23 Politiker aus dem Winsener Stadtrat verabschiedet
thl. Winsen. Wenn sich der Stadtrat mit einer Tagesordnung befasst, auf der 31 Punkte stehen, kann man eigentlich mehrere Stunden für eine solche Sitzung einplanen. Nicht so bei der jetzigen Zusammenkunft des Gremiums - der letzten in der auslaufenden Wahlperiode. Nach gut 90 Minuten war alles besprochen. Die meiste Zeit nahm die Verabschiedung ausscheidender Ratsmitglieder in Anspruch.
Insgesamt 23 Politiker werden in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr im Stadtrat sitzen. Als Urgestein schied Heinrich Schröder (SPD) aus, der 40 Jahre in der Politik "mitmischte". Er wurde von Ulrich Mädge, dem Präsidenten des Niedersächsischen Städtetages, verabschiedet.
In seiner Abschiedsrede ließ Schröder seine Zeit im Rat kurz Revue passieren. "Ich habe diese Arbeit, die über meine halbe Lebenszeit ging, immer gerne gemacht", sagte er. "Auch wenn mir nicht immer alles gelungen ist." Manchmal habe das an den Mehrheitsverhältnissen gelegen, manchmal habe er auch Fehler gemacht, so Schröder selbstkritisch. Kritik übte er auch an manchen seiner Ratskollegen: "Einige haben das Wort Volksvertreter nicht verdient, wenn sie nicht dafür gerade stehen, wofür sie gewählt wurden. Sondern sich anders orientieren und an andere Parteien andocken oder sich untermogeln."
Schröders Dank richtete sich an die Verwaltung und an seine Fraktion, die "es nicht immer leicht mit mir hatte, da ich oft andere Wege gegangen bin".
Bürgermeister André Wiese (CDU) bezeichnete Schröder als einen Mann mit Ecken und Kanten, der sich in 40 Jahren Ratsarbeit immer treu geblieben sei.
Ebenfalls aus dem Rat ausgeschieden sind: Steffen Behr (CDU, 30 Jahre dabei), Bernd Meyer (Grüne, 22), André Bock (CDU, 20), Norbert Raida (SPD, 15), Wilfried Rieck (Winsener Liste, 11), Anton Zeyn (CDU, 11), Eckhard Spende (CDU, 10), Andreas Waldau (parteilos, 10), Heinrich Wörmer (CDU, 10), Norbert Benthack (Grüne, 9), Brigitte Netz (SPD, 7), Cemil Delik (Grüne, 5), Eike-Christian Harden (Grüne, 5), Tim Lehmann (Grüne, 5), Marita Meier (Grüne, 5), Philip Meyn (CDU, 5), Lutz Nickel (AfD, 5), Johanna Putensen (FDP, 5), Fatih Sarikaya (FDP, 5), Thomas Kiesewetter (Linke, 3).
Ebenfalls nicht mehr im Rat, aber auf der letzten Sitzung nicht anwesend, sind Thomas Kirschke (CDU) und Roderik Pfreundschuh (Afd).
Sämtliche Tagesordnungspunkte gingen nahezu ohne große Diskussion durch. Dabei ging es um die Besetzungen der Führungen in verschiedenen Ortsfeuerwehren, die Annahme von Spenden, den Jahresabschluss der Stadt für 2020 mit einem Gesamtplus von knapp acht Millionen Euro (das WOCHENBLATT berichtete) und verschiedene Bebauungspläne.
Während es bei den Plänen Baxmannsweg und Am Luhedeich lediglich eine Abstimmung gab, bei der die Grünen dagegen stimmten, gab es beim Plan Zum Dornhagen in Laßrönne noch einen verbalen Schlagabtausch. Bernd Meyer (Gruppe Grüne/Linke) bemängelte, dass die Stadt keine Ausgleichsmaßnahmen schaffe und dass in dem Gebiet keine Mehrfamilienhäuser entstehen würden. Auch Dr. Erhard Schäfer (Gruppe Grüne/Linke) befand die Planung mit 40 Wohneinheiten - doppelt so viele wie ursprünglich geplant - als völlig überdimensioniert. Was ihn wunderte: "Im Verwaltungsausschuss wurde der Plan erst durch eine Pattsituation abgelehnt. Doch dann wandelte sich eine Gegenstimme plötzlich zu einer Enthaltung, sodass der Plan dann doch durchkam."
Auch Brigitte Netz (SPD) übte Kritik. "Die Stadt entwickelt Neubaugebiet um Neubaugebiet. Es entstehen aber nur vereinzelt Mehrfamilienhäuser. Dadurch fehlen Mietwohnungen mit öffentlichen Förderungen und somit bezahlbarer Wohnraum." Sie sah den Bedarf in Winsen an Einfamilien- und Doppelhäusern zu 110 Prozent gedeckt, den Bedarf an Mehrfamilienhäusern aber nur zu 69 Prozent.
Trotz allem Protest setzte sich die Mehrheitsgruppe der CDU am Ende durch, sodass der Bebauungsplan auf den Weg gebracht wurde.
