Tostedt
Ex-Neonazi packt aus - vom Extremisten zum Präventionskämpfer

- Philip Schlaffer war früher Neonazi und Rockerboss. Jetzt setzt er sich für Aufklärung und Prävention gegen Extremismus ein
- Foto: Schlaffer
- hochgeladen von Bianca Marquardt
Wie wird man zum Neonazi und wie gelingt ein Ausstieg aus der rechtsextremen Szene? Spannende Einblicke in sein Leben gab jüngst Philip Schlaffer (46) im Tostedter Schulzentrum. Er war früher u.a. in der rechtsextremen Musikszene, als Gründer und Anführer der neonazistischen „Kameradschaft Werwolf“ in Wismar sowie im Rockermilieu aktiv und wurde auch straffällig. Er bezeichnet sich selbst als "ehemaliger Neonazi, Gewalttäter und krimineller Rocker". Der 46-Jährige weiß, wie wichtig es ist, Jugendliche über die Gefahren von Extremismus zu informieren. Heute setzt sich Schlaffer als Antigewalt- und Deradikalisierungstrainer für Aufklärung und Prävention gegen Extremismus ein.
Gefühle von
Einsamkeit und Wut
Seine Geschichte erzählte Philip Schlaffer den höheren Jahrgängen der Schule am Düvelshöpen, der Erich-Kästner-Realschule und des Gymnasiums Tostedt. Die Schülerinnen und Schüler hörten gebannt zu, als der ehemalige Neonazi über die Mechanismen, die einen Menschen in extremistische Kreise führen können, aufklärte. Vor allem Gefühle der Einsamkeit und Wut führten ihn in die Neonaziszene. Er sehnte sich nach Zugehörigkeit und Anerkennung - Bedürfnisse, die von extremistischen Gruppen geschickt ausgenutzt werden.
Denn Philip Schlaffer wurde in seinem Leben sozusagen zweimal entwurzelt: Das erste Mal musste er nach der Grundschule seine Heimatstadt Lübeck hinter sich lassen und nach England ziehen, wo sein Vater einen Job aufnahm. Ihm sei es damals schwergefallen, Anschluss zu finden.
Nachdem er sich Jahre später in England integriert, Freunde gefunden hatte und Fußball spielte, musste er wieder zurück nach Lübeck. Dort wollten die alten Freunde allerdings nichts mehr von ihm wissen und sein alter Fußballverein nahm ihn nicht wieder auf.
Eine Welt voller
Hass und Intoleranz
Mit 15 Jahren startete seine zwei Jahrzehnte andauernde Reise in eine Welt voller Gewalt, Hass und Intoleranz. Auf der Suche nach Zusammenhalt schloss sich Schlaffer einer Gruppe von Neonazis an, in der er schnell zum Anführer wurde. "Rückblickend wurde mir jedoch bewusst, dass ich aus dieser Gruppe gerade mal ein bis zwei Personen mochte. Am Ende war jeder von ihnen nur auf den eigenen Vorteil bedacht", erinnerte sich Philip Schlaffer und berichtete von einem nächtlichen Überfall auf sein Haus im Jahr 2006. Die bewaffneten Eindringlinge forderten 10.000 Euro von ihm. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Erpressern um Berliner Neonazis.
Einige Jahre späterer geriet Philip Schlaffer von der Neonaziszene als Anführer eines Rockerclubs in die organisierte Kriminalität. Waffen, Gewalt, Drogen, Polizeiüberwachung, Gefängnisstrafen – all das gehörte zu seinem Leben. Dieses Leben hinterließ Spuren bis hin zum Verfolgungswahn. "Ich wollte respektiert werden, doch letztendlich hatten andere nie Respekt vor mir, sondern Angst. Ich war ein Täter, und ich war schuldig", gibt er rückblickend zu.
Nach 20 Jahren in der extremistischen Szene kam er an einen Wendepunkt: Sein Rockerclub wurde im Dezember 2013 verboten. Philip Schlaffer verließ die Szene von einem Tag auf den nächsten - und wurde aus Sicht seiner früheren "Kameraden" zum Verräter und Feind.
Sich im Gefängnis
neu sortiert
Am Tiefpunkt angekommen, wollte Schlaffer sein Leben ändern. Doch was ihn wirklich gerettet habe, sei die Justiz gewesen. Aufgrund früherer Straftaten verbüßte er ab Dezember 2014 u.a. eine rund zweijährige Haftstrafe. Im Gefängnis ging er in die Psychotherapie und zu einer Seelsorgerin, sortierte sich neu und bereitete sich auf ein neues Leben in Freiheit vor.
Schlaffer, der nach 20 Jahren den Ausstieg schaffte, nutzt seine Erfahrung heute, um andere vor den Gefahren extremistischer Ideologien zu warnen. Besonders eindrucksvoll war sein Appell an die Schülerinnen und Schüler: Es sei entscheidend, sich über die Gefahren von Radikalisierung bewusst zu werden und frühzeitig Haltung zu zeigen. Das Abrutschen in die rechtsextreme Szene passiere nicht plötzlich, sondern schleichend. Dort angekommen, ende die extreme Reise immer mit Gewalt – so Schlaffer. Doch es gebe immer einen Ausweg und Unterstützung von außen.
Mit eigenen Werten und
Überzeugungen auseinandersetzen
Schlaffers Geschichte war ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich mit den eigenen Werten und Überzeugungen auseinanderzusetzen und nicht blind einer Ideologie zu folgen. Seine Erfahrungen machten deutlich, wie sehr die Gesellschaft auf Prävention und frühzeitige Aufklärung angewiesen ist, um extremistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Empathie, Toleranz und Gemeinschaft sind der Motor einer funktionierenden Demokratie. Werte, die Philip Schlaffer nach seiner Zeit als „empathieloses Arschloch“, wie er sich selbst bezeichnete, mehr denn je lebt.
Der Vortrag wurde dank einer großzügigen Spende der Irene und Friedrich Vorwerk Stiftung realisiert.


Redakteur:Bianca Marquardt aus Tostedt |
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