Der Reiz des Osterfrühgottesdienstes
Wenn die Osternacht erwacht

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Ostersonntag, vor Sonnenaufgang – die meisten Menschen schlafen da noch tief und fest. Aber eine Gruppe Unerschrockener steht bereit, um mit Kerzen und Gesang eine alte christliche Tradition zu feiern: den Osterfrühgottesdienst mit Prozession. Das WOCHENBLATT hat bei Pastoren und Pastorinnen in der Region nachgefragt, ob sich das frühe Aufstehen lohnt – und was Licht, Dunkelheit und Frühstück damit zu tun hat.
WOCHENBLATT: Welche Ursprünge hat der Brauch des Osterfrühgottesdienstes?
Hermann Heinrich, Pastor aus Harsefeld: Mit dem Osterfrühgottesdienst feiern wir sozusagen die Osternacht nach – die Nacht, in der Christen den Sieg des Lebens über den Tod begehen. Der Ursprung liegt ganz in den Anfängen der ersten Gemeinde: Schon im 1. Jahrhundert wurden Menschen in dieser besonderen Nacht getauft.
Andreas Hellmich, Pastor aus Bargstedt: In der kirchlichen Tradition war die Osternacht tatsächlich irgendwann eine ganze Nacht, die am Abend des Karsamstags begann. In der Osternacht wurde das Licht ins Dunkel gebracht. Vereinzelt wird bis heute eine ganze Nacht miteinander gestaltet. Oftmals ist die Osternacht zu einem Osterfrühgottesdienst geworden, der Traditionen der Osternacht aufnimmt.
WOCHENBLATT: Was macht diesen Gottesdienst so besonders – warum sollte man so früh aufstehen?
Uwe Junge, Pastor aus Hollern-Twielenfleth: Besonders ist, dass der Osterfrühgottesdienst in einer dunklen Kirche beginnt. Konfessionsgrenzen spielen keine Rolle. Mitten im Gottesdienst wird das Evangelium von der Auferstehung gelesen – und dann soll zeitgleich die Sonne aufgehen.
Stephanie Müller, Pastorin aus Oldendorf: In Oldendorf entzünden wir in der Dunkelheit auf dem Kirchhof ein Lagerfeuer, an dem die Osterkerze entzündet wird. Mit diesem Licht ziehen wir dann singend in die Kirche ein und verteilen es dort an alle Besucher und Besucherinnen des Gottesdienstes.
Hermann Heinrich: Eine weitere Besonderheit ist die evangelische Prozession: Wir beginnen in Harsefeld in der dunklen Friedhofskapelle am Gierenberg und gehen dann durch den Klosterpark zur Kirche. Auf dem Weg hören wir an mehreren Stationen von der Auferstehung. In der Kirche enthüllen wir das Kreuz, decken den Altar, entzünden Kerzen – und die Orgel bringt das erste Osterjubeln des Tages.
WOCHENBLATT: Spielen Dunkelheit und Licht dabei eine Rolle?
Hermann Heinrich: Und wie! Der Wechsel von Nacht zu Tag ist zentral – wir erleben ganz konkret, wie das Licht das Dunkel durchbricht. Das ist nicht nur ein Symbol, sondern auch ein spürbares Erlebnis.
Stephanie Müller: Das Erleben von Dunkelheit und Licht ist das Entscheidende in diesem Gottesdienst. Wann sind wir sonst schon zu dieser Zeit wach und erleben den Zauber des frühen Morgens?
Andreas Hellmich: Zu Beginn ist es in unserer Kirche relativ dunkel. Dadurch wird auch das Hören anders. Hören in der dunklen Kirche ist eine intensivere Erfahrung. Nach dem Lesen kurzer biblischer Texte und einer gemeinsam gesungenen Bitte füllt dann mithilfe der Kerzen langsam Licht den Raum.
WOCHENBLATT: Welche Musik wird beim Osterfrühgottesdienst gespielt?
Hermann Heinrich: Neben Taizé-Gesängen wie „Bleibet hier und wachet mit mir“ gibt es klassische Osterlieder wie „Wir wollen alle fröhlich sein“ – und auch das afrikanische „Er ist erstanden, Halleluja“ sorgt für internationale Osterstimmung.
