Niedersächsisches Abitur in der Kritik
Pannen, Prüfungsdruck und ein Notfallplan

Stress vorprogrammiert: Abiturienten im Fach Erdkunde bekamen in diesem Jahr falsche Zahlen vorgesetzt | Foto: Adobe Stock / Moritz Wussow
  • Stress vorprogrammiert: Abiturienten im Fach Erdkunde bekamen in diesem Jahr falsche Zahlen vorgesetzt
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Trotz intensiver Vorbereitung und neu eingeführter Sicherheitsmaßnahmen ist es auch in diesem Jahr zu einer Panne bei den Abiturprüfungen in Niedersachsen gekommen. Gleich zum Auftakt im Fach Erdkunde mussten Schülerinnen und Schüler in der vergangenen Woche mit vertauschten Zahlen in einer Aufgabe zur Handelsbilanz Senegals arbeiten – mit erheblichen Auswirkungen auf ihre Rechenergebnisse. Eine Wiederholung der Klausur hält das Kultusministerium jedoch für nicht notwendig.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Abitur in Niedersachsen für Schlagzeilen sorgt: Bereits im vergangenen Jahr gab es Chaos, als die Politik-Prüfungsaufgaben wegen eines Diebstahls an einer Schule in Goslar kurzfristig zurückgezogen werden mussten. Im Jahr 2022 wurden die Abiturnoten im Fach Mathematik im Nachhinein angehoben, weil die Aufgaben als zu schwer galten. 

Chaos vermeiden

Der Vorfall wirft erneut Fragen zur Verlässlichkeit und Professionalität im Umgang mit Prüfungsunterlagen auf. Bereits im vergangenen Jahr hatte es Wirbel um das niedersächsische Abitur gegeben: Ein Einbruch in eine Schule in Goslar sorgte dafür, dass die Politik-Klausuren kurzfristig ausgetauscht werden mussten. Die Kommunikation zwischen Kultusministerium und Schulen verlief jedoch chaotisch und es entstanden große organisatorische Herausforderungen. Das Ergebnis war eine verunsicherte Schülerschaft mitten im Abitur. Als Reaktion darauf kündigte das Kultusministerium einen „Notfallplan“ an, um künftiges Chaos zu vermeiden. Dieser sieht unter anderem vor, dass Schulen nun per SMS schneller über kurzfristige Änderungen informiert werden und bei technischen Problemen ein Chat zur Verfügung steht.
Ein erster Härtetest war der sogenannte „Alarmtag“ im Februar, an dem Schulen die neuen Kommunikations- und Sicherheitsmechanismen unter realitätsnahen Bedingungen erproben konnten. Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) betonte, dass sich die Schülerinnen und Schüler in der sensiblen Prüfungsphase auf ein funktionierendes System verlassen können müssten. Laut Kultusministerium verlief der Testlauf erfolgreich. Kleinere Schwierigkeiten seien umgehend behoben worden, die Rückmeldungen aus den Schulen haben seien positiv. Doch der Fehler in der Erdkundeklausur zeigt: Selbst mit Notfallplan bleiben Schwächen im System bestehen.

Kopfschütteln im Lehrerzimmer

Die Erdkunde-Aufgabe, bei der Im- und Exportzahlen des Senegals verwechselt wurden, sorgte für Kritik in Schulen und in der Öffentlichkeit. Dass solch ein Fehler bei einer derartig wichtigen Prüfung wie dem Abitur unterläuft, wirft Fragen auf. Zumal die Aufgaben von einer achtköpfigen Kommission erarbeitet und vorab vom Ministerium geprüft worden waren. Abiturienten, die mit den fehlerhaften Angaben rechneten, kamen notgedrungen zu falschen Ergebnissen. Das Ministerium relativiert: Der Fehler sei im Kontext der umfangreichen Materialsammlung „nicht gravierend“ gewesen, die Aufgabe grundsätzlich lösbar. Wer folgerichtig gearbeitet habe, solle keine Nachteile bei der Bewertung befürchten.
Doch der Schaden ist längst nicht nur ein mathematischer: Für viele Prüflinge, die ohnehin unter enormem Druck stehen, bedeutete die Panne zusätzliche Unsicherheit. "Wir nehmen diesen Fall selbstverständlich zum Anlass, unsere bewährten mehrstufigen Qualitätskontrollen weiter zu optimieren, zu überprüfen und ggfs. zu ändern oder zu erweitern", erklärt Pressesprecherin des Niedersächsischen Kultusministeriums Britta Lüers. 

Landesschülerrat: Unfaire Terminvergabe belastet

Neben den Pannen in der Aufgabenstellung sorgt auch die zeitliche Planung der Prüfungen für Kritik. Der Landesschülerrat (LSR) bemängelt eine „unausgewogene“ Terminsetzung. In einigen Fächerkombinationen – etwa Deutsch und Politik-Wirtschaft oder Gesundheit-Pflege und Biologie – folgen die Prüfungen so dicht aufeinander, dass kaum Vorbereitungszeit bleibe. Andere Schüler hingegen hätten mehrere Tage Pause zwischen den Klausuren. Das führe zu einer erheblichen Benachteiligung bestimmter Gruppen.
„Ein faires Abitur bedeutet, dass alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Chancen auf eine gute Vorbereitung haben – das ist aktuell nicht der Fall“, kritisiert Eduard Hillgert, stellvertretender Vorsitzender des LSR. Auch seine Kollegin Liv Grohn spricht von „extremer Belastung“ durch die Planung. Der Schülervertretung zufolge fehle es bei der Prüfungsplanung an Weitblick und Beteiligung. Sie fordert daher eine gerechtere Verteilung der Termine sowie eine frühzeitige und transparente Kommunikation mit den Betroffenen.

Vertrauen erschüttert?

Ob nun vertauschte Zahlen, gestohlene Aufgaben oder unausgewogene Terminpläne – das Abitur in Niedersachsen steht auch in diesem Jahr unter kritischer Beobachtung. Zwar hat das Kultusministerium mit dem neuen Notfallplan auf die Pannen der Vergangenheit reagiert und damit einen ersten Schritt getan. Doch die jüngsten Entwicklungen zeigen: Technische Maßnahmen allein reichen nicht aus. Es braucht eine umfassende Prüfungskultur, die auf Qualität, Fairness und Transparenz setzt – und die Schüler ernst nimmt. Denn am Ende steht für Tausende junger Menschen nicht nur ein Zeugnis auf dem Spiel, sondern auch die Frage, ob der Staat ihnen in einer der wichtigsten Phasen ihrer Bildungskarriere gerecht wird.