Superintendent im Interview
Was hat der Reformationstag den Menschen zu sagen?

Bei der Gestaltung eines deutsch-ukrainischen Gottesdienstes in der Winsener St.-Marien-Kirche: Superintendent Christian Berndt und Yuliia Sierhieieva, Koordinatorin für Geflüchtete aus der Ukraine im Kirchenkreis | Foto: Kirchenkreis Winsen/Marlies Lübker
  • Bei der Gestaltung eines deutsch-ukrainischen Gottesdienstes in der Winsener St.-Marien-Kirche: Superintendent Christian Berndt und Yuliia Sierhieieva, Koordinatorin für Geflüchtete aus der Ukraine im Kirchenkreis
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Ein alter Hut oder eine historische Tat, die bis heute nachwirkt? Vor über 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, schlug der Reformator Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg. In den Thesen prangerte der Theologe und Mönch unter anderem den seinerzeit grassierenden Ablasshandel (Erlass von Sündenstrafen gegen Geld) und weitere Missstände der Kirche an. Auch 2023 wird das Datum - wie seit Jahrhunderten - als Reformationstag gefeiert. Aus diesem Anlass sprach WOCHENBLATT-Redakteur Christoph Ehlermann mit Christian Berndt, Superintendent des Kirchenkreises Winsen, über die Bedeutung Martin Luthers in der Gegenwart und über aktuelle Herausforderungen für die Kirchenarbeit. 

WOCHENBLATT: Herr Superintendent, wie populär ist aus Ihrer Sicht der Reformationstag im Vergleich zu Halloween, das ja von vielen Menschen auch am 31. Oktober gefeiert wird?
Christian Berndt: Der 31. Oktober ist schulfrei, weil es der Reformationstag ist. Halloween, das ursprünglich keltische Fest zur Abwehr der Geister, lässt sich natürlich besser vermarkten. Ein schönes Cross-Over finde ich die "Scary Church Stories" in der Winsener St.-Marien-Kirche am Vorabend des Reformationstages um 17 Uhr. Es gibt viele tolle Angebote von Kirchengemeinden zum Reformationstag für die ganze Familie. Gegen eine Halloween-Merch-Maschinerie kommen wir aber ehrlicherweise nicht an.

WOCHENBLATT: Was haben Martin Luther und seine Thesen den Menschen heute noch zu sagen?
Berndt: Martin Luther hat sich überlegt, wie er sich in Zukunft Kirche vorstellt: ohne Zwang. Evangelium heißt schließlich frohe Botschaft. Diese frohe Botschaft von einem Gott, der immer wieder einen neuen Anfang schenkt - im Leben und sogar darüber hinaus -, gibt Menschen Trost und Kraft. Schade, dass viele Menschen sich heute nicht mehr darauf einlassen. Sie verpassen einen wichtigen Lebensanker.

WOCHENBLATT: Nehmen wir an, Martin Luther würde heute leben und seine Thesen nicht an eine Kirchentür anschlagen, sondern über die sozialen Medien verbreiten: Welche Erfolgsaussichten hätte er?
Berndt: Martin Luther hatte sich mit der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg einen Ort gewählt, an dem am Folgetag viel los war. Viele Menschen pilgerten zu Allerheiligen nach Wittenberg, so war sich Luther vieler „Views“ sicher. Als dann Unbekannte seine Thesen noch druckten, bediente man sich damals der neuesten Kommunikationstechnologie. Heute müsste sich der Reformator wohl an eine(n) Influencer(in) mit großer Reichweiter ranhängen, um seine Botschaft in die Welt zu bringen. Nur weil eine Botschaft gut ist, bedeutet es heute noch keine große Reichweite.
WOCHENBLATT: Nutzt die Kirche in Hoch-Zeiten sozialer Medien diese Kanäle genügend, um auch glaubensferne Menschen für ihre Arbeit und ihre Angebote zu interessieren?
Berndt: Viele Menschen bei der Kirche nutzen Social Media, um von ihrer Arbeit zu erzählen und vor allem, um auf Veranstaltungen hinzuweisen. Social-Media-Nutzer erwarten eine gewisse Professionalität. So überlegen wir gerade im Kirchenkreis, ob wir uns breit gefächert bei Social Media aufstellen, wobei jedes Angebot nur eine überschaubare Reichweite hat. Oder ob wir mehr auf die sehr professionellen Angebote unserer Kirche hinweisen. Pastorin Deborah Siemermann aus Ashausen ist zum Beispiel Teil des "Basis:Kirche"-Teams, das eine große Reichweite erreicht.

WOCHENBLATT: Inwieweit stellt die momentane Kriegslage in der Ukraine, Israel und dem Nahen Osten für die Arbeit der Kirche eine besondere Herausforderung dar?
Berndt: Wir als Kirche sind für alle da, die in Deutschland vor Krieg und Hunger Schutz suchen. In die aktuellen politischen Diskussionen verstricke ich mich in der Regel nicht. Wenn die Menschen zu uns in den Kirchenkreis kommen, versuchen wir, sie zu unterstützen, indem wir in unseren Gemeinden Kontaktflächen schaffen.
Allein wenn jetzt Menschen in Deutschland den Terror der Hamas und anderer islamistischer Gruppen relativieren und legitimieren wollen, erteile ich dem eine klare Absage. Dieser Terror ist mit nichts zu rechtfertigen. Und antisemitische Äußerungen haben bei uns in Deutschland heute keinen Platz.

WOCHENBLATT: Muss die Kirche derzeit verstärkt Seelsorge leisten für hiesige Flüchtlinge, deren Angehörige in den Kriegsgebieten leben?
Berndt: Am Samstag, 4.11., feiern wir zehn Jahre Internationales Café in Winsen, beginnend um 10 Uhr mit einem Gottesdienst mit unserem Bischof Ralf Meister. Dort im Internationalen Café und in anderen Kirchengemeinden geschieht seit Jahren eine intensive Begleitung von schutzsuchenden Menschen. Einiges wird jetzt zum Winter neu aufgebaut.
Die Begleitung der ukrainischen Gemeinschaft geschieht auf eigenen Wunsch immer wieder auch mit christlichen Gottesdiensten, die wir deutsch-ukrainisch gestalten und die seelsorgerliche Elemente haben. Diese Gottesdienste erlebe ich selbst als sehr intensiv.
WOCHENBLATT: Inwiefern?
Berndt: Mit Herzblut werden ukrainische und inzwischen auch deutsche Lieder gesungen. Und wenn Schutzsuchende im Altarraum Kerzen entzünden für diejenigen, um die sie Angst haben, wird viel geweint. Es ist gut, in einem Gottesdienst Raum zu haben, zu trauern, zu hoffen und zu beten.

Gottesdienste zum Reformationstag auf einen Blick
Redakteur:

Christoph Ehlermann aus Salzhausen

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