Rückblick auf die jetzt scheidenden Ratsmitglieder
Solch einen großen Wechsel erlebt man selten. Insgesamt 23 der 39 Winsener Ratsmitglieder scheiden aus dem Gremium aus und machen Platz für neue Gesichter. Hier nun mein ganz persönlicher Rückblick auf die "Karrieren" einiger scheidender Politiker.
• Wilfried Rieck: Nach einem turbulenten politischen Start mit mehrfachem Parteiwechsel wurde er im Gremium schon als "Wanderpokal" verspottet. Später bildete er aber mit der CDU eine Gruppe und zog seinen Wählerauftrag trotz aller Widerstände bis zum Ende durch. U.a. auch als Vize-Bürgermeister und Vize-Ratsvorsitzender. Dafür hat er meinen Respekt verdient.
• Andreas Waldau: Nach dem kläglichen Scheitern seiner Partei Freie Winsener bei der Wahl bekam er als Einziger ein Mandat für den Stadtrat. Als sich die Wählergemeinschaft 2018 auflöste war für Waldau klar: "Bis zum Ende der Legislaturperiode mache ich als Parteiloser weiter." Dies hat er auch durchgezogen. Dabei half ihm bestimmt auch der Posten des Ratsvorsitzenden.
• André Bock: Der langjährige Fraktionsvorsitzende der CDU war wohl so etwas wie ein Häuptling. Unvergessen bleibt bei mir eine Szene, wo eine Abstimmung im Rat nicht so wie gewünscht lief. Bock beantragte eine Sitzungsunterbrechung, holte seine Fraktion zusammen und "schwor" sie ein. Und siehe da, plötzlich lief die Abstimmung reibungslos. Hugh!
• Lutz Nickel: Der AfD-Mann ist in der Legislaturperiode kaum aufgefallen. Meine einzige Erinnerung an ihn stammt aus der konstituierenden Sitzung im November 2016, wo er sich und seine damaligen AfD-Mitstreiter nicht fotografieren lassen wollten.
• Roderik Pfreundschuh: Der AfD-Fraktionsvorsitzende machte vor allem mit einem Rechtsstreit wegen einer angeblichen Beleidigung von FDP-Ratsherr Nino Ruschmeyer auf sich aufmerksam. An den letzten Ausschusssitzungen und an der Ratssitzung nahm er schon gar nicht mehr teil.
• Thomas Kiesewetter: Vor drei Jahren rückte er für die Linke in den Rat nach. Als Bürgermeister André Wiese ihm bei seiner Verabschiedung für sein Engagement dankte, schoss mir sofort in den Kopf: "Welches Engagement?" Kiesewetter war das, was man für eine Gruppe oder Partei als Stimmvieh bezeichnet. Redebeiträge in der gesamten Zeit gleich null. Bei Abstimmungen guckte er erst immer, wie seine Gruppenmitglieder von den Grünen stimmen, und hob dann entsprechend den Arm. Zudem kam Kiesewetter mehrmals zu spät zu Sitzungen oder ging vor wichtigen Abstimmungen frühzeitig nach Hause. Außerdem fiel auf, dass Kiesewetter weder Laptop noch irgendwelche Unterlagen in den Sitzungen dabei hatte.
• Heinrich Schröder: Ein Mann mit Ecken und Kanten. Redete stets so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und nahm kein Blatt vor dem Mund.
• Anton Zeyn: Von mir immer Finanzminister genannt, weil er Vorsitzender des Finanzausschusses war. Dort redete er stets Klartext und mahnte sowohl Verwaltung als auch die Ratskollegen an, wenn mal wieder jemand das Füllhorn ausschütten wollte.
• Brigitte Netz: Die Sozialdemokratin zeigte sich in ihrer Amtsperiode sehr streitbar und ließ sich von der Verwaltung kein X für ein U vormachen. Das lag bestimmt auch daran, dass Netz - wie André Wiese - sämtliche Ratsvorlagen durchgelesen hat und damit immer bestens informiert war.
• Cemil Delik: Nach Deniz Capli (Die Linke) war er zusammen mit Fatih Sarikaya war einer der erste Ratsherren mit südländischen Wurzeln. Mit SPD-Mandat angetreten überwarf er sich im Laufe der Legislaturperiode mit den Sozialdemokraten und wechselte zu den Grünen. Sein Mandat nahm er mit und brachte seiner Ursprungspartei somit einen Sitzverlust in den Ausschüssen ein. Außer der öffentlichen verbalen Schlammschlacht nach dem Wechsel war von Delik leider nicht viel zu hören im Rat.
Ich hatte überlegt, den Politikern Schulnoten zu geben. Doch das wäre der Sache nicht gerecht geworden. Gerecht geworden bin ich hier auch denjenigen nicht, die hier nicht namentlich aufgeführt werden. Aber ich versichere Ihnen: Sie waren da und ich habe Sie wahrgenommen. Und ich garantiere, dass mir die vergangenen Jahre mit Ihnen Spaß gemacht haben und viele der jetzigen Ex-Politiker immer für eine Geschichte gut waren.
Ich wünsche allen ausgeschiedenen Ratsmitgliedern für die Zukunft alles Gute.
^Thomas Lipinski
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