Corona und Zusammenziehen – plötzlich mit dem Partner in Quarantäne
Dass Menschen mit Personen zusammenziehen, die sie kaum kennen, ist erst mal nichts Neues. Nicht immer endet das damit, dass am Ende ein Partner Liebeskummer überstehen muss.
Manchmal funktioniert das gut. Öfter geht es in die Hose. Wenn für den anderen Hygiene ein Fremdwort ist, wird das auch nicht durch in schönes Lächeln oder einen guten Musikgeschmack ausgeglichen.
Dank der weltweiten Ausbreitung des
Covid-19-Virus Covid-19-Virus waren in den letzten Wochen jedoch immer mehr Menschen gezwungen, sich vorrübergehend zu isolieren.
Besonders in neuen Beziehungen musste man sich entscheiden: den anderen auf unbestimmte Zeit nicht sehen – oder ins kalte Wasser springen und gemeinsam in Quarantäne begeben? Zwei Pärchen, die sich für die zweite Option entschieden haben, erzählen wie es ihnen jetzt damit geht.
„Wir kennen uns seit sieben Wochen und wohnen seit fünf zusammen“
Emma und Patrick haben sich vor ein paar Wochen das erste Mal getroffen. Da war noch alles normal. Zumindest fast. Klopapier und Desinfektionsspray wurde in den Drogeriemärkten bereits knapp und die Leute fingen an, beim Händewaschen „Happy Birthday“ zu singen. Die Auswirkungen, die die Pandemie auf das Leben vieler Menschen haben sollte, lagen bereits in der Luft, waren aber noch weitestgehend unsichtbar. Trotzdem war das erste Date ein voller Erfolg. Die beiden trafen sich in einer Bar, unterhielten sich bis spät in die Nacht und wollten sich danach unbedingt wiedersehen. Das war vor sieben Wochen. Seitdem hat sich viel verändert. Unter anderem auch der Beziehungsstatus der beiden.
Ausgangssperre – zu dir oder zu mir?
Während Emma und Patrick am Anfang noch versuchten, sich normal kennenzulernen, wurden in Deutschland die Ausgangsbeschränkungen diskutiert. Sie waren einmal zusammen essen – dann wurden die Restaurants geschlossen. Sie trafen sich einmal mit Freunden – dann wurde die Kontaktsperre erlassen. Schließlich mussten sie sich entscheiden, ob sie die Pandemie zusammen oder getrennt durchstehen wollten. Sie beschlossen, es gemeinsam zu versuchen. Das Risiko war beiden bewusst: mindestens zwei Wochen, nur mit einem Menschen, den sie eigentlich kaum kennen.
Sie beschlossen, den Großteil der Zeit in Patricks größerer Wohnung zu verbringen, um sich auch einmal aus dem Weg gehen zu können. So wurden sie innerhalb von nur zehn Tagen zur Kernfamilie des anderen. Ist das verrückt oder romantisch, fragen sich nicht nur die beiden, sondern auch ihr Umfeld. Aber andererseits – was ist zurzeit überhaupt noch normal?
Netflix statt Kino und Wohnzimmer statt Bar-Besuch
Am Anfang verspürte vor allem Emma einen gewissen Fluchtreflex. Sie kaufte sich sogar ein Fahrrad, um im Notfall auch ohne Patrick in ihre Wohnung fahren zu können. Am Ende merkte sie, dass sie diese Option jedoch kaum nutzte. Obwohl die Welt stillsteht, ist für Emma und Patrick einiges passiert. Mittlerweile haben die beiden ihre eigenen Bar im Wohnzimmer eröffnet. Emma hat die Tür von Patricks Spülmaschine kaputt gemacht, Patrick hat vor Emma eine Panikattacke. Beide wissen jetzt, ob der andere schnarcht und wie er aussieht, wenn er sich morgens nach dem Aufwachen verschlafen die Zähne putzt. Abends sitzen sie zusammen und schmieden Pläne für erste Dates, die sie noch nicht haben konnten.
