Winsen an der Luhe
Gelten die Sonderrechte schon bei der Anfahrt?
Feuerwehrfrau auf dem Weg zum Einsatz geblitzt / Brisanter Fall geht jetzt vor Gericht
thl. Winsen. Kristin Hacker (28) ist beim Einkaufen, als plötzlich ihr Funkmeldeempfänger Alarm schlägt. Sofort lässt die Feuerwehrfrau alles stehen und liegen, läuft zu ihrem Auto und fährt zum Feuerwehrhaus in Winsen. Unterwegs geschieht das Unerwartete: der Pkw wird von hinten geblitzt - mit 21 km/h zu schnell.
Wenige Tage später flatterte Hacker ein Bußgeldbescheid ins Haus: 80 Euro und ein Punkt in Flensburg sowie 23,50 Euro Bearbeitungsgebühr. Sofort legte die junge Frau Einspruch mit Hinweis auf den Feuerwehreinsatz ein. Doch der Landkreis blieb hart - auch als sich die Stadtverwaltung als Dienstherr der Feuerwehr einmischte und um Einstellung des Verfahrens bat. Jetzt muss das Amtsgericht Winsen die Sache entscheiden. Allerdings wurde eine für kommende Woche angesetzte Verhandlung kurzfristig abgesetzt und die Akten zur Staatsanwaltschaft geschickt.
Rechtsanwalt Matthies Öhler, selber aktiver Feuerwehrmann, vertritt Kristin Hacker. Was ihn ärgert, ist nicht nur die Vehemenz des Landkreises, mit der versucht wird, das Verfahren durchzuboxen, sondern auch die Tatsache, dass die Verfahren gegen andere Feuerwehrleute, die auf dem Weg zum Einsatz geblitzt worden sind und knapp unter 20 km/h zu schnell waren, eingestellt wurden. "Ich habe im Vorwege noch mit der Richterin telefoniert, in der Hoffnung, dass sie das Verfahren einstellt", erzählt er. Vergeblich. Stattdessen erhielt er den rechtlichen Hinweis, dass auch ein Vorsatz angenommen werden könnte. "Dadurch würden sich Bußgeld und Punkte verdoppeln", so Öhler.
Dabei scheint die Rechtslage eigentlich klar zu sein. "Der Paragraph 35 der Straßenverkehrsordnung (StVO) besagt, dass die Feuerwehr Sonderrechte hat, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Das ist bei einem Einsatz der Fall. Und dieser beginnt mit der Alarmierung, wenn die Einsatzkräfte zum Gerätehaus fahren. Deswegen ist in dem Paragraphen extra nicht von Einsatzfahrzeugen die Rede", erklärt Matthias Öhler seine Rechtsauffassung. "Das Amtsgericht Speyer und das Oberlandesgericht Stuttgart haben bereits entsprechende Urteile gefällt."
Sollte das Amtsgericht Winsen die Rechtsauffassung des Landkreises teilen, ist für Matthias Öhler und Kristin Hacker schon jetzt klar, dass sie weitergehen werden: "Zur Not müssen wir durch alle Instanzen, um ein Grundsatz-urteil für alle Feuerwehrleute durchzusetzen."
Vize-Landesvater Dr. Bernd Althusmann (CDU) sagte kürzlich anlässlich des "Abend des Ehrenamtes" in Winsen, dass das Ehrenamt unterstützt werden müsse. Der Landkreis macht aber offenbar genau das Gegenteil. Sicher geht von einem höheren Tempo eine gewisse Gefährung aus.
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Aber Feuerwehrleute werden regelmäßig entsprechend geschult. Hinzu kommt, dass es bei manchen Einsätzen auf Minuten ankommt und über Leben oder Tod entscheiden, z.B. wenn sich Menschen in einem brennenden Gebäude befinden oder Unfallopfer im Fahrzeugwrack eingeklemmt. Bleibt zu hoffen, dass die "behördlichen Bedenkenträgern" im Kreishaus nie in so eine Situation kommen und sie dann warten müssen, weil sich die Feuerwehrleute an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten. Thomas Lipinski Feuerwehrleute werden geschult "Ob Paragraph 35 der StVO auch für ehrenamtliche Helfer gilt, die mit ihren Privatwagen zum Einsatzort fahren, wird seit Jahren immer wieder diskutiert und von Juristen äußerst unterschiedlich bewertet. Eine konkrete Regelung hinsichtlich der Nutzung der Sonderrechte für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren gibt es nicht, unklar ist damit auch die Haftung im Schadensfall", sagt Kreissprecherin Katja Bendig. "Nach Rechtslage gilt also grundsätzlich, dass ehrenamtliche Helfer, die in Privatfahrzeugen zum Unfallort unterwegs sind, sich genauso wie andere Verkehrsteilnehmer an die StVO zu halten haben. Gerichte gestehen bei ihren Entscheidungen maßvolle Geschwindigkeitsüberschreitungen im Einzelfall zu. Genauso lässt auch der Landkreis Harburg Augenmaß walten. Dabei wird abgewogen, ob eine Geschwindigkeitsüberschreitung maßvoll oder erheblich ist. Bei maßvollen Überschreitungen stellt der Landkreis Verwarngeldverfahren gegen Einsatzkräfte der Feuerwehr in der Regel ein. Bei einer Überschreitung der innerörtlichen Geschwindigkeit von 21 km/h (nach Toleranzabzug) wird allerdings laut Bußgeldkatalog ein Bußgeldverfahren eröffnet und der Fahrer bekommt einen Punkt im Fahreignungsregister. Damit muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung für erheblich hält. Dieser Einschätzung folgen wir und haben das Verfahren im konkreten Fall deshalb auch nicht eingestellt." Das sagt der Landkreis zu dem Fall
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