Uwe Junge: Bei uns wird das erste Lied des Gottesdienstes ohne Orgel und Glocken a cappella gesungen. Es folgen u.a. der alte christliche Choral "Christ ist erstanden" sowie fröhliche Osterlieder, davon eines aus der Weltkirche und aus Tansania.
WOCHENBLATT: Welche Rituale gehören dazu?
Uwe Junge: Zu Beginn in der dunklen Kirche erfolgt der alte Osterruf: „Christus, Licht der Welt“. Während des Gottesdienstes werden die in der Passionszeit geschlossenen Altarflügel zum Fest der Auferstehung wieder geöffnet. Nach dem Frühgottesdienst ist die ganze Gemeinde zu einem gemeinsamen großen Osterfrühstück ins Gemeindehaus eingeladen.
Hermann Heinrich: Bei uns gibt es im Anschluss an den Frühgottesdienst ebenfalls ein Osterfrühstück im Gemeindehaus. Nach der Prozession und dem Gottesdienst ist das ein wunderbarer Abschluss – oder Anfang des Tages.
Stephanie Müller: Wegen der sinkenden Nachfrage findet bei uns das Osterfrühstück nicht mehr statt. Alternativ laden wir nach dem Familiengottesdienst am Ostersonntag in Kranenburg zur Ostereiersuche und zu Ostergebäck ein.
WOCHENBLATT: Hand aufs Herz – wie viele kommen wirklich so früh zur Kirche?
Hermann Heinrich: Beim letzten Mal waren es rund 80 Menschen – so viele wie sonst auch um 10 Uhr. Da haben wir allerdings um 6 Uhr begonnen. Dieses Jahr starten wir um 5.30 Uhr – also, mal sehen!
Uwe Junge und Andreas Hellmich: Die Zahl variiert von Jahr zu Jahr. Wir rechnen mit ca. 30 bis 40 Gästen.
WOCHENBLATT: Gab es schon skurrile oder lustige Erlebnisse?
Uwe Junge: In einem Jahr kamen einige Feuerwehrleute in Uniform in feuchtfröhlicher Laune, weil sie direkt vom Osterfeuer am Abend in die Kirche kamen. Ein anderes Mal kamen ein paar Leute direkt zum Schlusssegen, weil sie nicht bedacht hatten, dass gerade in dieser Nacht die Zeitumstellung erfolgt war. Extra so früh aufgestanden – und dann trotzdem verpasst. Wieder ein anderes Mal war ein leichter Sachschaden zu vermelden, weil jemand mit der Osterkerze die Jacke des Banknachbarn angebrannt hatte. Gott sei Dank entstand dabei kein größerer Schaden.
WOCHENBLATT: Was bedeutet Ihnen persönlich dieser Gottesdienst? Und lohnt es sich, dabei zu sein?
Hermann Heinrich: Für mich ist dieses „Ergehen“ des Weges zentral. Dabei sein lohnt unbedingt. Der Tagesanbruch in Gemeinschaft, die Orgel im Dunkeln, der Ostergruß und ein festliches Frühstück danach – das ist einfach genial.
Uwe Junge: Dieser Gottesdienst gehört für mich zu den schönsten des ganzen Kirchenjahres, voller Symbolik, voller Osterfreude – und dann mit einem großartigen Frühstück abschließen –, was will man mehr? Und: natürlich lohnt es sich, dabei zu sein – immer in dem Bewusstsein, dass alle Christinnen und Christen auf der Welt an diesem Tag gemeinsam das Fest des Lebens feiern. Damit verbunden die große Hoffnung, dass nach einer dunklen Nacht immer ein heller Morgen folgt. Das gilt im übertragenen Sinn für jedes Leben.
Stephanie Müller: Es ist einer meiner liebsten Gottesdienste im Jahr, vielleicht der liebste: In dieser Nacht, in der Jesus auferstand, liegen Trauer und Hoffnung, Klage und Jubel so nah beieinander. Wir alle erleben ganz individuell, was das Leben schwer macht. Ostern lässt das Wunder aufleuchten: Es wird auch wieder hell. Diese besondere Stimmung, dieses besondere Erleben ist untrennbar mit der Osternacht verbunden und darum so nur ein Mal im Jahr erfahrbar.
Andreas Hellmich: Auf den Punkt gebracht: Wer nicht dabei ist, verpasst etwas.
WOCHENBLATT: Vielen Dank für das Gespräch.
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