"Note 4 für Bildungssystem"
Unzureichende Unterrichtsversorgung an Schulen

Bianca Schmitz, Leiterin der IGS Winsen-Roydorf | Foto: Schmitz
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"Hurra, hurra, die Schule brennt", jubelte die Band Extrabreit 1982 in ihrem Lied. Gut 40 Jahre später erfährt diese Zeile eine bittere Aktualität, denn in vielen Schulen in den Landkreisen Harburg und Stade "brennt" es angesichts von Lehrermangel und Unterrichtsausfall mehr denn je.

Normaler Unterricht ist kaum aufrechtzuerhalten

An der Integrierten Gesamtschule (IGS) in Winsen-Roydorf liegt die Unterrichtsversorgung laut Niedersächsischem Kultusministerium gerade mal bei 93 Prozent. "Wenn Kolleginnen und Kollegen erkranken oder in Elternzeit gehen, können wir den normalen Unterrichtsalltag kaum abdecken", erklärt Schulleiterin Bianca Schmitz. Den Kunstunterricht und die Projektarbeit habe man in einigen Jahrgängen vorerst streichen müssen.

"Auf ausgeschriebene Lehrerstellen gibt es oftmals keine Bewerber. Unsere Abiturienten sehen, wie überlastet die Lehrer sind, und haben daher wenig Lust, selbst ein entsprechendes Studium zu beginnen", so Bianca Schmitz. Gefragt nach der Note, die sie dem derzeitigen Bildungssystem geben würde, erklärt sie: "Es reicht leider nur für eine 4. Damit es besser wird, müssen dringend die Arbeitsbedingungen für Lehrer verbessert werden."

"Erstmalig seit 2019 ist die Unterrichtsversorgung an den öffentlichen allgemein bildenden Schulen in Niedersachsen im Vergleich zum Vorjahr nicht schlechter geworden. Vielmehr ist es gelungen, die Unterrichtsversorgung nicht nur auf einem stabilen Niveau zu halten, sondern sie sogar leicht zu steigern. Zum Statistikstichtag im ersten Schulhalbjahr 2023/2024 am 31. August 2023 erreicht sie einen landesweiten schulformübergreifenden Durchschnittswert von 96,9 Prozent (Schuljahr 2022/2023: 96,3 Prozent)." So frohlockte jetzt das Niedersächsische Kultusministerium zum Start des zweiten Schulhalbjahres. An den Schulen in der Region hält sich der Jubel über die vermeintlich positive Entwicklung jedoch in Grenzen.

Laut Ministerium konnten im Landkreis Harburg zuletzt von 51 ausgeschriebenen Lehrkräftestellen 29 "mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern besetzt" werden. Im Kreis Stade wurden bei 66 Ausschreibungen 28 Stellen besetzt.

Gymnasium muss Lehrer gleich an drei Schulen abordnen

"Wir sind bezüglich der Lehrer aktuell gut aufgestellt, zumal wir einen Kollegen aus Hessen zusätzlich eingestellt haben", erklärt Dorit von Hoerschelmann, Leiterin des Gymnasiums Salzhausen (Landkreis Harburg). Dessen Versorgung liegt derzeit mit 102 Prozent weit über dem Landesdurchschnitt. "Aufgrund dieser hohen Zahl müssen wir aber Kollegen gleich an drei Schulen abordnen, wo die Lage deutlich schlechter ist. Das bedeutet für uns, dass es bei von Lehrern geleiteten Arbeitsgemeinschaften voraussichtlich Kürzungen geben wird", so von Hoerschelmann. Gleiches gilt für die benachbarte Oberschule, die es auf eine Versorgung von knapp 97 Prozent bringt. Leiterin Sabine Voß freut sich - ebenso wie ihre Oberschul-Kollegin -, "dass wir trotz der Abordnungen bislang im regulären Fachunterricht bislang keine Abstriche machen müssen".

