BHs blitzten durch die weißen Blusen: Harsefeld war in den 1960ern das "Klein Paris" des Nordens

Eine Harsefeld Band: Die Gruppe "The Shecks" wurde 1963 gegründet    Foto: SG-Archiv Harsefeld | Foto: jd/privat
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jd. Harsefeld. Ein netter, liebenswerter Ort, der den Charme einer ländlichen Kleinstadt versprüht: Damit ließe sich das Harsefeld unserer Tage wohl am besten umschreiben. Doch vor mehr als einem halben Jahrhundert besaß die Geest-Gemeinde ein ganz anderes Image: In einer Schlagzeile der lokalen Tageszeitung aus dem Jahr 1961 wurde Harsefeld sogar als "Sündenbabel" bezeichnet. Dass es dort zu den Zeiten der "Swinging Sixties" hoch her gegangen sein muss, legen die Zeitungs-Artikel nahe, die Reiner Klintworth aus Helmste ausgewertet hat. Der Freizeit-Musiker, der jahrelang in einer Tanzmusik-Combo spielte, plant ein Buch über die Bands der 1960er Jahre im Kreis Stade.

"Harsefeld war damals die Keimzelle der hiesigen Beat-Szene", erzählt Klintworth. Erste Ergebnisse seiner Recherchen über diese "wilden Jahre" hat er in zwei Aufsätze für das gerade erschienene Jahrbuch "Geschichte und Gegenwart" einfließen lassen (das WOCHENBLATT berichtete). Darin wird auch die Polizei-Razzia detailliert geschildert: Den Ordnungshütern waren die rebellischen Halbstarken, die jedes Wochenende in Scharen zu den Live-Auftritten der Beat-Bands nach Harsefeld strömten, schon länger ein Dorn im Auge. Die Polizei hatte ihre Kräfte aus der ganzen Region zusammengezogen, um mit einer Groß-Razzia gegen "die Auswüchse des Vergnügungslebens" - wie es im Bericht heißt - vorzugehen.

Vorausgegangen waren etliche Klagen von Anwohnern: Die Bürger beschwerten sich über das nächtliche Gejohle der jungen Rabauken und die vielen Schlägereien. Harsefeld muss so etwas wie eine Hochburg der "Beat-Verrückten" gewesen sein: In der Ortsmitte reihte sich damals ein Tanzlokal an das andere. Dort traten Bands auf, die mit den neuen Musikstilen wie Jazz, Twist und dann Beat die Jugend vom Hocker riss. "Die Not hat ein Ende, die Dorfmusik ist vorbei", hieß es auf einem Plakat in Harsefeld.

Der Musiker Werner Becker, der später unter seinem Künstlernamen Anthony Ventura bundesweit Erfolg hatte und dann als Produzent für namhafte Künstler wie Matthias Reim, Howard Carpendale oder Bonnie Tyler tätig war, hat Harsefeld einmal als "Klein Paris" bezeichnet. Dazu passt, dass es im Ort tatsächlich eine "Tanzbar Pigalle" gab. Wen wundert es, dass diese "sündige" Künstlerszene mit ihrer wilden Musik bei den spießigen Bürgern auf Ablehnung stieß.

Doch es war gerade dieser Reiz des Verbotenen, der die Jugendlichen anlockte: So beschreibt Friedhelm Bialluch in einem weiteren Beitrag für das Jahrbuch seinen ersten Besuch im berühmt-berüchtigten Café Niedersachsen in Harsefeld. Das Lokal mit den rot beleuchteten Fenstern war für den damals 17-Jährigen schon länger der "Ort der Begierde". Eine Schwarzlichtlampe habe für die richtige Engtanz-Atmosphäre gesorgt: Das spezielle Licht ließ bei den Perlonblusen der jungen Damen die BHs durchblitzen. "Manche bekam richtig Stielaugen", beschreibt Bialluch diesen erotischen Kick der Wirtschaftswunder-Jahre. Er selbst habe sich aber nicht ablenken lassen. Schließlich wollte er selbst Musiker werden (siehe unten) und habe seinen Blick daher statt auf die Damenblusen auf die Griffe des Gitarristen gerichtet.

• Für sein Buch über die Musikszene der "wilden Sechziger" im Landkreis Stade sucht Reiner Klintworth noch Zeitzeugen sowie Fotos von damaligen Bands und ihren Auftritten. Wer Infos hat oder Material beisteuern möchte, kann sich an ihn wenden: Tel. 04149 - 3 89 oder Mail: r.klintworth@helmste.de Für sein Buch über die Musikszene der "wilden Sechziger" im Landkreis Stade sucht Reiner Klintworth noch Zeitzeugen sowie Fotos von damaligen Bands und ihren Auftritten. Wer Infos hat oder Material beisteuern möchte, kann sich an ihn wenden: Tel. 04149 - 3 89 oder Mail: r.klintworth@helmste.de

Band-Revival nach fünf Jahrzehnten

Es war eine Band-Reunion nach vielen Jahrzehnten: Zur Vorstellung des Jahrbuchs "Geschichte und Gegenwart" trat Gitarrist Friedhelm Bialluch mit seinen Musikerkollegen von damals auf. Nach ersten Auftritten im Café Niedersachsen gründete er 1963 mit Freunden die Beat-Band "The Midnights". In ihrer endgültigen Formation, zu der neben Bialluch Wolfgang "Stacho" Steinort, Wolfgang "Goofy" Giesler und der inzwischen verstorbene Manfred Schröder gehörte, nannten sie sich dann "The Shecks". Die jungen Musiker tingelten bis 1966 durch die Region. Dann wurde die Band aufgelöst, jeder ging seines Weges.

Das Revival nach 51 Jahren hatte in sich: Mit Stücken von den Beatles und den Rolling Stones heizten die Musiker-Oldies dem Publikum ordentlich ein.

Redakteur:

Jörg Dammann aus Stade

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