Kein Opfer sein: Wochenblatt Mitarbeiterin Sara Buchheister übt sich in Selbstverteidung
"Wehrt euch, egal wie"
bs. Winsen. „STOPP. Gehen Sie zurück. GEHEN SIE ZURÜCK, SOFORT!“, schreit Jessica Ständer und baut sich bedrohlich groß vor mir auf. Ihre Hände hält sie schützend vor ihren Körper. Ich zucke zusammen. Die Lautstärke, die Bestimmtheit, die tiefe Tonlage unserer, auf den ersten Blick doch recht zierlich wirkenden Trainerin, überraschen mich wie auch den Rest der Kursteilnehmerinnen des Selbstverteidungskurses für Frauen. Und genau darauf kommt es an: Aufmerksamkeit erregen, verbale und körperliche Distanz schaffen, augenscheinlich ein starker Gegner sein. „Und auch wenn das vielleicht in dem Moment nur ein Schauspiel ist, eure Angreifer wollen keine Gegner, sie wollen Opfer“, erklärt Jessica Ständer, die Trainerin der Ju-Jutsu-Abteilung des TSV Winsen ist. Unter dem Motto „Winsen sagt NEIN zu Gewalt!“ und anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November, wurde der rund vierstündige Selbstverteidigungskurs in den vergangenen Wochen zweimal kostenfrei von der Stadt Winsen und dem TSV Winsen angeboten. „Ich erhoffe mir ein Gefühl der Sicherheit, wenn ich weiß, was in bedrohlichen Situationen zu tun ist, denn seit meiner Kindheit habe ich Angst in der Dunkelheit“, berichte ich, genau wie die anderen der rund 20 Teilnehmerinnen, von meinen Beweggründen einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen. Mit einem „harmlosen“ Spiel geht es los: Jede Frau muss von ihren Schwächen und Stärken berichten, was die meisten Menschen, vor Fremden, große Überwindung kostet. Und auch der Rest des Kurses ist zunächst Überwindung: Wir sollen bestimmt sein. Unsere Grenzen klar signalisieren. Keine Angst zeigen. Erlernte Höflichkeit ablegen, am besten lautstark. Genau das ist zunächst schwierig, kann aber tatsächlich auch trainiert werden. Und das tun wir: Immer wieder muss ich mich überwinden, andere Kursteilnehmer zu stoppen, mich bedrohlich, groß und abwehrend vor ihnen aufzubauen und nicht zurückzuweichen. „Wenn ihr das hier in diesem Rahmen schafft, schafft ihr es draußen auf jeden Fall“, so Ständer. Und weiter erklärt sie: „Am Wichtigsten ist es, dass ihr was macht. Egal was. Wehrt euch, egal wie“. So sei es beispielsweise gut, einen Angreifer zu „siezen“, damit Außenstehende darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich beide Parteien nicht kennen und dass irgendetwas nicht stimmt. Konflikten sollte man aber natürlich immer, wenn möglich, zunächst aus dem Weg gehen. „Das ist aber leider nicht immer möglich. Das Meiste an Gewalt passiert zu Hause, da wo es keiner mitbekommt, da wo die Hemmungen besonders niedrig sind“, so Ständer, die allen Betroffenen rät, sich über Freunde, Familie oder öffentliche Hilfs-Angeboten, Hilfe zu suchen.
Erschreckend sind auch die Zahlen, die sie uns präsentiert: So sind laut einer Polizeiumfrage mehr als 50 Prozent der befragten Frauen in ihrem Leben bereits schon einmal Opfer von Gewalt in Form von Tritten und Schlägen geworden, mehr als 30 Prozent waren schon einmal Bedrohungen ausgesetzt.
Davon berichtet auch Kurs-Teilnehmerin Julia. „Ich war gerade im Urlaub in Costa Rica, als mich an einer Ampel ein Mann mit seinen Blicken minutenlang fixierte. Er starrte mich und meine Handtasche dermaßen an, dass ich wusste, hier passiert gleich etwas Schlimmes“, erzählt die junge Frau, die geistesgegenwärtig richtig reagierte. „Anstelle meiner Angst, habe ich versucht, Stärke zu zeigen, mich groß und gefährlich zu präsentieren. Gott sein Dank, hat es tatsächlich funktioniert und er griff mich nicht an“, erzählt die Winsenerin weiter.
Neben viel Überwindung, nehme ich auch ein paar gute, einfach auszuführende verbale und körperliche Abwehrtechniken aus dem Kurs mit nach Hause, die selbst meinen Freund, einen Polizisten, in ihrer Effektivität überraschen. Und auch wenn das ungute Gefühl in der Dunkelheit wohl immer bleiben wird, nach diesem Kurs würde ich mich in brenzligen Situationen wehren- egal wie.
Voraussichtlich findet auch im kommenden Jahr wieder ein kostenfreier Selbstverteidigungskurs statt. Ansprechpartnerin ist die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Winsen, Birthe Gutjahr 04171/657-173.
Redakteur:Sara Buchheister aus Winsen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.