In fünf Stunden quer durch den Landkreis
(jd). Mit dem Linienbus von Bockhorst nach Balje: WOCHENBLATT-Reporter begab sich auf eine ungewöhnliche Tour. Das Thema Busfahren ist derzeit hochaktuell: Im Kreis Stade wird an einem neuen Nahverkehrsplan gefeilt. Anlass genug für WOCHENBLATT-Reporter Jörg Dammann, selbst in einen Linienbus zu steigen. Er fuhr von der südlichsten bis zur nördlichsten Bushaltestelle des Landkreises. Hier sein Bericht:
Ich will auf dem schnellsten Weg von Bockhorst nach Balje - mit dem Bus. Der eine Ort liegt in der Gemeinde Sauensiek, der andere hoch oben in Nordkehdingen. Mehr als fünf Stunden benötige ich für die 94 Kilometer lange Tour - inklusive viermal Umsteigen. Mit dem Rad wäre ich auch nicht länger unterwegs.
An einem Freitagnachmittag warte ich in Bockhorst auf den Bus nach Buxtehude - gemeinsam mit Gisela. Ihren Nachnamen gibt sie nicht preis. Dafür erzählt sie mir, dass sie ein vor paar Jahren mit ihrer erwachsenen Tochter von der Stadt aufs platte Land gezogen sei. In dem 45-Seelen-Dörfchen fühle sie sich wohl. Sie ist auf den Bus angewiesen, um zur Arbeit zu fahren.
Der Busfahrer ist muffelig. Ich will mit ihm ins Gespräch kommen. Doch der Mann zeigt schweigend auf ein Schild: "Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen." Erst in Apensen steigen weitere Fahrgäste zu. Svenja hat eine riesige Reisetasche geschultert. Ich tippe auf einen Wochenendtrip. "Nö, da sind meine Sportklamotten fürs Training drin", sagt die Gymnasiastin, die beim BSV Handball spielt.
Am Buxtehuder ZOB stehen ein paar Schüler, die wie ich nach Jork möchten. Anna-Lena, Virginia, Anna und Michael sind ganz frisch auf der Berufsfachschule. Busfahren ist für die vier, die vorher die Jorker Realschule besucht haben, eine ganz neue Erfahrung. "Morgens ist das ganz schön nervig, weil die Grundschüler so einen Radau machen", berichten sie.
Wie klein die Welt doch ist: In Jork treffe ich auf Klaus Genrich. Der Fischhändler kommt aus meiner alten Heimat Cuxhaven und steht mit seinem Verkaufswagen gerade auf dem Wochenmarkt. Beim kurzen Klönen stellen wir fest, einige gemeinsame Bekannte zu haben. In Jork sind unheimlich viele Radler unterwegs. Die Altländer eifern offenbar nicht nur beim Deichbau dem holländischen Vorbild nach. Das Hollandrad als Weltkulturerbe.
Im Bus nach Stade sitzen müde Gestalten. Allesamt Airbus-Mitarbeiter auf dem Heimweg. Einer von ihnen ist Frank. Seinen Nachnamen erfahre ich ebenfalls nicht. Der Ingenieur aus Agathenburg fährt ausnahmsweise Bus: Er ist erkältet. Sonst radelt er nach Finkenwerder. Die 26 Kilometer lange Strecke wuppt er in einer Dreiviertelstunde. "Echt flink", staune ich. Frank klärt mich auf: Er hat ein Pedelec.
Am Stader Bahnhof herrscht reger Betrieb. Doch nicht viele steigen mit mir in den Bus nach Freiburg. Neben mir sitzt Dierk Kommerohl, der in einem Buch blättert. "Texte für die Technik", heißt der Titel. Er wohnt in Assel und lässt sich in Hamburg zum technischen Redakteur fortbilden. Die vier Stunden für die Fahrt hin und zurück nutzt er zum Lernen.
Hinter Assel lege ich eine "Sendepause" ein. Bislang löcherte ich dauernd meine Mitreisenden mit Fragen. Jetzt genieße ich die Fahrt. In Freiburg ist vorerst Endstation. Busfahrer Stephan Andersen hat Feierabend und parkt sein Fahrzeug auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Kehdinger Kleinbahn. Von der habe ich noch nie etwas gehört. Kein Wunder: Die Gleise sind schon seit mehr als 70 Jahren verschwunden. Nur das Bahnhofsgebäude und ein paar Eisenbahner-Häuschen stehen noch. Der freundliche Busfahrer bietet mir an, mich in seinem Pkw bis Balje mitzunehmen. Ich lehne dankend ab.
Die Zeit nutze ich für einen Bummel durch Freiburg, das sich mit Hilfe von EU-Fördergeldern ordentlich aufgehübscht hat: Die Straßen sind frisch saniert und der historische Kornspeicher wurde eben erst zum Kulturzentrum umgestaltet. Weniger schön ist der Anblick der alten Schule. Das stattliche Gebäude ist völlig verwahrlost. Auf dem Weg zum Deich begegne ich Karin und Ernst Sander. Das Rentnerehepaar aus Düsseldorf ist mit dem Wohnmobil unterwegs. Die beiden sind so lange gewandert, wie ich Bus gefahren bin: Sie marschierten zu Fuß zum Anleger der Elbfähre.
Wie bei ersten Etappe sitzt auf den letzten Kilometern nach Balje außer mir nur ein einziger Fahrgast im Bus. Vicky war zum Shoppen in Stade. Das macht die Realschülerin nicht oft, denn anderthalb Stunden Fahrzeit für eine Strecke ist kein Pappenstiel. Viel los sei nicht in ihrem Dorf, doch das Leben auf dem Lande möchte sie nicht missen.
Als Vicky und ich in Balje aus dem Bus steigen, geht gerade die Sonne unter. Meine Frau wartet bereits auf mich, um mich mit dem Auto abzuholen. Anders geht es nicht: Mit dem Bus käme ich erst am folgenden Tag nach Hause. Mein Fazit: ein kurzweiliger Halbtagesausflug. Für 4,90 Euro fünf Stunden Bus fahren und dazu noch nette Menschen kennenlernen - das hat sich allemal gelohnt.
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