Kaufhaus-Legende: Schlemmerabende und legendäre Parkhausfeten
Das waren Zeiten: Als es in Stade noch Hertie gab
jd. Stade. Der "Neue Pferdemarkt" prägt das Stader Stadtbild nördlich des Zeughauses. Im März 2018 wurde das Einkaufszentrum nach fast zweijähriger Bauzeit eröffnet. Rund 30 Millionen Euro hat der Immobilienentwickler Matrix in das Projekt gesteckt. Der Neubau wurde sozusagen auf historischem Grund errichtet. Denn dort gab es schon zuvor einen Shopping-Tempel. Und der hatte zeitweise fast Kultstatus: Viele Stader können in schönen Erinnerungen schwelgen, wenn sie an die Zeit zurückdenken, als an dieser Stelle das Kaufhaus Hertie stand. So trist und öde der vor fünf Jahren abgerissene Zweckbau auch wirkte: Drinnen ging es zeitweise hoch her. Sonderaktionen und prominente Gäste lockten die Menschen scharenweise in den Laden. Einer, der sich immer wieder etwas Neues ausdachte, um die Kunden zu begeistern, war Reiner Klintworth. Er ist ein Stader Hertie-Urgestein der ersten Stunde. Als leitender Angestellter war er von Anfang an dabei - und blieb bis zum bitteren Ende.
Bereits wenige Monate nach Eröffnung der Stader Hertie-Filiale im April 1976 übernahm Klintworth die Lebensmittelabteilung im Tiefgeschoss des Kaufhauses. Er sorgte dafür, dass es dort Leckereien zu kaufen gab, die sonst im Landkreis nirgendwo zu bekommen waren. Wer sich damals mal eine Delikatesse gönnen wollte, war bei Hertie in Stade an der richtigen Adresse. Klintworths Suche nach erlesenen Gaumenfreuden brachte ihn sogar einmal vor den Kadi: Für eine Schinken-Woche hatte er sich mit geräucherter Ware aus aller Welt eingedeckt. Darunter war auch ein Puma-Schinken. Der Landkreis-Veterinär zeigte ihn an - wegen Verstoßes gegen den Artenschutz. Klintworth war aber unschuldig, der Lieferant hatte es vermasselt.
Nicht geschützt war der Hai, der irgendwann mal in den Siebzigern den Fischtresen in kompletter Länge füllte. Damals besser bestückt als die meisten Supermärkte, hatte Hertie sogar eine Frischfischabteilung mit Forellenbecken. Genießen wie Gott in Frankreich, lautete eben die Devise. Dafür machte Klintworth sogar ein "Diplôme de Charcuterie", was ihn als Experte für französische Fleisch- und Wurstwaren auswies. Aber auch Spezialitäten aus England standen bei Hertie hoch im Kurs. Bei den englischen Wochen wurden nicht nur Köstlichkeiten von der Insel angeboten, es zog sogar eine englische Militärkapelle durch die Stader Innenstadt. Für eine britische Bonbonschau rollte ein waschechter Londoner Doppeldeckerbus an, wie das WOCHENBLATT im September 1978 berichtete.
"Neben diesen Länder- und Mottowochen waren unsere Schlemmerabende der Renner", erinnert sich Klintworth. Für Hertie waren diese Aktionen kostenneutral: Die Lieferanten stellten die Probierhäppchen und das dazugehörige Personal. Mitte der 1980er wurde die Lebensmittelabteilung komplett neu gestaltet. 900.000 D-Mark habe sich der Hertie-Konzern den Umbau zu einem "Schlemmerland" kosten lassen, vermeldete das WOCHENBLATT im Oktober 1984. Stade sei hierbei ein Pilotprojekt gewesen.
Zwei Jahre zuvor hatte das WOCHENBLATT dem Stader Hertie-Haus sogar einen ganzseitigen Artikel gewidmet. Anlass war das 100-jährige Bestehen des Kaufhaus-Konzerns. Hertie habe sich zu "einem lohnenden Einkaufsziel" entwickelt, heißt es in dem Bericht. Eine Zeitungsseite füllten auch die damaligen Jubiläumsangebote. Angepriesen wurden u.a. Schildkrötensuppe und französische Schnecken. 1986 wurde schon wieder gefeiert: Zehn Jahre Hertie Stade. Dabei floss der Sekt in Strömen. Klintworth befüllte eine aus Hunderten von Gläsern bestehende Sekt-Kaskade. Wer anstoßen wollte, war mit einer Mark dabei.
"Das war aber alles nichts gegen unsere Parkhausfeten", meint Klintworth. Auf jeder Ebene habe eine Kapelle gespielt: "Unten Rumstata, in der Mitte Beat und oben Jazzmusik. Zwischendurch ging es mit einer Polonäse quer durch alle Parkdecks." Massen von Menschen bevölkerten das Kaufhaus bei den Autogrammstunden. Als Hitparaden-Legende Dieter Thomas Heck seine Unterschriften verteilte, drängten die Leute in Scharen in den Laden.
Die achtziger Jahre seien definitiv die goldenen Zeiten des Stader Hertie-Kaufhauses gewesen, meint Klintworth. Im folgenden Jahrzehnt sah das alles schon ganz anders aus. "Hertie Stade feiert 20. Geburtstag", titelte das WOCHENBLATT im März 1996. Doch wenige Monate danach war es vorbei mit dem Namen Hertie.
• Dazu aber mehr im zweiten Teil, der in der kommenden Mittwochs-Ausgabe erscheint.
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