Der Alltag fühlt sich an, als wären sie schon lange ein Paar. Ohne die Pandemie hätten sie sich wahrscheinlich anders kennengelernt. Mit mehr gemeinsamen Unternehmungen, Abenden in Restaurants und gemeinsamen Spaziergängen. Zwangloser, aber halt auch weniger intensiv. Corona, so sagen die beiden, gehört untrennbar zu ihrer Kennenlerngeschichte dazu. ´Coronamour´ nennt Emma das.
„Wir haben die romantische Kennenlernphase übersprungen.“
Hannah und Leon verbrachten bei ihrem vierten Treffen das Wochenende in seiner WG. Sie aßen Abendessen zusammen mit seinen Mitbewohnern, verbrachten ein paar schöne Tage miteinander. Ein paar Tage später rief Leon an. Einer der Mitbewohner habe sich vielleicht mit dem Coronavirus infiziert. Zur Sicherheit beschlossen sie, sich alle für 14 Tage in Quarantäne zu begeben. Hannah hatte die Wahl – nach Hause gehen oder bei Leon bleiben. Sie entschied sich, zu bleiben. Am Anfang war alles noch ganz normal, eigentlich sogar recht schön. Die beiden arbeiteten tagsüber im Homeoffice, abends kochten sie zusammen oder sahen sich einen Film an. Einen anderen Menschen völlig ohne Ablenkungen kennenzulernen, war für beide neu, aber auch aufregend.
Mit der Zeit begann der Mangel an Freiraum jedoch, vor allem Leon auf die Nerven zu schlagen. Kleinigkeiten, die in einer normalen Situation vielleicht nicht der Rede wert gewesen wären, führten immer häufiger zu Streitigkeiten. Beide waren frustriert, weil schon nach so kurzer Zeit kaum einen Tag ohne Sticheleien und Krisengespräche verging.
Corona wirkt wie Brennglas
Die Spitze erreichte die ungute Stimmung nach etwas mehr als einer Woche gemeinsamer Isolation. Hannah entdeckte, dass Leon während ihrer gemeinsamen Zeit praktisch ununterbrochen mit seiner Exfreundin in Kontakt gestanden und sogar ein Treffen mit ihr für die Zeit nach der Quarantäne vereinbart hatte. Der Krach, der anschließend folgte, endete damit, dass Hannah den Rest ihrer Isolation in ihrer eigenen Wohnung verbrachte. Beide haben heute keinen Kontakt mehr. Hannah bereut ihre Entscheidung trotz des Ausgangs nicht. „Letztendendes hat mir die Erfahrung nur gezeigt, dass er noch nicht bereit für eine neue Beziehung war. Ohne Die Quarantäne hätte es vielleicht noch Wochen gedauert, bis ich das herausgefunden hätte.“
Ruhe bewahren
Das fehlende Ausweichmöglichkeiten zu einer Zerreißprobe für eine Beziehung werden können, weiß auch die Psychotherapeutin Melanie Schmidt. Sie erklärt, dass wir durch Corona „eine Form der Nähe erleben, die viele von uns gar nicht mehr gewohnt sind.“ Durch die ungewohnte Intimität können ungeklärte Konflikte an die Oberfläche kommen und kleine Streitigkeiten schnell zu einem unüberwindbaren Hindernis in der Beziehung werden lassen. „Die Krise ist wie ein Brennglas. Probleme und Konfliktherde […] können sich nun verschärfen.“
Besonders Paare, die noch nicht lang zusammen sind und so keine Zeit hatten, gemeinsam Kommunikationsstrategien für Streitsituationen zu entwickeln, zerbrechen oft an dem zunehmenden Druck. Auch durch die Eindämmungsmaßnahmen verursachte Existenzängste und finanzielle Engpässe können das Scheitern einer jungen Liebe begünstigen. Deshalb sollte sich gerade besonders die Zeit genommen werden, respektvoll über die Ängste des Anderen zu sprechen und nach möglichen Lösungswegen zu suchen. Dabei heißt es: Ruhe zu bewahren. Und Rücksicht nehmen, auf die eigenen Emotionen – und die des Partners.
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