Anwälte Katrin Bartels und Lorenz Hünnemeyer lehnen Vorstoß ab
Müssen Mörder ein zweites Mal vor Gericht?
(tk). Ismet H. wurde 1982 vor dem Landgericht Stade freigesprochen. Er war wegen Vergewaltigung und Mord angeklagt. Sein Opfer: die 17-jährige Frederike aus Celle. Das Landgericht Lüneburg verurteilte H. zu lebenslanger Haft. Der Bundesgerichtshof hob den Richterspruch auf - und die Stader Richter waren anschließend nicht von der Beweislage überzeugt. Frederikes Vater gibt aber nicht auf. Er will wissen, wer seine Tochter ermordet hat. 2012 wendet er sich an das niedersächsische Innenministerium. Eine Sonderkommission rollt den Fall komplett wieder auf. Ein DNA-Beweis ist eindeutig: Ismet H. hat die 17-Jährige getötet. Vor Gericht kommt er trotzdem nicht, obwohl Mord nicht verjährt. Ein Verfahren, das durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen ist, darf nicht wieder aufgenommen werden. Das soll sich ändern: Die Große Koalition will den entsprechenden Paragraphen im Strafgesetzbuch ändern.
Wird damit mehr Gerechtigkeit geschaffen? Ist das der richtige Weg, um Fälle wie den von Frederike aus Celle in Zukunft zu verhindern? Das WOCHENBLATT hat bei der Strafverteidigerin Katrin Bartels aus Stade und Lorenz Hünnemeyer aus Buxtehude nachgefragt. Sie kennen beide Seiten: Täter und Opfer. Als Anwälte vertreten sie angeklagte Mörder und als Nebenkläger die Opfer von Mordtaten. Dennoch lehnen beide eine Änderung im Strafgesetzbuch ab.
"Das ist dem Wahlkampf geschuldet", sagt Katrin Bartels. Solche Vorstöße aus der Politik habe es schon häufiger gegeben. Zuletzt 2019. Der Fall Frederike sei "ein sehr schlimmer Einzelfall", sagt die Stader Strafverteidigerin. Mit der Möglichkeit einer zweiten Anklage wegen Mordes sei schließlich auch nicht sicher, dass es zu einer Verurteilung komme. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung findet Katrin Bartels "populistisch", weil sie suggeriere, dass ein Täter dann zu 100 Prozent verurteilt werde.
Die Juristin gibt zu bedenken: Auch ein neuer DNA-Beweis reiche nicht für ein Urteil. Aus Erfahrung weiß sie, dass Zeugenaussagen von Altfällen, so genannten Cold Cases, alles andere als sicher sind. "Das sind unfassbare Schwierigkeiten", sagt sie.
Ihr Buxtehuder Kollege Lorenz Hünnemeyer lehnt die Verschärfung im Strafrecht ebenfalls ab. Das öffne Tür und Tor für eine Entwicklung, die nicht sein dürfe und die auch nicht dem Rechtsfrieden diene. Der Anwalt blickt in die deutsche Geschichte zurück und erinnert daran, was nach dem Ende der Weimarer Republik geschah: Die Nazis haben die Justiz zu ihrem Instrument gemacht. Statt in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten) zu urteilen, seien Gerichte in den Kampf gegen "Volksschädlinge" gezogen. Ihn wundere, dass aus der Justiz nicht schon einer lauter Aufschrei gegen den Politik-Vorstoß zu vernehmen war.
Katrin Bartels und Lorenz Hünnemeyer weisen auf einen anderen Punkt hin: Wenn es zu einer Verschärfung bei Mordanklagen käme, müsste im Gegenzug auch die Wiederaufnahme bei dem begründeten Verdacht eines Fehlurteils vereinfacht werden. Hünnemeyer: "Das ist extrem kompliziert und langwierig und der Verurteilte bleibt währenddessen in Haft."
Ihre kritische Haltung gegenüber dem Vorschlag aus der Politik bedeutet aber nicht, dass sie die Sicht der Angehörigen von Mordopfern außer acht lassen: "Für Angehörige ist das unerträglich, wenn diese Täter ohne Strafe davonkommen." Und Lorenz Hünnemeyer ergänzt: Justiz müsse Verlässlichkeit darstellen. "Daher muss es die Gesellschaft auch in solchen Einzelfällen aushalten, wenn ein Gericht entschieden hat."
Der bislang einzige Weg, wie nach einem Freispruch eine zweite Mordanklage möglich wird: Der Täter gesteht. Ismet H. hat bislang geschwiegen.
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