Um Abhilfe zu schaffen gegen die Versorgungsproblematik, habe das Kultusminsterium "bereits diverse Maßnahmen zur Lehrkräftegewinnung angeschoben", erklärt die stellvertretende Pressesprecherin Mareike Wellmeier auf WOCHENBLATT-Anfrage. Hierzu zählten Erleichterungen für Quereinsteiger und die "offensive Werbung" um die Weiterbeschäftigung pensionierter Lehrer. "Darüber hinaus sorgt auch die für den 1. August dieses Jahres geplante Anhebung des Einstiegsgehaltes für Lehrkräfte an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Fachpraxis-Lehrer dafür, dass das Land Niedersachsen ein attraktiver Arbeitgeber für Lehrkräfte ist", ist Wellmeier überzeugt.

"Kein Kommentar" im Kreis Stade zur Versorgungsproblematik

Im Landkreis Stade halten sich die Schulleitungen mit Presseauskünften bedeckt. Auf mehrere WOCHENBLATT-Anfragen wurde entweder mit "Kein Kommentar" oder dem Hinweis reagiert, dass man zu dem schwierigen Thema ohne Rücksprache mit der zuständigen Behörde in Lüneburg keine Auskunft gebe.

Bei der Unterrichtsversorgung an den allgemeinbildenden Schulen im Landkreis Stade reichen die Werte von 98,4 Prozent (Gymnasium Atheaneum, Stade), 95,9 Prozent (Halepaghen-Gymnasium Buxtehude), 95,2 Prozent (Vincent-Lübeck-Gymnasium Stade), 93,7 Prozent (Realschule Stade und Gymasium Harsefeld), 92,3 Prozent (IGS Buxtehude), 92,1 Prozent (Gymnasium Buxtehude-Süd), 91,5 Prozent (Elbmarschen-Schule Drochtersen, Kooperative Gesamtschule), 86,5 Prozent (Oberschule mit gymnasialem Angebot Jork), 85,7 Prozent (IGS Stade), 85,5 Prozent (Porta-Coeli-Schule Himmelpforten, Oberschule mit gymnasialem Zweig), 84,5 Prozent (Oberschule Apensen), 82,7 Prozent (Oberschule Stade), 82,6 Prozent (Oberschule Ahlerstedt), 80,2 Prozent (Oberschule Horneburg), 79,4 Prozent (Oberschule Harsefeld), 78,7 Prozent (Hauptschule Buxtehude), 77,8 Prozent (Oberschule Steinkirchen und Realschule Süd, Buxtehude) bis zu 77,5 Prozent (Geestlandschule Fredenbeck, Oberschule mit gymnasialem Zweig).

Schulleitungen, die zur Unterrichtssituation Auskunft geben möchten – gern auch anonymisiert –, melden sich gern per E-Mail an: stephanie.bargmann@kreiszeitung.net.

Das sagt der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte:

"Die Lage ist und bleibt sehr ernst. Mit einer durchschnittlichen Unterrichtsversorgung von nunmehr 96,9 Prozent sind wir von einer ordentlichen Versorgung immer noch weit entfernt, insbesondere wenn man auf die deutlich schlechtere Versorgung von lediglich durchschnittlich 93,6 Prozent bei den nicht-gymnasialen Schulformen blickt", nimmt der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL) mit Sitz in Hannover Stellung.
"Die übergroße Belastung aller an Schulen Beschäftigten wird durch den eklatanten Lehrkräftemangel noch weiter verstärkt. Es fehlen weiterhin wirkungsvolle Maßnahmen zur Entlastung der über Gebühr belasteten Lehrkräfte."

Kreis-CDU diskutiert in Salzhausen über Schule der Zukunft
Bianca Schmitz, Leiterin der IGS Winsen-Roydorf | Foto: Schmitz
Müssen wegen guter Unterrichtsversorgung Lehrer abordnen und daher Arbeitsgemeinschaften kürzen: Sabine Voß (li.), Leiterin der Oberschule Salzhausen, und ihre Kollegin Dorit von Hoerschelmann vom benachbarten Gymnasium | Foto: ce
Redakteur:

Christoph Ehlermann aus Salzhausen

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