Jorker Meteorologe wagte sich auf Expedition
Mit der Polarstern in die Antarktis
Frostige Temperaturen, gigantische Eisberge, meterhohe Wellen und tagelange Schneestürme - mittendrin das bekannte Forschungsschiff Polarstern. Wer sich auf mehrmonatige Expedition in die Antarktis traut, muss hart gesotten sein. Erst im März kehrte die Polarstern von so einer Forschungsreise zurück: mit an Bord der Meteorologe Jens Kieser aus Jork.
Was für viele nach einem Abenteuer klingt, ist für ihn Teil seines Berufs - allerdings nicht weniger aufregend. Jens Kieser sagt als Meteorologe das Wetter voraus. Dafür interpretiert er vereinfacht gesagt die Ergebnisse komplexer Computerprogramme, die auf Hochleistungsrechnern mehrfach täglich den Zustand der Atmosphäre prognostizieren. Die Wettervorhersage dient nicht nur der Urlaubsplanung des Normalbürgers, vielmehr sind die Prognosen wichtiger Bestandteil in Schiff- und Luftfahrt. Für Jens Kieser ist ein großer Teil seines Jobs die Beratung von Kapitänen und Schiffführern: Welche Route ist die effizienteste? Welcher Zeitpunkt ist der beste, um Stürme oder Unwetter zu umfahren?
Traumberuf trotz Matheschwäche
Dass er einmal Meteorologe werden würde, war lange nicht klar, denn laut eigenen Angaben lagen ihm Mathematik und Physik, die beide für die Arbeit als Meteorologe essenziell sind, in der Schule nämlich so gar nicht. Sein Lehrer habe dem ehemaligen Buxtehuder Schüler sogar von einem Meteorologie-Studium abgeraten. Fast wäre Kieser dann Architekt geworden, doch die Studien-Wartezeiten machten ihm einen Strich durch die Rechnung. So besann Jens Kieser sich zurück auf seinen Kindheitstraum und studierte von 1999 bis 2005 Meteorologie in Hamburg, bevor er am Max-Planck-Institut für Meteorologie promovierte. Seit 2011 ist der Jorker beim Deutschen Wetterdienst (DWD) angestellt. Im Rahmen seiner Arbeit durfte Jens Kieser seither vier, vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) organisierte, Expeditionen mit der Polarstern begleiten.
"Auf jeder Expedition lauern Unwägbarkeiten - ein bisschen Abenteuer ist immer dabei", sagt Jens Kieser. Zweieinhalb Monate dauerte seine letzte Expedition, die von Kapstadt aus in die Antarktis und in entlegene und teilweise unerforschte Gegenden führte. Halt machte das knapp 100-köpfige, zur Hälfte aus internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und zur anderen Hälfte aus Besatzung bestehende, Team zunächst an der Neumayer-Station, einer deutschen Polarforschungsstation des AWI. Dort versorgte die Polarstern die dort arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Verpflegung und Instrumentarien. Temperaturen unter -30 Grad sind dort keine Seltenheit im Winter, im Inneren des Kontinents können es sogar unter -70 Grad werden.
Ganze zwei Wochen dauerte alleine die Überfahrt von Kapstadt zur Neumayer-Station. "Die stürmischsten Meeresregionen dieser Welt befinden sich rund um die Antarktis - da muss man dann durch", so Jens Kieser. Wellen bis zu 15 Meter Höhe, die gegen die Polarstern knallen, können da schonmal für Unordnung auf dem Schreibtisch in der Bordwetterwarte sorgen. Konzentration ist trotzdem angesagt, denn während der Expedition werden Kiesers Vorhersagen sieben Tage die Woche gebraucht. Zeit zur Erholung bleibt nicht viel, trotz Schwimmbad, Fitnessstudio und kleinem Kino an Bord. Auch müssen alle so gut wie ohne Internet auskommen: Lediglich vereinzelte E-Mails mit schlecht aufgelösten Fotos halten die Familie daheim auf dem Laufenden. Stolz sind dort vor allem Jens Kiesers Kinder, die gerne von den Expeditionen ihres Vaters in der Schule und im Kindergarten erzählen.
Unerforschte Gebiete
Das Hauptziel der Expedition stellte die Bellingshausensee, westlich der antarktischen Halbinsel, dar, die bislang nur von wenigen Forscherteams bereist wurde. Dort untersuchten und kartierten die Geophysiker den Meeresgrund, die Biologen beobachteten Pinguine und Wale und die Geologen entnahmen Sedimente vom Meeresgrund sowie Steine auf dem Land. Hierfür war der Einsatz der bordeigenen Hubschrauber nötig, bei denen Jens Kieser mit seiner Expertise für die Sicherheit der Forschenden sorgte. Wenn der am Boden liegende Schnee von unten gegen die geschlossene Wolkendecke strahlt, kann es zu einem gefährlichen White-out kommen. Dabei verschwinden Horizont und jegliche Kontraste, so dass schnell die Orientierung verloren gehen kann. „Die Wetterbedingungen in der Bellingshausensee waren fast täglich schlecht, deshalb war es sehr oft eine Herausforderung, geeignete Zeitfenster für wissenschaftliche Arbeiten und Helikopterflüge vorherzusagen“, so der Meteorologe. Doch gerade die große Verantwortung, die Kieser dadurch trägt, ist es, was ihm an seinem Beruf gefällt: "Es ist toll, mit dieser wichtigen Arbeit etwas zur Forschung beizutragen und direktes Feedback zu bekommen. Wenn eine Vorhersage eintrifft, ist das richtig beflügelnd. Wenn ich mal falsch liege, ein noch größerer Ansporn."
Dass sich die Antarktis in den vergangenen Jahren verändert hat, ist auch dem Jorker nicht entgangen. So sieht die Anlegestelle an der Eisplatte zur Neumayer-Station jedes Jahr anders aus, weil immer wieder Eis abbricht. Auch im Bereich der Bellingshausensee sei der Rückgang des Eises zu beobachten. Das schockierte besonders Kiesers Kollegen, die diese Veränderung in den vergangenen Jahren beobachteten. Dafür verantwortlich könnte der Klimawandel sein. Bewiesen sei das nicht, erklärt Kieser - ein deutlicher Hinweis sei es aber allemal.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.