feiertagen lauschte die Familie, zu der inzwischen auch Tochter Waltraud gehörte, traditionell der noch heute existierenden NDR-Radiosendung „Gruß von Bord“, mit der Weihnachtsgrüße für Seeleute in aller Welt ausgestrahlt wurden. Ein Verwandter fuhr zur See. Gemeinsam wurden Schallplatten gehört, ein Fernseher gehörte noch nicht zum Haushalt bei Familie Treuel. „Die Geschenke hat meine Mutter immer einige Zeit vor Weihnachten in den Schränken versteckt“, erinnert sich Tochter Waltraud. „Einmal fand sie noch ein halbes Jahr später ein eingepacktes Geschenk im Kleiderschrank.“
Als Rentner erfolgte der Umzug nach Stade
Emmy Treuel hat erlebt, wie die Dörfer langsam auszubluten begannen. In Hörne gab es bis in die 1970er Jahre hinein gleich mehrere Krämerläden. Als die Geschäfte ihre Pforten für immer schlossen, wurde in Cadenberge und Neuhaus eingekauft. Mit dem Fahrrad fuhr Emmy Treuel in die Orte auf der anderen Seite der Oste. Als das Gut Altenwisch anderweitig verpachtet wurde, arbeitete Erhard Treuel im Straßenbau. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand zog das Paar 1986 in eine Wohnung nach Stade-Hahle. Gemeinsam unternahmen sie viele Fahrradtouren in die alte Heimat, besuchten Verwandte in Barnkrug und Hechthausen. Ein schwerer Schicksalsschlag war der buchstäblich plötzliche und unerwartete Tod ihres Mannes Erhard 1993. Einige Jahre lebte Emmy Treuel noch allein in Hahle, dann zog sie zu Tochter, Schwiegersohn und Enkel in den benachbarten Ortsteil Haddorf.
Gartenarbeit und bei schlechtem Wetter häkeln
Dort hielt sie etliche Jahre mit großer Freude den Garten in Schuss. Bei schlechtem Wetter häkelte und stickte sie. Das lassen ihre Augen heute nicht mehr zu. Auch gebacken hat Emmy Treuel immer gerne, ihre Schokoladentorte ist in der Familie legendär. Sie nahm an Altennachmittagen des DRK und der Gemeinde der Markuskirche teil. Karten spielen, auf Plattdeutsch Klönschnack halten – das bereitete ihr vergnügliche Stunden. Viele einstige Weggefährten sind indes längst verstorben. Inzwischen machen die Gelenke nicht mehr so mit, wie Emmy Treuel es sich wünscht. Deshalb behilft sie sich mit Rollator und Treppenlift. Aber in Bewegung bleibt sie weiterhin, so gut es geht: „Nützt ja nichts.“
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